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Europa sollte diese Gelegenheit nutzen, um den Weg in Richtung emissionsarmes Wirtschaften einzuschlagen. Ein Gastbeitrag.
Der Katzenjammer um den Zoll-Deal ist wenig ergiebig. Ja, die militärische Schwäche Europas hat uns erpressbar gemacht. Stimmt: Massiv Energie aus den USA zu importieren, lässt Big Oil frohlocken. Der Schmach, unterwürfig aufgetreten zu sein, hallt nach. Selbst die beschworene Planungssicherheit für die Wirtschaft kann US-Präsident Donald Trump jederzeit weg diktieren. Erreicht wurde nur eins: Mit viel Geld etwas Zeit gekauft. Europa und Deutschland müssen jetzt entscheiden, wie sie diese Zeit nutzen. Einchecken auf der Titanic oder selbst in See stechen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schüttelt die normalgroße Hand des US-Präsidenten Donald Trump. © Jacquelyn Martin/dpaDonald Trumps Zollpolitik: Für Deutschland eine Richtungsfrage
Konkret: Folgen wir den USA in ihrer Retropolitik zugunsten fossiler Energien oder bleiben wir auf Spur in Richtung emissionsarmes Wirtschaften?
Die europäische Absichtserklärung, von den USA (fossile) Energie im Wert von 750 Milliarden Dollar zu importieren, bedeutet nicht zwingend eine Abkehr von der eigenen Dekarbonisierungsstrategie. Was Europa jetzt tun muss, ist die Infrastruktur für regenerative Energien und Elektromobilität so auszubauen, dass Fossiles noch weniger wettbewerbsfähig ist.
Wichtige Meilensteine für Deutschland sind: Massiver Ausbau der Windenergie in den Südländern. Förderung des öffentlichen Nahverkehrs durch Mobilitätskonzepte, die für die breite Masse attraktiv sind – wie bei der Einführung des Deutschlandtickets. Und engagierter Netzausbau von zuverlässigen Batteriespeichern. Energieversorgung ist oft eine kommunale Aufgabe. Wann helfen wir unseren öffentlichen Versorger, ihr Geschäftsmodell auf einen nicht-fossilen Energiemix umzustellen? Die privaten Unternehmen entscheiden sich dann sehr schnell selbst für Nachhaltigkeit.
Zollpolitik: So könnte eine Zukunftsstrategie aussehen
Eine Zukunftsstrategie lässt sich konkret anhand der deutschen Automobilindustrie durchdeklinieren. Seit dem Zoll-Deal mit den USA ist diese im Krisenmodus. Der Move in Richtung Elektromobilität wurde von den Chefetagen verschlafen. Nur Volkswagen hat zaghaft einen Wandel eingeleitet. Die Ergebnisse: Der Elektroautoverkauf ist im letzten Jahr um fast 50 Prozent gestiegen, VW hat in Europa einen Marktanteil von knapp 30 Prozent. Da ist noch viel Luft nach oben. Jetzt muss für den breiten Markt produziert werden. Ohne ein Elektroauto unter zwanzigtausend Euro wird die deutsche Automobilindustrie nicht mehr auf die Beine kommen. Es braucht umgehend staatliche Hilfen und verlässliche Rahmenbedingungen.
Hans-Jürgen Burchardt ist Professur für internationale und intergesellschaftliche Beziehungen an der Universität Kassel. © Privat
Für VW war der US-Markt noch nie sehr relevant. BMW und Mercedes haben in den USA eigene Fabriken und verkaufen vor allem im Premiumsegment. Hier schlagen Zölle wenig durch, Wohlhabende zahlen gerne mehr für einen Distinktionsgewinn. Hat die US-Regierung mit ihrer Ankündigung Erfolg, Treibhausgasemissionen nicht mehr als gesundheitsschädlich einzustufen, ist dies das Aus des Verbrenner-Aus. Der Nostalgieschrott Benzinmotor wäre in den USA weiter verkaufbar und das deutsche Management könnte sich seine Trägheit eine Zeitlang vergolden lassen. Will es nicht mit den USA dem Niedergang frönen, müssten die Gewinne umgehend in Elektromobilität investiert werden, um in China Land gutzumachen.
Natürlich belastet die Zollpolitik Trumps die europäische Wirtschaft. Fachleute kalkulieren, dass die deutschen Gesamtexporte um rund 15 Prozent fallen. Darum gilt: Den Impuls nutzen! Der größte Handelspartner Deutschlands ist Europa. Die größte Exportregion der Welt ist Europa. Der größte Binnenmarkt der Welt ist Europa. Wir sind in der Energiewende noch gut aufgestellt. Jetzt muss der zersplitterte Binnenmarkt Europas durch eine kohärente Sozial- und Steuerpolitik, Innovationsförderung und aktive Beschäftigungspolitik vereinheitlicht werden.
Und während Trump international weiter Porzellan zerschlägt, sollten wir uns erinnern, dass wir nicht allein sind. Mit dem Mercosur-Abkommen hat Europa eine Allianz mit den wichtigsten Volkswirtschaften Lateinamerikas. Doch wo ist die helfende Hand Deutschlands, dessen größter Industriestandort jenseits der Landesgrenzen in Brasilien liegt, während Trump mit seiner Zollpolitik versucht, den demokratischen Rechtsstaat des Landes zu demontieren? Techniken für die Energiewende werden immer wichtiger. Die fossilen US-Märkte werden bald schrumpfen, die dynamischen Zukunftsmärkte Asiens boomen. Noch immer haben Deutschland und Europa eine starke Marktposition in China, die ausgebaut werden kann.
Die Impulse des Deals nutzen, heißt auch begreifen, dass Freihandel nicht zur wichtigsten Quelle des Wohlstands werden darf. Trumps Erpressungspotenzial über Zölle basiert auf dem starken US-Binnenmarkt. Diese Erkenntnis ist für den Exportweltmeister Deutschland schmerzhaft. Hierzulande verdienen zum Beispiel Dienstleister:innen aus der Pflege – während der Pandemie als systemrelevant beklatscht – 40 Prozent weniger als Facharbeiter:innen im Export. Ganze Berufsgruppen sind ökonomisch abgehängt.
Das macht Debatte über das Bürgergeld tragisch. Bei dem von der Politik und den Medien zum Scheinriesen gemachten Bürgergeld geht es kaum um ein Gerechtigkeitsproblem – als staatliche Förderung der Binnennachfrage stabilisiert Bürgergeld sogar die heimische Wirtschaft. Ganz anders als die 200 Milliarden Euro, die den Staat jährlich die Steuerhinterziehung insbesondere großer Firmen kostet. Und die laut Fachleuten leicht abzustellen wäre.
Wer sich heute volle Auftragsbücher für die Wirtschaft wünscht, muss den Binnenmarkt ankurbeln, die aktuelle Lohnspreizung verringern. Deutschlands Sonderweg, wo hohe Einkommenssteuern erhoben, aber im weltweiten Vergleich große Vermögen steuerlich kaum angetastet werden, blockiert eine solche Dynamik. Das schadet auch dem Außenhandel: Exportprodukte reifen am besten auf heimischen Märkten. Das war ein Erfolgsrezept unseres Wirtschaftswunders.
Veränderungen brauchen Zeit. Die hat sich die EU mit ihrem Deal erkauft. Wenn Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán glaubt, dass Trump die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zum Frühstück verspeiste, hat er vergessen: Ob man satt geworden ist, weiß man erst am Abend.