„Schon die Gestaltung des Treffens ist sehr besorgniserregend“, findet Olga Pindyuk. Die Ukraine-Expertin beim Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) zeigt sich wie viele Beobachter wenig optimistisch bezüglich des bevorstehenden Gesprächs in Alaska, „da die Ukraine als wichtiger Akteur und auch andere Verbündete aus dem Westen wie die EU nicht mit am Tisch sitzen“, sagt sie im Gespräch mit F.A.Z. PRO Weltwirtschaft.

Die Ökonomin ist überzeugt davon, dass die Chancen für einen Waffenstillstand oder Frieden sehr gering sind, weil der russische Präsident Wladimir Putin seine Absichten nicht geändert habe. Selbst wenn die Ukraine die russisch besetzten Ostgebiete abtrete, würde das den Kremlchef ihrer Ansicht nach nicht zum endgültigen Kriegsende bewegen. „Sein ultimatives Ziel ist es, die vollständige Kontrolle über das Territorium der Ukraine zu erlangen. Er will die Ukraine zu einem Vasallenstaat, ähnlich wie Belarus, machen“, meint Pindyuk. Die Ukraine dürfe kein erfolgreicher, prosperierender demokratischer Staat sein.

Das Treffen mit US-Präsident Donald Trump diene wahrscheinlich dazu, Zeit zu gewinnen, schätzt sie. „Putin möchte eine Art Illusion aufrechterhalten, dass er weiter Interesse an einer konstruktiven Zusammenarbeit mit Trump hat, damit dieser keine strengeren Sanktionen gegen Russland verhängt und es möglicherweise sogar zu einer Wiederbelebung der Wirtschaftsbeziehungen der beiden Länder kommt.“

Russland, da sind sich Beobachter einig, hat genügend Ressourcen, um seinen imperialistischen Krieg gegen die Ukraine noch lange fortzusetzen. Die gesamte Wirtschaft ist auf den Krieg ausgerichtet. Und auch wenn die Ausgaben für Waffen und vor allem Soldaten immer weiter steigen und sich das Wirtschaftswachstum nun abschwächt, kann Russland sich dies nach Meinung von Ökonomen weiterhin leisten, da es makroökonomisch in stabiler Verfassung sei.

Russlands Schuldenlast ist im internationalen Vergleich sehr niedrig: Sie dürfte laut Internationalem Währungsfonds (IWF) dieses Jahr bei gut 21 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen.

Die russische Kriegswirtschaft funktioniere aber auch nur deshalb so gut, weil China Unterstützung leiste, betont die Ökonomin aus Wien. Die Volksrepublik kauft nicht nur das vom Westen sanktionierte Öl aus Russland, sondern beliefere das Putin-Regime auch mit modernen Waffen und Bauteilen.

„Russland verfügt nicht über alle erforderlichen hoch entwickelten Teile und Ausrüstungen, wie sie beispielsweise für Drohnen und Flugzeuge benötigt werden.“ Dieses hochmoderne Equipment liefern ihnen die Chinesen und teils auch Nordkorea und Iran. „Ohne diese Hilfe wäre die russische Wirtschaft meiner Meinung nach in einer schwierigen Lage.“

Ukraines Wirtschaft leidet

Die Wirtschaft der Ukraine zeigte sich bislang trotz des mehr als drei Jahre währenden Angriffskriegs relativ resilient. Nach dem ersten Kriegsschock im Jahr 2022 erholte sie sich und überschritt beinahe wieder die Marke von 200 Milliarden Dollar, die erstmals 2021 erreicht wurde. Der Zermürbungskrieg hinterlässt jedoch seine Spuren, und das reale Wachstum fällt geringer als erwartet aus.

Für das Jahr 2025 gehen die Analysten von einem verlangsamten BIP-Wachstum zwischen 2,0 und 2,6 Prozent aus. 2024 wuchs die Wirtschaft um 2,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit würde die symbolträchtige Marke von 200 Milliarden Dollar überschritten und könnte 2025 bei 210 Milliarden Dollar liegen.

Für das abgeschwächte Wachstum machten die Experten vom CES die verstärkten russischen Angriffe verantwortlich wie auch den Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion infolge von Extremwetter, das zu Ernteausfällen führte. Auch das verarbeitende Gewerbe litt unter Einbußen aufgrund der verlorenen Minen in den besetzten Ostgebieten, so die CES-Ökonomen. Es liege im langfristigen wirtschaftlichen Interesse der Ukraine, die Erz- und Kohlebergwerke im Osten des Landes wieder betreiben zu können und potentielle Vorkommen kritischer Rohstoffe unter Kontrolle zu bekommen, erklärt Pindyuk.

Drohende Finanzierungslücke

Sorgen bereitet den Ökonomen die Frage der weiteren Finanzierung. Die Ukraine hat ein massives Haushaltsdefizit, das voraussichtlich hoch bleiben und 2026 bei 19 Prozent des BIP liegen wird. Da mehr als die Hälfte des Haushalts für Verteidigungsausgaben aufgewendet wird, rechnen die Analysten für 2025 und 2026 mit weiteren großen Finanzierungslücken.

Die Nationalbank der Ukraine geht zwar davon aus, dass genügend internationale Finanzhilfen zur Verfügung stehen werden, doch bestehe derzeit zusätzlich zu den schon zugesagten und gesicherten 22 Milliarden US-Dollar für 2026 eine erhebliche „unbekannte“ Finanzierungslücke von etwa 13 Milliarden US-Dollar. Finanzanalysten gehen noch von höheren Beträgen aus und schätzen, dass 2026 fast 29 Milliarden Dollar fehlen werden. Amerika hat seine finanzielle Hilfe seit dem Amtsantritt Trumps fast vollständig eingestellt. Auch die militärische Hilfe wurde zwischenzeitlich auf Eis gelegt.

Im Mai erlaubten die USA wieder größere Rüstungsexporte an die Ukraine – allerdings nicht als militärische Hilfsleistungen, sondern als reguläre Verkäufe, die Kiew selbst, auch etwa über Verbündete, finanzieren muss. Die europäischen Länder setzten ihre umfangreiche Unterstützung fort. Deutschland wies fünf Milliarden Euro zu – die bisher größte bilaterale Unterstützung. Neu laut dem „Ukraine Support Tracker“ des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW) ist dabei, dass fast die Hälfte der Aufträge im Mai und Juni nicht mehr aus Lagerbeständen entnommen werden, sondern direkt an Rüstungsunternehmen fließen.

„Die Aufträge gehen vor allem an Unternehmen in Europa sowie der Ukraine und sind ein deutliches Signal für die wachsende Bedeutung der Rüstungsindustrie im Bereich der militärischen Unterstützung“, schreibt das IfW. Seit Beginn des Krieges bis einschließlich Juni 2025 hat Europa Militärhilfen im Wert von mindestens 35,1 Milliarden Euro über Beschaffungsverträge mit der Rüstungsindustrie bereitgestellt – das sind 4,4 Milliarden mehr als die USA. Damit übertrifft die europäische Rüstungshilfe mittlerweile die der Amerikaner.

Ökonomin Pindyuk hofft für das Alaska-Treffen, dass es den Europäern nun im Vorfeld noch gelingt, Präsident Trump zu erklären, was auf dem Spiel steht und welche Fehler er gegenüber Putin nicht machen sollte. Dazu gehört für sie, dass es keine weitreichenden Zugeständnisse an Russland – etwa Gebietsabtretungen oder das Ende der Bündnisfreiheit der Ukraine – geben sollte.