Es war ein Abschied mit großer symbolischer Strahlkraft und persönlicher Tiefe: Nach mehr als zwei Jahrzehnten an der Spitze der Franckeschen Stiftungen ist Thomas Müller-Bahlke offiziell in den Ruhestand verabschiedet worden. Im prall gefüllten Freylinghausensaal des Historischen Waisenhauses, umrahmt von Klängen des Stadtsingechors, würdigten Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Kirche und Gesellschaft das Wirken des Mannes, der die „Glauchschen Anstalten“ seit 2003 geprägt und in nationale wie internationale Netzwerke geführt hat. Am Ende steht ein Lebenswerk, das weit über die Grenzen Halles hinausstrahlt – in Bildungsarbeit, Kulturgeschichte und interkulturellen Dialog.

Die bewegende Feierstunde markierte zugleich einen historischen Einschnitt: Mit Dr. Marianne Schröter übernimmt erstmals eine Frau die Leitung der traditionsreichen Einrichtung. Die gebürtige Hallenserin ist Theologin und Kulturmanagerin mit wissenschaftlicher Erfahrung an verschiedenen Universitäten und Forschungseinrichtungen. Ihre Berufung in die Direktorenstelle wird als Signal für Kontinuität und neue Impulse zugleich verstanden.

Die Liste der Gäste an diesem Nachmittag war lang und prominent: Halles Oberbürgermeister Dr. Alexander Vogt, Bildungsminister Jan Riedel, der ehemalige Ministerpräsident Christoph Bergner, Vertreter der Kirchen, der städtischen Unternehmen, der Universität sowie zahlreiche Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter aus drei Jahrzehnten begleiteten den Abschied. Auch zwei frühere Oberbürgermeisterinnen Halles, Dagmar Szabados und Ingrid Häusler, erwiesen Müller-Bahlke die Ehre.

Ein Lebensweg mit familiärer Prägung

Thomas Müller-Bahlkes Verbindung zu den Franckeschen Stiftungen ist tief in der Familiengeschichte verwurzelt. Geboren 1959 in Mexiko-Stadt, wo sein Vater als Auslandspfarrer tätig war, führte ihn der Weg über ein Theologiestudium in Göttingen und ein Forschungsstipendium in den USA nach Halle. Hier wurde er zunächst wissenschaftlicher Mitarbeiter, später Leiter des Archivs der Stiftungen – und schließlich Direktor. Schon sein Großvater war letzter Waisenhauspfarrer, der Vater wuchs auf dem Stiftungsgelände auf. Müller-Bahlkes eigene Kinder schließlich, wie er selbst sagte, „wuchsen mit den Stiftungen mit“.

In seiner Abschiedsrede blickte Müller-Bahlke auf 22 Jahre Leitung zurück – Jahre des Wiederaufbaus, der Profilbildung und der Öffnung in die Welt. Sieben Bundes- und fünf Landesregierungen habe er in dieser Zeit erlebt. Alle hätten die Stiftungen unterstützt, so seine Einschätzung. Die Entwicklung der Einrichtung zu einem international beachteten Ort der Bildung, Forschung und Kultur wurde maßgeblich durch sein Engagement geprägt.

Historische Tiefe – internationale Vernetzung

Unter Müller-Bahlkes Leitung wurden nicht nur die Gebäude denkmalgerecht saniert und die ursprünglichen Funktionen als Bildungs- und Forschungsstätte wiederbelebt, sondern auch historische Verbindungen neu geknüpft. Besonders prägend war sein Engagement für die Aufarbeitung und Belebung der Beziehungen nach Südindien. In Tharangambadi, dem ehemaligen Tranquebar, wo im 18. Jahrhundert hallesche Missionare wie Bartholomäus Ziegenbalg tätig waren, wurde 2017 in einem historischen Gebäude ein Museum für interkulturellen Dialog eröffnet – ein Projekt, das auf Müller-Bahlkes Initiative zurückgeht.

Ebenso bedeutend war die Anbahnung der Städtepartnerschaft mit Savannah im US-Bundesstaat Georgia. Auch hier bestehen historische Verbindungen zur pietistischen Bewegung um August Hermann Francke, die durch Müller-Bahlkes Arbeit wieder sichtbar wurden.

Sein Engagement für die sogenannte Wunderkammer – die einzige vollständig erhaltene barocke Sammlung dieser Art an ihrem Ursprungsort – führte nicht nur zur Wiedererschließung dieses besonderen Schatzes, sondern auch zur Gründung eines internationalen Netzwerks vormoderner Museen. Minister für Kultur Rainer Robra hob in seiner Rede hervor, wie Müller-Bahlke den kulturellen Wert dieser Sammlung für die Gegenwart nutzbar gemacht habe.

UNESCO-Bewerbung als bleibende Aufgabe

Ein zentrales Projekt seiner Amtszeit war die Bewerbung der Stiftungen um den Titel eines UNESCO-Weltkulturerbes. Der erste Versuch scheiterte 2015, doch unter seiner Leitung wurde der Bewerbungsprozess 2022 erneut aufgenommen. Die Vorarbeiten dazu reichen bis 2012 zurück. Robra betonte, wie langwierig und komplex ein solcher Antrag sei, verglich ihn mit einem Marathon. Doch es sei zu hoffen, dass sich der Einsatz am Ende auszahlen werde – für Halle und für das kulturelle Erbe Sachsen-Anhalts.

Persönliche Dankbarkeit und bewegende Rückblicke

Müller-Bahlke nutzte seinen Abschied, um auch persönlich Dank zu sagen – insbesondere seiner Frau Annemarlen, die ihn seit 45 Jahren begleitet und als „stärkste Verbündete und kritischste Begleiterin“ seinen Weg mitgeprägt habe. Auch seine Kinder hätten auf ihre Weise zur Arbeit an den Stiftungen beigetragen – sei es durch Geduld oder durch aktive Unterstützung.

Den Festvortrag hielt der indische Theologe Daniel Jeyaraij, der eindrucksvoll die Geschichte seiner eigenen Verbindung zu Halle und den Stiftungen erzählte. Seine Forschung über die Ursprünge des Christentums in Tamil Nadu führte ihn nach Halle – in eine Stadt, die er zunächst als fremd und schwierig erlebte. Doch mit der Zeit wurde sie für ihn ein Zuhause. Besonders bewegte ihn, dass sein eigenes Kulturerbe hier seit Jahrhunderten gepflegt und bewahrt werde.

Ein bedeutendes Kapitel endet – ein neues beginnt

Mit der offiziellen Staffelübergabe an Dr. Marianne Schröter endet eine Ära. Doch das Vermächtnis Müller-Bahlkes wirkt weiter – in den Programmen der Stiftungen, in den internationalen Beziehungen, in den laufenden Forschungsprojekten und nicht zuletzt in der wachsenden öffentlichen Wahrnehmung der Franckeschen Stiftungen als Ort lebendiger Geschichte und kultureller Vielfalt.

„Ich habe das Gefühl, meine Mission ist beendet“ – so beschloss Thomas Müller-Bahlke seine Amtszeit. Die neue Direktorin übernimmt eine Einrichtung im Aufbruch, mit einem starken Fundament und einer Geschichte, die durch ihre Vorgänger maßgeblich neu erzählt wurde.