Die Bundesbeamten haben Wissen und Macht wie sonst niemand in Bern. Dabei informieren sie gerne auch selektiv. Das zeigt sich derzeit bei den Erläuterungen zu den EU-Verträgen.

Das Bundeshaus in Bern, Wirkstätte vieler Propagandisten. Das Bundeshaus in Bern, Wirkstätte vieler Propagandisten.

Kerstin Bittner / Imago

Es sind finstere Gerüchte, die seit dem 1. August rund um den Zollkonflikt kursieren. Die Departemente von Ignazio Cassis und Beat Jans hätten die Verhandlungen mit den USA aus Rücksicht auf die EU verzögert, wird kolportiert. Man habe dem amerikanischen Präsidenten nicht etwas anbieten wollen, das man der EU mit den neuen Verträgen nicht auch zugestanden habe. Laut anderen Quellen sind diese Vorwürfe so bodenlos falsch, dass nicht einmal das Gegenteil davon wahr ist.

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Was stimmt oder was nicht, wird man wohl nicht in Gänze erfahren. Klar ist: Wäre es der Schweiz geglückt, schon frühzeitig eine vorteilhafte Vereinbarung abzuschliessen, hätten die EU-Gegner triumphiert und behauptet, dass die Schweiz eben allein am besten fahre. Umgekehrt geben die enorm hohen Zölle den Europa-Freunden Auftrieb, die argumentieren, dass die Verträge mit der EU nun noch dringlicher seien. Kommt hinzu: Es ist kein Geheimnis, dass einzelne Departemente in der Europafrage nicht neutral sind und den Abschluss der neuen Abkommen forcieren. Es wäre also keine Überraschung, wenn das politisch heiss umstrittene EU-Thema beim Umgang mit den USA tatsächlich eine Rolle gespielt hätte, zumindest im Hintergrund.

Übertrieben positiv

Generell sind der Einfluss und die Macht der Verwaltung nicht zu unterschätzen. Bei den EU-Verträgen zeigt sich das besonders ausgeprägt. Als der Bundesrat die Abkommen im Juni öffentlich machte, hatten auch die Diplomaten und Beamten ihre Auftritte vor den Medien. Sie zeigten sich als sehr selbstgewisse Gruppe, die das Vertragspaket mit einer Wagenburgmentalität verteidigte. Man lobte die eigene Arbeit, den pausenlosen Einsatz und garantierte, das Beste für die Schweiz herausgeholt zu haben.

Diese selbstbewusste Haltung kommt nicht von ungefähr. Niemand kennt das EU-Dossier besser als die Verwaltung. Einzig die Verhandler und Spezialisten in den Bundesämtern überblicken im Moment das Ausmass der Änderungen, die in den Verträgen enthalten sind. Es geht um gut 2000 Seiten Abkommenstexte, Protokolle, Erklärungen und Berichte. Der eigentliche Umfang ist aber noch viel grösser, denn die einzelnen Verträge verweisen jeweils im Anhang auf die Dutzende von EU-Rechtsakten, die zu übernehmen sind.

Wer beispielsweise wissen will, was in der Richtlinie 2004/35/EG «über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden» steht, welche die Schweiz beim Stromabkommen übernehmen würde, muss in die Sammlung des EU-Rechts eintauchen und sich durch Regelwerke lesen, die in einer anderen juristischen Sprache verfasst sind, als man sich das hierzulande gewöhnt ist. Das ist zeitaufwendig, mühselig und bringt selbst gestandene Juristen an ihre Grenzen, von Normalbürgern ganz zu schweigen. Auch die Medien finden nur schwer einen Zugang zu den Verträgen, der Einfachheit halber stützt man sich auf die von der Verwaltung ausgearbeiteten Faktenblätter und auf ihre Auslegungen.

Umso wichtiger wäre es, dass der Bundesrat und die Verwaltung die Öffentlichkeit möglichst sachlich und objektiv über die EU-Verträge informierten. Doch hier hapert es. Wer mit nüchternem Blick die Erläuterungen liest, kommt nicht umhin festzustellen, dass sie eine Schlagseite aufweisen. Vieles wird übertrieben positiv dargestellt, Unangenehmes kleingeredet, Verhandlungserfolge werden herausgestrichen, Zugeständnisse diskret abgehandelt oder ganz ausgelassen.

Propagandakrieg mit den Behörden

Dazu ein paar Beispiele. Der Bundesrat schreibt, dass die Volksrechte auch mit der dynamischen Rechtsübernahme «weiterhin in vollem Umfang gewährleistet» seien. Die Bürger könnten gegen ein erforderliches neues Gesetz «wie bisher» das Referendum ergreifen. Formell mag das stimmen, faktisch nicht. Mit der dynamischen Rechtsübernahme verpflichtet sich die Schweiz, in bestimmten Bereichen laufend neues EU-Recht zu übernehmen. Es handelt sich um ein Konzept, mit dem die Schweiz gesetzgeberische Souveränität abgibt – das ist mit der EU explizit so abgemacht. Es wirkt wie eine Schlaumeierei, wenn der Bundesrat in Brüssel die verbindliche Rechtsübernahme durch die Schweiz zusichert und zu Hause beschwichtigt, dass alles «wie bisher» weitergehe.

Beim politisch heissesten Dossier, der Zuwanderung, gibt es ebenfalls viel Zuckerguss. Die Schweiz würde sich mit der teilweisen Übernahme der EU-Unionsbürgerrichtlinie verpflichten, den Familiennachzug für gewisse Personengruppen zu erleichtern und ein Daueraufenthaltsrecht nach fünf Jahren Anwesenheit einzuführen. Das würde vor allem für Personen aus den östlichen EU-Staaten Vorteile bringen. Kein Grund zur Aufregung, tönt es aus der Verwaltung: Es werde sich kaum etwas ändern, denn in der Praxis handhabe man den Familiennachzug schon heute grosszügig. Bei solchen Aussagen stellt sich unwillkürlich die Frage, wie viel Eigenleben es in den Bundesämtern eigentlich gibt und warum heute offenbar Dinge praktiziert werden, für welche die Rechtsgrundlage erst geschaffen werden soll.

Wer in die Vertragstexte leuchtet, findet laufend weitere Beispiele, wie die Verwaltung sich um den «richtigen» Dreh bemüht. So muss die Schweiz bei den Pensionskassen eine EU-Regelung übernehmen, gegen die sie sich gesträubt hat: Künftig sollen Erwerbstätige, die von der Schweiz in die EU ziehen, sich ihr überobligatorisches Kapital nicht mehr auszahlen lassen können; das Geld bleibt bis zur Pensionierung in der Schweiz gesperrt. Gerade für Gutverdiener kann das einschneidend sein. Der Bundesrat hebt nun aber nicht die Änderung hervor, die die Schweiz wider Willen einführen muss, sondern betont vielmehr, dass man in den Verhandlungen bei den Zusatzrentenansprüchen auch Ausnahmen erzielen konnte. Das ist nicht falsch, aber es ist eben nur selektiv wahr.

Kurz: Die Spin-Doktoren in der Verwaltung haben kräftig gewirkt. Das sorgt für Irritationen. So hat der sonst so zurückhaltende Bündner Mitte-Ständerat Stefan Engler in einer Zeitungskolumne jüngst seinem Ärger Luft gemacht und die Frage gestellt, ob es sich noch um Information oder schon um Propaganda handle. Die Schönfärberei ist auch nicht klug, im Gegenteil, sie schadet der Glaubwürdigkeit und schürt Argwohn – und das nicht nur bei den EU-Kritikern, die ihre Meinung schon gemacht haben.

Die unangenehmen Dinge dürften früher oder später ohnehin ans Licht kommen, die Gegenseite holt langsam auf. Je einseitiger positiv die Verwaltung das Vertragspaket darstellt, desto einseitiger negativ äussern sich die Gegner. Und am Schluss ist man dort, wo man nicht sein möchte: in einem Propagandakrieg mit den Behörden.

Vom Hörsaal in die Amtsstube

Die Macht und die Dominanz der Bundesverwaltung sind nicht neu, doch sie nehmen zu. Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer davon ist der Ausbau der Kommunikation. Die Journalisten sehen sich heute einer gewaltigen Zahl von Pressesprechern gegenüber. Viele der PR-Leute beim Bund waren früher selber in den Medien tätig und beliefern nun ihre Ex-Kollegen mit Informationen, Sprachregelungen, Interpretationen. Das führt mitunter zu einer unguten Nähe zwischen Medien und Verwaltung. Kommt hinzu, dass die meisten Journalisten im Herzen Etatisten sind und es mit der Staatskritik nicht übertreiben wollen.

Ein weiterer, wichtiger Grund liegt in der Zentralisierung, die die Schweiz seit Jahren erlebt. Je weiter weg vom Bürger reguliert wird, desto schwerer ist es, die Bürokratie zu kontrollieren und zu bekämpfen. Das ist notabene nicht allein der Fehler der Verwaltung. Die Politik trägt das Ihre dazu bei, dass es immer mehr Vorschriften auf höherer Ebene gibt und die staatlichen Stellenetats aufgestockt werden. Obendrauf kommen die internationalen Vereinbarungen, besonders beliebt in der Form des angeblich harmlosen Soft Law. Sie werden durch Funktionäre ausgearbeitet und sind ein enormer Treiber von Regulierungen. Von demokratischer Legitimation muss man bei solchen Abmachungen gar nicht reden, politisch und juristisch aber spielen sie eine immer wichtigere Rolle. Am Hebel sitzen die Experten, die Beamten, die Richter, die Bürgernähe geht verloren.

Im Unterschied zu anderen Ländern hat die Schweiz keine Beamtenkaste, keine an Eliteuniversitäten ausgebildeten Staatsdiener. Doch auch hier kommen die Dinge ins Rutschen. So bieten Hochschulen nun eigens Lehrgänge an für Studenten, die in die öffentliche Verwaltung streben – vom Hörsaal direkt in die Amtsstube. Damit dürften bald noch mehr Personen mit ähnlicher Weltanschauung und Kultur im öffentlichen Dienst arbeiten; schon heute ist das uniforme Denken in der Verwaltung weit verbreitet. Wichtig wäre hingegen, dass vermehrt auch Personen zur Verwaltung stossen, die den Blick von aussen mitbringen. Wer setzt sich schon kritisch mit dem Staat auseinander, wenn er von ihm lebt und nichts anderes kennt?

Beamtenstaat und Expertokratie passen nicht zur Schweiz. Die Schweiz zeichnet sich traditionell durch eine vernünftige Staatsskepsis aus – das ist ihre Grundlage. Die Demokratie lebt nicht von jenen, die glauben, was ihnen die Obrigkeit erzählt, sondern von den Skeptikern.