Bei vielen Patienten hat Krankenhausessen keinen besonders guten Ruf. Diese Erfahrungswerte sind nun auch wissenschaftlich untermauert: Unter Leitung einer Berliner Internistin hat ein Forschungsteam der Charité, des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und der Stanford University Speisepläne von deutschen Kliniken und Pflegeheimen analysiert. Außerdem bewerteten sie die Nährstoffzusammensetzung sowie die Umweltbilanz der Mahlzeiten.

Die Studie ist vor wenigen Tagen in dem angesehenen Fachjournal The Lancet Planetary Health erschienen. Warum das Essen in den Einrichtungen der Gesundheit sogar schadet, erklärt Studienleiterin Lisa Pörtner.

Frau Pörtner, Sie haben die Qualität der Mahlzeiten in Krankenhäusern und Pflegeheimen untersucht – mit welchem Ergebnis?

In den von uns untersuchten Kliniken und Pflegeheimen war das Essen überwiegend ungesund. Es enthielt zu viel gesättigte Fette, Salz und Zucker und zu wenig Ballaststoffe, Vitamine und Mineralstoffe wie Kalium oder Magnesium. Weniger als 20 Prozent der Kalorien stammten aus vollwertigen pflanzlichen Zutaten. Die wichtigsten Energiequellen waren tierische Produkte und ungesunde pflanzliche Lebensmittel wie Weißmehlprodukte oder Zucker. Außerdem haben wir festgestellt, dass die Verpflegung der Einrichtungen vermutlich einen größeren ökologischen Fußabdruck hat als bisher angenommen. Dieser wird vor allem durch die tierischen Lebensmittel bestimmt, für deren Produktion viel Land gebraucht wird und die eine schlechte Klimabilanz aufweisen. Insgesamt war die Übereinstimmung mit den Empfehlungen für eine gesunde und umweltfreundliche Ernährung, zum Beispiel mit der Planetary Health Diet [einem wissenschaftlichen Modell für eine zugleich gesundheitsfördernde und nachhaltige Essensweise; Anm. d. Red.],  sehr gering.

„Auch für kurze Klinikaufenthalte gesundheitsrelevant“

Dass das Essen in vielen Einrichtungen nicht besonders gut ist, entspricht der Erfahrung vieler Menschen. Sie schreiben in Ihrer Studie: Es schadet unserer Gesundheit sogar – warum?

In Senioreneinrichtungen liegt es auf der Hand, dass das Essensangebot die Lebensqualität und Gesundheit der Menschen potentiell langfristig beeinflusst. Eine schlechte Kost kann zum Beispiel das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen und mit einem stärkeren geistigen Verfall einhergehen. Aus Studien wissen wir, dass aber auch bei einem kurzen Klinikaufenthalt die Qualität des Essens gesundheitsrelevant ist. Ernährung im Krankenhaus kann zum Beispiel Einfluss nehmen auf das Risiko von Komplikationen wie Wundheilungsstörungen und Infektneigung. Die Kombination aus zu viel Salz und zu wenig Kalium kann zu Blutdruckentgleisungen führen.

Den Mahlzeiten in Pflegeheimen fehle es an ausreichend Proteinen, also Eiweiß, kritisieren Sie. Wie wirkt sich das aus?

Gerade im Alter ist eine ausreichende Proteinversorgung wichtig, um die Muskelkraft und damit die Selbständigkeit zu erhalten. Ein Mangel kann den Muskelschwund fördern, das erhöht das Risiko von Stürzen und Wundheilungsstörungen und zieht eine höhere Komplikationsrate bei medizinischen Behandlungen nach sich.

Neben den gesundheitlichen betonen Sie die ökologischen Aspekte. Dass unser Ernährungssystem insgesamt stark zum Klimawandel beiträgt, ist bekannt – doch spielen Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen mit ihrer Ökobilanz da nicht eine untergeordnete Rolle?

In Deutschland gehen etwa sechs Prozent der Treibhausgasemissionen auf das Gesundheitswesen zurück. Kliniken tragen dazu sehr viel bei, und in jeder einzelnen Einrichtung ist das Essensangebot durchaus ein Hebel, um den ökologischen Fußabdruck zu verringern. Es geht aber darüber hinaus auch um indirekte Effekte. Nur, wenn diese Einrichtungen eine Vorbildrolle einnehmen, können sie bei ihren Patientinnen und Patienten eine Änderung der individuellen Ernährungsweise anstoßen. Wir wissen, dass hierbei gerade die Gemeinschaftsverpflegung großen Einfluss hat. In den USA gibt es in manchen Kliniken McDonald’s-Filialen – und eine Studie zeigt, dass Patienten dieses Essen als gesünder wahrnehmen, weil es in einem Gesundheitskontext angeboten wird.

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Ana Rodríguez Heinlein

Zur Person

Dr. Lisa Pörtner ist Fachärztin für Innere Medizin mit Zusatzqualifikationen in der Ernährungsmedizin und der Geriatrie (Altersmedizin). Seit 2022 hat sie eine Forschungsstelle am Institut für Public Health der Charité sowie am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). In ihrer Arbeit geht sie der Frage nach, wie Gesundheitseinrichtungen eine gesunde und nachhaltige Verpflegung umsetzen können.

Als wichtigen Faktor sowohl für das ungesunde wie auch ökologisch schlechte Angebot machen Sie die Menge an Tierprodukten aus. In Deutschland ist die Ernährung traditionell sehr fleischlastig. Inwieweit sind ausgerechnet Kliniken und Pflegeheime, in denen Kranke gesund werden wollen und ältere Menschen ihren Lebensabend verbringen, die geeigneten Orte, um ein anderes Essverhalten durchzusetzen?

Wenn wir in unseren Gesundheitsrichtungen bei einer gesünderen und umweltfreundlicheren Verpflegung nicht vorangehen, wo dann? Gerade Kliniken haben die Möglichkeit, wissenschaftliche Evidenz in die Praxis umzusetzen und zu zeigen, dass eine stärker pflanzenbasierte Ernährung sowohl zur individuellen wie auch zur planetaren Gesundheit beiträgt. Sie können hierdurch eine wichtige Rolle in der Vermittlung einer gesunden Lebensweise einnehmen, die der Entwicklung von chronischen Erkrankungen in der Bevölkerung entgegenwirkt. Und der Klimawandel und das Artensterben bedeuten zunehmend auch eine massive Gesundheitskrise. Zum Schutz unserer Patientinnen und Patienten haben wir also die Verantwortung, die Umweltfolgen unserer Ernährung zu begrenzen. Erfreulicherweise ist es so, dass eine gesunde, stark pflanzenbasierte Ernährung auch besonders umweltfreundlich ist. Wir haben also eine Win-Win-Situation.

„Man kann es mit durchschnittlichem Budget besser machen“

Für die Einrichtungen ist das Essen vor allem ein Kostenfaktor. Wie kann da ein besseres Angebot gelingen?

Wir haben viele Interviews mit Verantwortlichen aus den Küchen und Geschäftsleitungen der Einrichtungen geführt. Bei der Frage, was einem besseren Essen im Weg steht, wurden die Finanzen tatsächlich ganz oft genannt. Wir sehen aber, dass es durchaus Einrichtungen gibt, die mit einem durchschnittlichen Budget vieles besser machen, zum Beispiel das Krankenhaus Havelhöhe und die Kliniken der Johannesstift Diakonie in Berlin. Mit dem Uniklinikum Essen stellt gerade eine sehr große Einrichtung ihre Verpflegung in einem Pilotprojekt auf die Planetary Health Diet um. Das zeigt, dass heute schon mehr möglich wäre. Oft fehlt es an Wissen, weshalb wir dringend Beratungsangebote für die Einrichtungen bräuchten. Aber stimmt aber, dass die Einrichtungen unter großem finanziellem Druck stehen. Das Wichtigste sind deshalb politische Rahmenbedingungen wie zum Beispiel verbindliche Qualitätsstandards für das Essen, auf die sich die Menschen verlassen können, und bessere finanzielle Voraussetzungen. Ohne die Politik werden wir Veränderungen in der Fläche nicht hinbekommen. Es gibt Senioreneinrichtungen, die mit einem Budget von 3,40 Euro für Lebensmittel pro Person und Tag arbeiten – das kann nicht ausreichen.

Ihre Studie umfasst lediglich zwei Kliniken und drei Pflegeheime – wie repräsentativ sind diese Daten?

Es ist eine kleine Stichprobe, die statistisch natürlich nicht repräsentativ sein kann. Allerdings handelte es sich um Einrichtungen mit eigener Küche, die meistens auch noch andere Heime, Kliniken oder Schulen beliefern. Aus meiner Erfahrung und der meines Umfelds habe ich den Eindruck, dass die Essensqualität, die diese Küchen anbieten, in den deutschen Gesundheitseinrichtungen sehr verbreitet ist. Wahrscheinlich spiegelt unsere Studie die Situation in Deutschland also gut wider.