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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
Berlin war am Mittwoch Vorhof der Weltpolitik. Aus Sicht von US-Präsident Donald Trump war es vielleicht aber auch nur: ein störendes Vorhofflimmern. Das wird sich am morgigen Freitag zeigen.
Dann treffen sich in Alaska, 7.300 Kilometer Luftlinie von der deutschen Hauptstadt entfernt, US-Präsident Trump und Russlands Wladimir Putin. Der autokratisch regierende Trump und der Diktator Putin wollen gemeinsam besprechen, wie Frieden zu schaffen sei zwischen Russland und der Ukraine. Dabei glaubt kaum einer, dass Putin den Krieg, den er begonnen hat, tatsächlich schon beenden will.
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Russland nämlich hat immer wieder sehr viel größere Ziele formuliert und verstärkt derzeit seine Angriffe im Osten der Ukraine. In dieser Woche ließ sich Putin zudem vom nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Un, der Russland Truppen und Waffen stellt, noch einmal „uneingeschränkte Unterstützung“ im Ukraine-Krieg versichern. Und zu den Forderungen, mit denen Putin laut einem seiner engen Berater in Alaska aufschlagen will, zählen unter anderem: der Rückzug der Ukraine aus der strategisch so wichtigen Region Donezk, die Entmilitarisierung des Landes, ein Verzicht auf den Beitritt in die Nato, eine Verfassungs- und Regierungsreform.
Zusammenfassen lässt sich Putins Forderungspaket auch so: Auf der einen Seite wünscht er sich eine unsouveräne, entwaffnete und damit wehrlose Ukraine, auf der anderen möchte er die Poleposition für weitere Feldzüge Russlands einnehmen. Die perfekte Ausgangslage, um weiter hinein ins Land zu stoßen.
Hochgradig nervös ist die Ukraine wegen der internationalen Elefantenrunde am Ende der Welt. Sie wird nicht mit am Tisch sitzen, auch der Rest von Europa ist nicht eingeladen. Dabei steht für das Land bei dem Gespräch so viel auf dem Spiel wie seit Beginn des Krieges nicht mehr. Wie gut der wankelmütige US-Präsident die Interessen des Landes aber vertreten wird, ist fraglich. Der hat schließlich eigene Interessen, die für ihn über allem stehen. Die Verbindungen der USA zu Russland würde er eigentlich gerne wieder verbessern, die Militärhilfe an die Ukraine will er am liebsten so schnell wie möglich beenden und, last but not least, als Friedenspräsident will er in die Geschichte eingehen. Nobelpreis inklusive.
Vor dem Mittwoch hielt sich Trump denn auch alle möglichen Wege offen: Mal sprach er davon, dass er Putin vor allem zuhören und die Lage sondieren wolle, Entscheidungen solle es in Alaska gar nicht geben. Dann ließ er seinen Finanzminister Russland mit Sanktionen und Zöllen drohen, sollten die russischen Angriffe nicht enden. Dann wiederum sprach er davon, dass es „Landtausch“ und „Tauschgeschäfte“ geben solle. Das klang plötzlich nach Gebietsabtritten, welche die ukrainische Regierung ablehnt. Von Belustigung über Verwirrung bis Panik dürften die Reaktionen reichen, die Trump so global auslöste.
Video | So wird Selenskyj von Merz in Berlin empfangen
Player wird geladenQuelle: reuters
In diese Lage hinein brachte Merz mit seinem kurzfristig organisierten Ukraine-Gipfel am Mittwoch etwas Ordnung. Es ist nur einer von vielen Versuchen in den vergangenen Tagen, zu Trump durchzudringen. Als „Dauerbeschallung“ und „pädagogisches Einmaleins“ beschreibt mein Kollege Johannes Bebermeier die Mühen der europäischen Regierungschefs. Am Mittwoch aber reiste Wolodymyr Selenskyj persönlich an, schüttelte Merz die Hand, ließ sich von ihm umarmen. So entstanden Bilder, die die Ukraine braucht: nicht allein und vergessen, sondern an der Seite ihrer europäischen Unterstützer.
Nähe, auch räumlich: Merz und Selenskyj in Berlin. (Quelle: John MacDougall/AP)
Wichtiger aber waren die Gespräche, die hinter verschlossenen Türen stattfanden. Erst schalteten sich die Europäer allein zusammen, danach telefonierten sie mit Donald Trump und seinem Vizepräsidenten JD Vance. Fünf Punkte nannte man Trump dort als zentrale Forderungen der Ukraine und Europas, Merz verlas sie nach dem Treffen gemeinsam mit Selenskyj auch vor der Presse:
- Die Ukraine müsse bei Folgetreffen zwingend mit am Tisch sitzen.
- Ein Waffenstillstand müsse am Anfang aller Verhandlungen stehen.
- Die Ukraine sei zu Verhandlungen über territoriale Fragen bereit, die Anerkennung russischer Besetzungen aber stehe „nicht zur Debatte“.
- Die Ukraine brauche Sicherheitsgarantien und langfristige Militärhilfe aus dem Westen.
- Bewege sich Putin in Alaska nicht, müssten Europa wie die USA den Druck auf Russland erhöhen.
Fünf Punkte, kurz und knapp. Der Beipackzettel der Ukraine und Europas für das Treffen in Alaska. Sicher hätte er länger ausfallen können. Aus Regierungskreisen aber hieß es später: Wichtig sei, prägnant zu formulieren, geschlossen aufzutreten, die sich bietende Gelegenheit so gut zu nutzen wie nur möglich.
Das scheint – mit aller gebotenen Vorsicht und ohne jede Gewähr – zunächst geglückt. Trump immerhin bezeichnete das Gespräch im Anschluss als „sehr gut“ und äußerte die Hoffnung, bald ein Treffen zu organisieren, an dem auch Selenskyj teilnimmt. Für die Ukraine dürfte das der wichtigste Punkt auf der Wunschliste sein: nicht über ihren Kopf hinweg.
„Sehr gut“: Donald Trump über das Gespräch mit Merz und Selenskyj. (Quelle: IMAGO/Pool/ABACA)
Wie lange Trump sich an die Wunschliste erinnern wird, wie sehr er sie im Gespräch mit Putin tatsächlich berücksichtigen wird? Unklar. Europa bleibt in dieser Frage vollkommen abhängig von den USA und deren Präsident wiederum bleibt in fast allen Fragen unberechenbar.
Merz‘ Ukraine-Gipfel aber hat zweierlei gezeigt: Erstens sind die Europäer sich ihrer machtlos-misslichen Lage wohl bewusst. Es herrschen keine Illusionen mehr, wie sie vor wenigen Monaten noch zu hören waren – zum Beispiel, dass die USA unter Trump vielleicht doch auch einfach im Sinne langjähriger Bündnisse handeln könnten.
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