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2002: Das nahe Ende des Tschechen-Hafens (4 Min)

Stand: 14.08.2025 05:00 Uhr

Der Hamburger Hafen hat ein Geheimnis, das viele nicht kennen: Seit 1929 gibt es dort den sogenannten Tschechen-Hafen, wo einst die Elbe-Schifffahrt florierte. Aber das Ende dieser Epoche ist absehbar.

von Marc-Oliver Rehrmann

Hierhin verirren sich nur die wenigsten: In der Nähe der Elbbrücken, dort wo gerade der neue Stadtteil Grasbrook entsteht, zeigt sich der Hamburger Hafen von seiner tristen Seite. Zwei Grundstücke gehören hier zum Tschechen-Hafen: ein trostloser Parkplatz und ein Gelände mit einer Handvoll Gewerbe-Bauten. Vom einst so lebhaften Handel mit tschechischen Binnenschiffen ist nichts zu erahnen. Die goldene Ära des Tschechen-Hafens lag in den 1970er- und 80er-Jahren. Inzwischen sind die Hafenbecken verwaist. Sie sind hier ohnehin derart verschlickt, dass schon lange kein Schiff mehr am Anleger festmachen könnte. Ein verwittertes Schild in tschechischer Sprache ist der einzige Hinweis, dass diese Ecke des Hamburger Hafens eine besondere Geschichte zu erzählen hat.

Mit dem Versailler Vertrag fing es an

Der Tschechen-Hafen geht zurück auf den Ersten Weltkrieg. Das Deutsche Reich musste nach seiner Niederlage den Tschechen einen zollfreien Zugang zum Meer ermöglichen. Dies ist im Versailler Vertrag aus dem Jahr 1919 festgeschrieben. Ab 1922 laufen die Verhandlungen darüber, welche Grundstücke die Tschechen im Hamburger Hafen erhalten sollen. Die Hansestadt bietet zunächst den östlichen Teil des Spreehafens an. Die Tschechen sind nicht einverstanden. Erst im November 1929 unterzeichnen beide Seiten den Pachtvertrag. Die Tschechen erhalten die Ufer-Grundstücke am Moldau- und am Saalehafen. Nutzfläche: 28.540 Quadratmeter. Pachtdauer: 99 Jahre.

Der Tschechen-Hafen im Versailler Vertrag

Im Artikel 363 des Versailler Vertrages heißt es: „In den Häfen Hamburg und Stettin verpachtet Deutschland der Tschecho-Slowakei für einen Zeitraum von 99 Jahren Landstücke, die (…) dem unmittelbaren Durchgangsverkehr der Waren von oder nach diesem Staate dienen sollen.“

Hafenarbeiter: „Es war eine schöne Zeit“

Harald Hintz ist einer, der früher im Tschechen-Hafen gearbeitet hat. 16 Jahre lang: von 1986 bis 2002. „Es war eine schöne Zeit“, erzählt der Rentner dem NDR bei einem Rundgang durch den Tschechen-Hafen im Jahr 2013. Einst lagen hier Tag für Tag Dutzende tschechische Binnenschiffe. Das Klubschiff „Praha“ verwöhnte die Arbeiter mit böhmischer Küche, ein Werkstattschiff ermöglichte Reparaturen auf dem Wasser. Hintz war als technischer Inspektor angestellt – als einer von mehr als 100 deutschen Arbeitern im Tschechen-Hafen. „Im Grunde genommen bin ich das Mädchen für alles gewesen“, sagt Hintz.

Die großen Bierflaschen hießen „Elefantenspritzen“

Die Tschechen haben den Hamburger Hafen als Drehscheibe für ihre Waren genutzt. Die Frachtschiffe bringen beispielsweise Kaffee, Kakao, Futtermittel, Stückgut und Getreide in die Heimat. Exportiert werden später häufig Industriegüter. In den 1980er-Jahren verfügt die Tschechoslowakische Elbe-Schiffahrtsgesellschaft (ČSPLO) über mehr als 600 Binnenschiffe und Transportschuten. Bei den Deutschen ist ein Job im Moldau- und Saalehafen begehrt. Die Tschechen bezahlen die Deutschen besser als die eigenen Landsleute. „Die Deutschen haben das Acht- bis Zehnfache verdient“, weiß Hintz. „Ein tschechischer Arbeiter bekam auf dem Werkstattschiff nur einen Stundenlohn von drei D-Mark. Dafür hat er aber auch Unterkunft und Essen frei gehabt.“ Und das Geld hätten die Tschechen auf dem Schwarzmarkt zu einem guten Kurs umtauschen können, berichtet Hintz 2013.

Auf dem Klubschiff „Praha“ kehren deutsche und tschechische Hafenarbeiter ein. „Die 0,75 Liter-Flaschen mit tschechischem Bier hießen bei uns ‚Elefantenspritze'“, erinnert sich Hintz. Und wenn es ein Fußballturnier der Hafenfirmen gab, machten auch die Tschechen mit.

Nur linientreue Kommunisten

Zur Zeit des Kalten Krieges dürfen auf tschechischer Seite nur linientreue Kommunisten in Hamburg arbeiten. „Es kam nicht jeder her“, sagt Hintz. Die Männer hätten nur eine Arbeitsgenehmigung für ein halbes Jahr erhalten. „Die Genehmigung konnte aber verlängert werden, wenn sich jemand als tüchtiger Arbeiter erwiesen hatte“, erzählt Hintz. Die einfachen Arbeiter durften nicht mit Frau und Kinder nach Hamburg kommen. „Es wäre ja auch gar kein Platz für die Familien da gewesen.“ Oberstes Gebot für alle Tschechen: Nur nicht auffällig werden, damit sie nicht gleich zurückgeschickt werden. Es halten sich bis heute Gerüchte, dass der tschechische Geheimdienst im Moldau- und Saalehafen aktiv war.

Das Ende kommt mit der Wende

Der Niedergang des Hafengeländes begann mit der politischen Wende im Ostblock Ende der 1980er-Jahre. Die staatliche Reederei wird privatisiert, die meisten Schiffe werden abgegeben. Für Hintz beginnt eine bittere Zeit. „Es wurde nach und nach alles verkauft.“ Es bleiben nur 30 Schiffe. Die Situation ist auf Jahre hinaus unübersichtlich. Hintz spricht von Betrügereien und beklagt, dass sich viele Tschechen damals bereichert hätten. In den 90er-Jahren lohnt sich die Binnenschifffahrt nicht mehr. Längst können die Waren schneller und günstiger per Lastwagen transportiert werden. Viele tschechische Firmen setzen zudem auf die Bahn. 2001 meldet Europas einstmals drittgrößte Binnenschiffsreederei ČSPLO schließlich Konkurs an.

Aus dem Klubschiff wird ein Hotelschiff

Das Klubschiff "Praha" liegt im Saalehafen in Hamburg

Das Klubschiff „Praha“ diente jahrzehntelang als Rückzugsort für die Tschechen im Hamburger Hafen.

Das Klubschiff „Praha“ liegt nach dem Konkurs noch einige Jahre lang stumm im Saalehafen. Seit Mitte der 1950er-Jahre diente es als eine Art Seemannsheim für die Besatzungen der tschechischen Schlepper und Frachtkähne. Jetzt geht nur noch darum, einen Käufer zu finden. Mal hieß es, die „Praha“ solle künftig als schwimmendes Studentenwohnheim im Iran dienen. Dann ist von Interessenten aus Schweden die Rede. Einige Zeit lang wird das Klubschiff als Party-Location für Hamburger Nachtschwärmer wiederbelebt. „Später ist es dann nach Prag gebracht worden, wo es dann ein Hotelschiff war“, weiß der frühere Angestellte Hintz.

Das Werkstattschiff liegt bei einer Hamburger Werft

Das Werkstattschiff, das einst im Moldauhafen lag.

Das ausgediente Werkstattschiff wartet auf einer Hamburger Werft auf seine neue Bestimmung.

Auch das zweite schwimmende Denkmal des Tschechen-Hafens ist nicht verschrottet worden. Das Werkstattschiff „Vltava“ (auf Deutsch: Moldau) wurde 1980 auf der Werft in Lauenburg gebaut. „Das Werkstattschiff war einmalig auf der Elbe“, schwärmt Hintz 2013. „Es war eine schwimmende kleine Werft.“ In zwei Schichten erledigten die Arbeiter fällige Reparaturen an den tschechischen Binnenschiffen. „Aber wir haben auch Aufträge von deutschen Firmen ausgeführt“, berichtet Hintz stolz.

Zurzeit liegt die „Vltava“ im Elbwasser auf der Julius Grube Werft in Hamburg. Nach Informationen von NDR.de hatte die Otto Group mit Sitz in Hamburg das Werkstattschiff vor lange Zeit gekauft, um es zu einem Eventschiff für die Hafencity umzubauen. Die Bauarbeiten an Bord haben aber noch nicht begonnen. Dies bestätigte die Werft im Gespräch mit dem NDR im Sommer 2025.

Die Pacht läuft bis 2028 – dann ist Schluss

Der Pachtvertrag mit den Tschechen läuft noch bis November 2028. Dann sind die 99 Jahre abgelaufen und das Gelände fällt automatisch an die Stadt Hamburg zurück. So sieht es der Vertrag vor. Immer wieder hieß es in den 2010er-Jahren auf tschechischer Seite, man wolle den Moldau- und den Saalehafen wiederbeleben. Passiert ist bis heute nichts. Für die Tschechen ist das Gelände auch nicht mehr attraktiv.

Die Stadt Hamburg hat ohnehin kaum eine Handhabe, aus dem bestehenden Pachtvertrag herauszukommen. Zwar sind Kündigungsmöglichkeiten vorgesehen. Aber eine Kündigung könnte nicht einseitig erfolgen. Dazu wäre ein komplexes Verfahren notwendig. Die Stadt Hamburg sieht aber auch keine Dringlichkeit, vor Ablauf der 99-jährigen Pachtzeit noch etwas zu ändern.

Neue Zukunft im neuen Stadtteil Grasbrook

So soll der Grasbrook in Zukunft aussehen.

Auf dieser Visualisierung des neuen Stadtteils Grasbrook ist für das heutige Gelände des Tschechen-Hafens eine neue Bebauung vorgesehen.

Klar ist: Die Nachbarschaft des Tschechen-Hafens wird sich in den kommenden Jahren stark wandeln. Denn in Sichtweite entsteht das neue Stadtviertel Grasbrook – mit 3.000 Wohnungen und 16.000 Arbeitsplätzen. Für den Moldauhafen ist eine neue Moldauhafenbrücke geplant, die ab 2026 gebaut werden soll. Sie soll von den nahegelegenen Elbbrücken aus die U-Bahn ins Quartier bringen. Die ersten Gebäude im neuen Moldauhafen-Quartier sollen im Jahr 2028 errichtet werden.

Wohnungen sind hier nicht erlaubt

Auch die heutigen Flächen des Tschechen-Hafens sollen in dem neuen Stadtteil aufgehen – und zwar im Hafentor-Quartier. Die Hafenbehörde HPA und die Hafencity GmbH wollen die Grundstücke zu einem „urbanen gewerblichen Quartier“ entwickeln. Vorgesehen sind Gewerbe-Bauten, die in erster Linie für Hafenbetriebe zur Verfügung stehen sollen. „Wohnungen sind in dieser Lage wegen des hohen Lärmpegels nicht möglich“, sagt eine Hafencity-Sprecherin im Gespräch mit NDR Info. Unmittelbar neben den Grundstücken führt eine viel befahrene, mehrspurige Straße entlang.

Eine Besonderheit wird es weiterhin geben: Die Flächen des Tschechen-Hafens werden auch über das Jahr 2028 hinaus ein Teil des Hafengebiets bleiben – während alle weiteren Flächen des neuen Grasbrook-Stadtteils an die Hafencity-GmbH übertragen worden sind.

Aber noch ist der neue Stadtteil mit dem alten Tschechen-Hafen Zukunftsmusik. Fürs Erste verfällt das Gelände an Saale- und Moldauhafen weiter. So lange bleibt nur die Erinnerung an längst vergangene goldenen Zeiten.

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