Dass es zwischen einer Kleinstadt wie dem neuen „Luftkurort“ Wassenberg im flachen deutsch-niederländischen Grenzland und der bergischen Industriemetropole Wuppertal etliche Verbindungslinien gibt, mag Außenstehende erstaunen. Einer Exkursion des Heimatvereins Wassenberg mit rund 40 Teilnehmenden nach Wuppertal gelang es jetzt, diese Verbindungen anschaulich machen. Zwei Stichworte kennzeichnen sie vor allem: die mit der Elberfelder Firma Frowein verbundene Weberei/Textilindustrie-Geschichte Wassenbergs und in jüngster Zeit die Skulptur des Wuppertaler Bildhauers Tony Cragg in der Gartenachse. Aber auch der Elberfelder Orgelbauer Teschemacher (1711–1782) hinterließ Spuren: Von ihm stammt die Orgel in der Wassenberger Evangelischen Hofkirche.
Schon bei der Hinfahrt informierten Heimatvereins-Vorsitzender Walter Bienen und Gunther Stoldt ausführlich über die Frowein-Zeit (ab 1932) in Wassenberg, mit 290 Webstühlen 1939 und 1988 immer noch 150 Beschäftigten, sowie die Geschichte der aus vielen Orten 1929 entstandenen Stadt Wuppertal mit ihren beiden Zentren Elberfeld und Barmen. Bienen, dessen Eltern selbst bei Frowein beschäftigt waren, nahm die Gruppe mit auf einen Ritt durch die Weberei-Geschichte Wassenbergs mit ihrem zweiten Exponenten, der Krefelder Firma Krahnen & Gobbers, und etlichen kleineren Betrieben.
Heute knüpfe einzig die Schärerei Heinrich Essers noch an diese Tradition an. Später sah die Gruppe in Wuppertal unter anderem die markante Frowein-Villa, heutige Musikschule, und das Glanzstoff-Hochhaus (eine „Glanzstoff“-Niederlassung hatte Oberbruch), höchstes Haus der Stadt.
Eine Fülle von Infos dann beim ausgedehnten Rundgang durch das Elberfelder Stadtzentrum, dem natürlich auch eine Fahrt mit der Schwebebahn vorangegangen war. All das kann hier nur mit einigen Akzenten wiedergegeben werden. Stadtplaner Stoldt und ein Kollege ließen die Wassenberger daran teilhaben, wie sich das Zentrum ab Hauptbahnhof rund um die Straße Döppersberg in den vergangenen zwei Jahrzehnten, nach tiefgreifender Umgestaltung des Verkehrsknotenpunktes, gleichsam neu erfunden hat. Und die nachhaltige und energieeffiziente Umgestaltung der Innenstadt werde weitergeführt im Entwicklungsplan „Elberfeld 2030“.
Dass durch die Erschließung des Zentrums für Fernwärme plötzlich wohl auch die Mittelalter-Geschichte Elberfelds ab der Frankenzeit, etwa die Lage von Burg und Siedlung Elberfeld, korrigiert werden muss, erfahren wir im Planungsbüro. Die Archäologen kann man bei der Arbeit an alten Fundamenten mitten in der City beobachten.
Leider blieb für den zweiten Höhepunkt der Exkursion am Nachmittag etwas weniger Zeit, als sich Kunstfreunde wohl gewünscht hätten. Kondition war gefragt beim Aufstieg über den schon mit einigen Kunstwerken von Tony Cragg (76) flankierten Serpentinenweg zum Skulpturenpark Waldfrieden über dem Tal der Wupper zwischen Elberfeld und Barmen. Der zur Weltspitze seiner Zunft zählende britisch-deutsche Bildhauer und Schöpfer der seit 2020 in der Wassenberger Gartenachse stehenden Skulptur „Wild Relatives, 2013“ lebt seit 1977 in Wuppertal. 2006 hatte Cragg das geschichtsträchtige, aber schon länger verwaiste frühere Anwesen des Wuppertaler Lackfabrikanten Kurt Herberts (1901–1989) mit dessen denkmalgeschützter, nur aus geschwungenen Formen bestehenden Villa (Architekt: Franz Krause) erworben mit der Absicht, Plastiken von sich und anderen Künstlern in enger Verbindung zur Natur erlebbar zu machen. 2008, so erfahren wir bei der Führung, wurde der heute knapp 15 Hektar umfassende Skulpturenpark in Trägerschaft der Cragg-Stiftung eröffnet. Insgesamt rund 40 Werke von Cragg und namhaften Kollegen – von Henry Moore bis Markus Lüpertz – sind derzeit dort zu sehen. Drei Pavillons sind Wechselausstellungen und Sonderveranstaltungen vorbehalten. Die Wassenberg Gruppe hört auch die hochinteressante Geschichte des kunstsinnigen Vorbesitzers Kurt Herberts, der den von den Nazis als „undeutsch“ verfemten Künstlern Willi Baumeister und Oskar Schlemmer unter trickreichen Vorwänden künstlerischen Unterschlupf bot.
Natürlich stehen für die Wassenberger Gruppe Craggs Arbeiten im Vordergrund. Auffallender Blickfang auf einer Lichtung im Wald sind drei miteinander kommunizierende monumentale Bronzesäulen (2007), die wie in die Höhe züngelnde Schlangen heftig bewegt erscheinen. Und die – wie so oft bei Cragg – bei längerer Betrachtung und Umrundung von verschiedenen Seiten aus plötzliche Assoziationen an menschliche Gesichtsprofile wecken. Je nach Blickwinkel: „Points of View“ lautet denn auch der Titel. Eine Cragg-Zeichnung in der Broschüre zum Park zeigt dieses Prinzip geschichteter Kopfprofile ganz deutlich – eine Idee, die einer Reihe von Skulpturen des vielfach ausgezeichneten Künstlers und früheren Rektors der Kunstakademie Düsseldorf zugrunde liegt.
Übrigens auch der Wassenberger Plastik, die zu einer Skulpturen-Serie mit dem Titel „Wilde Relatives“ (Wilde Verwandte) gehört. Eine Variation davon sieht man unterhalb des Park-Cafés, in dem wir einkehren – zum Abschluss eines eindrucksvollen Tages.