Ein Wunder, das hat groß zu sein. So wie das Wunder von Bern, das ein Land verändert hat. Oder die sieben Weltwunder, allesamt imposant, riesig und durch die schiere Größe einschüchternd. Wenn man also einen Wundersaurier anschauen darf, dann wappnet man sich für einen Giganten. Doch als sich der Reporter gemeinsam mit Forscher Stephan Spiekman dem Wunder nähert, stellt er fest: Das Wundersame offenbart sich auf den zweiten Blick. Der Wundersaurier ist mehr Urmel als Jurassic Park.

Die uralten Steine. Foto: Lichtgut

Ein Modell des Sauriers steht auf einem Tisch, es hat die Größe einer Eidechse mit einem auffälligen Kamm am Rücken. Daneben liegen zwei Steine. Fundstücke aus dem Elsass. Sie sind – und da wird es sehr sehr wundersam – 247 Millionen Jahre alt. Eine Zahl, die man sich mit unserem Säugetier-Hirn nicht vorstellen kann. Damals war der Mensch noch ein entfernter Gedanke. Vor 2,6 Millionen Jahren hat unsere Gattung den Heimwerker in sich entdeckt, die ersten Werkzeuge benutzt. Vor 300 000 Jahren tauchte der moderne Mensch auf, der Homo Sapiens, unser direkter Vorfahr. Wäre die Erde nicht 3,6 Milliarden Jahre alt, sondern 24 Stunden, dann wären wir erst eine Minute vor Mitternacht auf der Bildfläche erschienen.

Im Elsass entdeckt

Der Mirasaura grauvogeli war um einiges früher dran, er lebte am Beginn der Trias in Wäldern. Es war warm und trocken, es gab einen riesigen Kontinent Pangäa. Wüsten und Savannen prägten die Landschaft. Die Welt gehörte den Reptilien, den Sauriern. Was wir aus dieser Zeit wissen, graben und kämmen Menschen wie Spiekman oder der elsässische Naturforscher Louis Grauvogel aus dem Boden.

Jene zwei unfassbar alten Steine hat Grauvogel vor 90 Jahren gefunden und in seiner Sammlung aufbewahrt. In einer Scheune in den Vogesen, gemeinsam mit gut 5300 versteinerten Insekten, Schalentieren, Fischen, Amphibien und Pflanzen. Grauvogels Tochter Lea arbeitete sich durch die Fossilien, gab die Sammlung schließlich 2019 ans Naturkundemuseum in Stuttgart. Ein Glücksfall. Vor allem für den Herr der Dinos, Rainer Schoch, Chef der Paläontolgie in Stuttgart. Beim Präparieren fielen ihm und seinen Mitarbeitern die zwei Steine auf, der gut erhaltene Abdruck eines Reptils und eines Flügels. Oder war es gar kein Flügel? Auftritt Stephan Spiekman. Der Holländer kam über Zürich und London nach Stuttgart, um sich mit Schoch den Steinen zu widmen.

Ein einziges Mal hatte man aus dem Trias eine ähnliche Struktur gefunden. In Kirgisistan. Schlechter erhalten. Und sie gab Rätsel auf: Denn auch darauf war etwas zu erkennen, was wie Flügel aussah. Aber Federn? In diesem Zeitalter? Was man da entdeckt hatte, blieb rätselhaft. Bis Spiekman ans Werk ging. Und eine „Federalternative“ entdeckte, die bei „so frühen Reptilien aus evolutionärer Sicht von großer Bedeutung und kaum zu überschätzen ist“. Ein Wundersaurier halt.

Ein winzigstes Teil nach Irland geschickt

Das sagt sich so leicht dahin. Aber es war ein langer Prozess vom Fossil zum Wunder. 2022 haben sie begonnen. Und mussten erst einmal schauen, was erhalten war. Um die Fossilien zu schützen, überzog man sie früher mit Leim und Lacken. Diese Schicht galt es zu entfernen, um festzustellen, ob Fragmente des Reptils erhalten geblieben waren. Um das mal ganz arg verkürzt so zusammenzufassen, für alle unter uns, die nicht Paläontologie studiert haben, sondern als Kind einen Dinosaurierpulli getragen und ihr Wissen bei „Was ist was“ oder tatsächlich bei „Jurassic Park“ gesammelt haben.

Der Kopf ist nun gut zu erkennen. Foto: Lichtgut

Tatsächlich sagt Spiekman, man habe dann winzige Organellen mit Melaninpigmenten nachweisen können. Dann einen Mikrometer, ein unvorstellbar winziges Teil, aus einem unvorstellbar alten Stein, gekratzt. Und nach Cork geschickt in Irland. Dort untersuchte man es und fand heraus, dass es keine Ähnlichkeit gab zu Haaren von Säugetieren oder Schuppen von Reptilien. Aber zu Federn. „Die Evolution hat tatsächlich bereits sehr früh, lange vor den Dinosauriern, eine Alternative zur Feder entwickelt“, sagt Schoch. Die älteste bekannte Dinosaurierfeder ist 150 Millionen Jahre alt. Also 100 Millionen Jahre jünger als unser Wundersaurier.

Ein Flieger?

Konnte der kleine Saurier tatsächlich fliegen? Nein, diese überlappenden Hautauswüchse waren tatsächlich ein Kamm, federartig, aber nicht so verzweigt und verästelt wie Flügel. Nun liege die Vermutung nahe, dass sich der Saurier damit entweder größer, also abschreckender auf Feinde, oder hübscher, also anziehender für Freunde machen wollte.

Das Urmel aus dem Elsass hätte grün sein können. Foto: Lichtgut

Aber warum weiß man, wie er aussah? Als man vorsichtig an einem der Steine kratzte, fand man, neben dem Skelett verborgen, den Kopf. Den konnte man tatsächlich mit dem Computertomografen durchleuchten. Entdeckte eine schmale fast zahnlose Schnauze, mit der der Saurier Insekten aus Baumhöhlen wühlen konnte. Im gewölbten Schädeldach fand sich eine noch nicht geschlossene Fontanelle, das heißt, der Saurier wuchs noch, war ein Jungtier. Aus all diesen Infos konnte man ein lebensechtes Modell erstellen, die Farbe allerdings ist geraten. Grün erscheint aus Gründen der Tarnung plausibel. Der Saurier konnte gut greifen, sowohl mit seinen Krallen als auch seinem Schwanz, ein Klettermaxe also, deshalb sitzt er auf einem Ast. Fliegen konnte er allerdings nicht. Aber auch so ist er ein großes Wunder. Auch wenn er eher klein daher kommt – das Urmel aus dem Elsass.