„Wenn man in diesen Tagen zu einem Vortrag eingeladen wird mit dem Titel ‚Die Zukunft, optimistisch gesehen‘, dann hält man den Redner wahrscheinlich für etwas weltfremd“, begann Professor Michael Rutz seine Rede im St.-Paulus-Dom. Doch er zeigte, warum trotz globaler Krisen Optimismus berechtigt sei. Ausgangspunkt war für ihn die „Atlantic Charta“ von 1941, in der Churchill und Roosevelt eine Welt „frei von Furcht und Not“ versprachen. Rutz zeichnete die davon ausgehenden positiven Entwicklungen nach: internationale Zusammenarbeit, medizinische Fortschritte, gestiegene Lebenserwartung und der Aufstieg der Europäischen Union als Friedensprojekt.
Gleichzeitig warnte er vor Herausforderungen: Der Westen habe an Einfluss verloren, bürokratische Lähmung und strategische Fehler hätten Vertrauen gekostet. Und weltweit würden autoritäre Modelle wieder an Attraktivität gewinnen. Rutz: „Selbst die Vereinigten Staaten von Amerika, bisher Leuchtturm freiheitlichen Denkens und multilateralen Handelns, werden unter unseren Augen gegenwärtig transformiert zu einem totalitären System. Der amerikanische Präsident geht dabei nach dem Lehrbuch für Diktatoren vor: Zuerst unterwirft er sich die Medien. Er bedroht Anwaltskanzleien, die es wagen, auch nur irgendeinen Prozess gegen ihn oder seine Regierung anzustrengen. Er untergräbt die Gewaltenteilung, er missachtet die Justiz und unterwirft sich die Universitäten und die Behörden der USA. Er fälscht die Fakten zu seinen politischen Gunsten. Wer nicht auf seine Linie einschwenkt, wird von ihm verhöhnt und als ,Feind Amerikas‘ beschimpft.“ Das demokratische Europa, das den Vereinigten Staaten bisher eng verbunden war, werde „natürlicherweise zum Systemfeind“
Zudem gebe es auch hier aus verschiedenen Gründen eine wachsende Unzufriedenheit. „Die Nörgelei über die Demokratie greift um sich, autoritäre Gesellschaftsmodelle gewinnen an Attraktivität und/oder an Durchsetzungskraft. Immer mehr Menschen hoffen wieder auf ein vom Staat betreutes Leben, in dem ihnen die Verantwortung für sich selbst abgenommen wird. Die Unmündigkeit nimmt zu“, warnte Rutz. Diesen Entwicklungen setzte er den menschlichen Freiheitsdrang entgegen. Er erinnerte an historische Freiheitsbewegungen – vom Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg über die Französische Revolution bis zum Arabischen Frühling. Freiheit setze jedoch Mut, Opferbereitschaft und aktive Verteidigung voraus.
Für Europa sieht Rutz entscheidende Stärken: eine stabile Wertebasis, die Vielfalt und Menschenwürde betont, eine bewährte demokratische Ordnung, wirtschaftliche und wissenschaftliche Leistungsfähigkeit sowie die Fähigkeit zur Solidarität. Deutschland habe seine Rolle als friedliche Mitte Europas gefunden, ohne territoriale Konflikte. Aber: „Wir selbst müssen jeden Tag den Mut aufbringen, diese Freiheit zu verteidigen, im Gespräch in der Familie, mit Freunden, mit Kollegen, kurz: überall da, wo wir uns in sozialen Zusammenhängen befinden und wo der Zeitgeist geprägt wird“, forderte Rutz.
Demokratie sei anstrengend, aber robust. Die Bundestagswahl 2025 mit 82,5 Prozent Wahlbeteiligung wertete er als Beleg für das Vertrauen der Bevölkerung. „Demokratie kann Krisen nicht einfach wegbefehlen und unwillkommenen Meinungen den Mund verbieten. Aber sie kann den Diskurs regeln und ordnen und Wege für den Konsens aufzeigen“, erklärte er.
Er ist überzeugt: „Die Apokalypse bleibt aus. Gerade uns Christen ist es aufgegeben, einer apokalyptischen Stimmung mit Gelassenheit entgegenzutreten und für eine neue ,Vertrauenskultur‘ werben. Der Bürger und seine Republik müssen wieder miteinander verwachsen.“
Die Vortragsreihe Domgedanken, die 2025 unter dem Titel „Zukunft Deutschland“ steht, geht am Mittwoch, 20. August, weiter mit dem Beitrag „Europa wird gelingen“ von Bundestagsmitglied Armin Laschet, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses und ehemaliger Ministerpräsident von NRW. Eine Anmeldung für die Termine ist nicht erforderlich. Der Eintritt ist frei, die Vorträge werden auf dem Youtube-Kanal des Bistums Münster live übertragen.
Christian Breuer