Es ist verdächtig ruhig am Landwehrkanal in diesem Sommer: Während in früheren Sommern fast jede Nacht das Belüftungsschiff des Senats brummend seine Bahn auf dem trüben Wasser zog, war es in dieser Saison noch gar nicht unterwegs. Auch nicht in der vergangenen Woche, als die Wasseroberfläche glatt und grün in der prallen Sonne lag wie eine Tartanbahn – eigentlich ein Alarmsignal.
Bei dem grünen Teppich handelt es sich um sogenannte Blaualgen, an deren Namen nicht nur die Farbe in die Irre führt – denn genau genommen sind es Cyanobakterien. Die können bei massenhaftem Auftreten an Badestellen auch Menschen krank machen, aber dieses Problem ist im Landwehrkanal dank Badeverbots eher theoretisch.
Sehr real ist dagegen der Sauerstoffbedarf der Lebewesen im Wasser: Während die rund um die Uhr atmen, produzieren die Algen zwar tagsüber Sauerstoff, aber verbrauchen nachts ebenfalls welchen, werden also selbst zum Teil des Problems. Und weil wärmeres Wasser weniger Sauerstoff aufnehmen kann, verschärft die Hitzewelle den Mangel unvermeidlich.
Tagsüber enthält das Wasser im Landwehrkanal laut Messdaten des Senats meist fünf bis zehn Milligramm Sauerstoff pro Liter. Im Laufe der Nächte sinkt der Gehalt im Landwehrkanal fast auf null. Nach Auskunft von Christian Wolter, Fischökologe am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), „sind wir für die karpfenartigen Fische schon nahe am Minimum zurzeit“. Das liege bei zwei Milligramm pro Liter, die auch die Richtgröße für den Einsatz des Belüftungsschiffs waren.
Das Belüftungsschiff „Rudolf Kloos“ auf nächtlicher Fahrt durch den Neuköllner Schifffahrtskanal.
© picture alliance/dpa/Gregor Fischer
Die nach einem ehemaligen Leiter der Wasserbehörde benannte „Rudolf Kloos“ hat Tanks voll komprimiertem Sauerstoff an Bord, mit dem sie während ihrer langsamen nächtlichen Fahrten über den Kanal das Wasser anreichert. Knapp eine Million Euro pro Saison hat sich der Senat den Einsatz des 1995 gebauten Schiffs zuletzt kosten lassen. Meist fuhr es auf Landwehrkanal und Neuköllner Schifffahrtskanal.
Auf Tagesspiegel-Anfrage heißt es einerseits, das Schiff sei einsatzbereit und habe nach einer notwendigen technischen Nachrüstung eine Zulassung bis 2029. Andererseits teilt die Umweltverwaltung zur Frage der Finanzierung in diesem und dem nächsten Jahr mit, dass „Finanzmittel erst mit Beschluss des Abgeordnetenhauses Ende 2025 für den Doppelhaushalt 2026/2027 gesichert“ seien. Die aktuelle Betriebspause sei dem Wetter zu verdanken: Weil es bisher keine längere trockene Hitzeperiode mit anschließendem Starkregen gab und gibt, „bestand in dieser Saison noch kein Handlungsbedarf“.
Bei Unwetter läuft die Kanalisation über – Gift für die Fische
Starkregen ist buchstäblich Gift für den Kanal, weil dann die Kanalisation überläuft und den Dreck der Stadt in den Kanal schwemmt. Die Abbauprozesse rauben den Fischen regelmäßig die Luft zum Atmen; immer wieder gab es Massensterben.
Auf der Spree war die „Rudolf Kloos“ nur selten unterwegs.
© imago/Jürgen Heinrich
Aus Sicht des Fischökologen kann sich die Lage auch ohne Unwetter sehr schnell zuspitzen: Sobald der Algenteppich so dick wird, dass er sich teilweise selbst das Sonnenlicht wegnimmt, sinkt er ab, zersetzt sich und verbraucht dabei den knappen Sauerstoff. Ein Ende der sonnigen Wetterperiode könne diesen Prozess verstärken. Da die Grünfärbung an der Oberfläche in den vergangenen Tagen bereits deutlich nachgelassen hat, könnte der Prozess bereits begonnen haben.
1850
war das Jahr, in dem der Landwehrkanal fertiggestellt wurde
Die Umweltverwaltung sieht trotzdem keinen Handlungsbedarf und relativiert den Nutzen der „Rudolf Kloos“: Das Schiff sei allein ohnehin nicht in der Lage, Sauerstoffmangel und Fischsterben zu verhindern. Entscheidend seien die Abwassereinleitungen aus der Kanalisation in den Kanal, der weder nennenswert fließt noch durch Wellen oder irgendein Plätschern zusätzlichen Sauerstoff aus der Luft bekommt.
Berlin am Wasser Wasserqualität in Berlin An diesen fünf Stellen sollten Sie am Wochenende besser nicht baden Vom Asphalt ins Wasser Woher das meiste Mikroplastik in Berliner Gewässern kommt Rettung des Groß Glienicker Sees Ursachen der Pegelabsenkung sollen untersucht werden
Perspektivisch soll der Kanal nach Starkregen „durch Ableitung von Wasser aus der Spree gestützt“ werden, teilt die Verwaltung weiter mit. Das Potenzial dürfte begrenzt sein, denn auch die Spree steht im Sommer mangels Wassernachschub praktisch still – oder fließt sogar rückwärts zum Müggelsee nach Friedrichshagen, wo die Berliner Wasserbetriebe eines der beiden größten Wasserwerke der Hauptstadt betreiben.