In Mainz ärgern sich vermutlich 1099 Autofahrer. Sie haben in diesem Jahr eine mit 100 Euro belegte Verwarnung bekommen, weil sie keine grüne Plakette am Auto hatten oder darauf nicht das aktuelle Kennzeichen eingetragen war. Seit dem 11. Juni stellen die städtischen Ordnungshüter dafür keinen Strafzettel mehr aus, denn am 1. Oktober wird in Mainz die 2013 verordnete Umweltzone aufgehoben. Der Schritt der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt hat auch auf der rechten Seite des Rheins aufmerken lassen, denn die Umweltzone wurde vor zwölf Jahren gemeinsam mit Wiesbaden eingerichtet. Dort aber gilt sie ebenso weiter wie die anderen Umweltzonen in Darmstadt, Frankfurt, Limburg, Marburg und Offenbach. Ist die Luft in Hessen also schlechter?

Keineswegs, im Lauf der Jahre ist die Luft vielmehr zu beiden Seiten des Rheins besser geworden. Die geltenden Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid werden seit 2021 an allen hessischen Messstellen eingehalten, wie aus den Jahresberichten des Hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie hervorgeht. Und in der offiziellen Begründung der Stadt Mainz heißt es, die Jahres- und Tagesmittelwerte hätten zuletzt 2024 deutlich unter den Grenzwerten gelegen, so dass bei einer Aufhebung der Umweltzone keine Überschreitungen zu erwarten seien.

Bürger fragt nach Rechtfertigung

Tatsächlich ist die positive Entwicklung zwar die Bedingung, aber nicht der Anlass für das Mainzer Vorgehen. Die Stadt hält das Aufheben der Einfahrtsbeschränkung für „rechtlich geboten“, und das hat mit einer Entscheidung gegen das 2020 eingeführte Tempo 30 auf Hauptstraßen zu tun. Mainz hatte die Anordnung damals mit der Luftqualität begründet, doch ein Bürger legte dagegen erfolgreich Beschwerde vor dem Stadtrechtsausschuss ein. Eine Studie ergab, dass die Grenzwerte für Stickstoffdioxid wohl auch ohne Tempo 30 eingehalten würden.

Inzwischen hat sich ein anderer Bürger bei der Stadt gemeldet und gefragt, ob mit demselben Argument nicht auch die Umweltzone aufgehoben werden müsste. Umwelt- und Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Die Grünen) ließ das Rechtsamt prüfen, und am Ende stand die Erkenntnis, die Umweltzone sei angesichts der gesunkenen Schadstoffwerte womöglich nicht mehr gerichtsfest.

Andere Regeln für Umweltzonen in Hessen

Ganz ohne Urteil ist es also ein kurzer Prozess, der zum Ende der Mainzer Umweltzone geführt hat, anders als an ihrem Beginn. Mehr als zehn Jahre ist in den Städten des Rhein-Main-Gebiets um Beschränkungen und Fahrverbote gestritten worden. Immer wieder gaben Gerichtsurteile den Ausschlag dafür, dass Umweltzonen eingeführt wurden.

Selbst wenn sie wollten: So einfach wie Mainz können die hessischen Städte die Zonen nicht aufheben, weil die Rechtslage anders ist. Die Umweltzonen in Hessen sind Teil der Luftreinhaltepläne für die verschiedenen Regionen, die das Umweltministerium in Zusammenarbeit mit den Kommunen aufstellt. Das Haus von Minister Ingmar Jung (CDU) verweist darauf, dass die Bedeutung der Umweltzonen durch die Modernisierung der Autos kontinuierlich gesunken sei und sie derzeit einen „untergeordneten Einfluss“ auf die Luftschadstoffe hätten. In Frankfurt etwa fahren 98 Prozent aller Autos mit schadstoffreduzierten Motoren.

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Trotzdem sieht die Stadt Frankfurt nach Auskunft des Dezernats für Klima, Umwelt und Frauen eine Aufhebung kritisch, weil hierdurch der Eindruck entstehen könne, dass die aktuelle Luftbelastung als gesundheitlich völlig unkritisch einzustufen sei. Auch die Stadt Offenbach erkennt keinen Grund, die Umweltzone zurückzunehmen. Sie solle zum Gesundheitsschutz beibehalten werden. Die Stadt Darmstadt sieht sie als Teil eines langfristigen Konzepts zur Luftreinhaltung, das in Kombination mit den Fahrverboten auf der Heinrich- und der Hügelstraße die Stickoxid-Belastung im gesamten Stadtgebiet verbessert habe.

Die Zurückhaltung hat mit der im vorigen Oktober beschlossenen EU-Richtlinie über „Luftqualität und saubere Luft für Europa“ zu tun. Danach halbiert sich im Jahr 2030 der Grenzwert für Stickstoffdioxid von derzeit 40 Mikrogramm je Kubikmeter im Jahresmittel. Den künftigen Wert von 20 Mikrogramm überschreiten derzeit etliche Messstellen, etwa an der Darmstädter Hügelstraße mit 34,4, an der Mainzer Landstraße in Frankfurt mit 34,5 und an der Schiede in Limburg mit 35,9 Mikrogramm.

Die betroffenen Städte haben daher auf Initiative Darmstadts an das Ministerium geschrieben und gefordert, möglichst früh in die Aufstellung der Luftreinhaltepläne einzusteigen. „Wir müssen mit dem Ministerium erörtern, ob wir allein durch den geänderten Flottenmix die Grenzwerte von 2030 einhalten können“, sagt etwa die Wiesbadener Umweltdezernentin Christiane Hinninger (Die Grünen). Und offenbar mit einem Blick auf den linksrheinischen Nachbarn: „Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit.“ Schließlich wolle man nicht jetzt die Umweltzonen-Schilder ab- und in drei Jahren wieder anschrauben müssen.

Wie es mit den Umweltzonen in Hessen weitergeht, soll sich im nächsten Jahr entscheiden. Wegen der neuen EU-Luftqualitätsrichtlinie würden 2026 die Bestandteile der bestehenden Luftreinhaltepläne auf ihre Wirksamkeit hin überprüft, heißt es aus dem Umweltministerium. Dazu gehörten auch die Umweltzonen. Ob sie beibehalten würden oder nicht, werde das Ergebnis einer individuellen Wirksamkeitsüberprüfung für jede Stadt sein.