Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) hat Richard Lutz am Donnerstag mitgeteilt, dass seine Zeit als Chef der Deutschen Bahn AG zu Ende geht. Das wurde dem Tagesspiegel aus Kreisen des Bahnkonzerns bestätigt, am Abend gab Schnieder dies bei einem kurzfristig anberaumten Pressestatement auch offiziell bekannt.
„Die Lage bei der Bahn ist dramatisch“, sagte Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder. Es sei Zeit für eine Neuaufstellung – sowohl strukturell als auch personell, erklärte der CDU-Politiker nach Gesprächen mit Bahn-Aufsichtsratschef Werner Gatzer und Lutz selbst. Deshalb habe man sich darauf geeinigt, den noch bis 2027 laufenden Vertrag des Bahnchefs vorzeitig einvernehmlich zu beenden. Lutz bleibe im Amt, bis seine Nachfolge geregelt sei.
Mit dem Austausch von Köpfen an der Spitze der Bahn wird es nicht getan sein.
Julia Verlinden, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen
Die Grünen im Bundestag riefen nach der Personalentscheidung zu hohen Investitionen in das Schienennetz auf. „Mit dem Austausch von Köpfen an der Spitze der Bahn wird es nicht getan sein“, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Julia Verlinden, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Vielmehr seien nun „massive Investitionen in die Schiene“ nötig, damit die Bahn wieder funktioniere, betonte sie. Das Sondervermögen sei die Voraussetzung für diese Investitionen – jetzt sei die Regierung am Zug, sagte sie.
Grüne kritisieren Maßnahmen der Bahn unter Schwarz-Rot
Die bisherige Arbeit der Regierung im Zusammenhang mit der Deutschen Bahn kritisierte Vierlinden. „Schwarz-rot hat in 100 Tagen mit zweifelhaften Maßnahmen wie der Streichung der günstigen Familienreservierungen, der angekündigten Rücknahme der Bahnfinanzierung aus der LKW-Maut und der Weigerung, das Deutschlandticket langfristig günstig abzusichern, gezeigt, dass ihnen die Interessen der Bahnkunden herzlich egal sind“, erklärte sie.
Schnieder will am 22. September seine „Agenda für zufriedene Kunden auf der Schiene“ vorstellen – also Eckpunkte zur Reform der Deutschen Bahn. „Ich habe immer gesagt: erst die Strategie, dann das Personal“, betonte der CDU-Politiker. „Unser Konzept steht in den Grundzügen, jetzt gilt es, die passende Person zu finden, die es umsetzt.“
Er bin sicher, dass er auch in den verbleibenden Wochen alles für die Schiene geben wird.
Verkehrsminister Patrick Schnieder über Bahnchef Richard Lutz
Für diesen Auswahlprozess gelte „Gründlichkeit und Sorgfalt vor Schnelligkeit“. Im Idealfall könne man bereits am 22. September eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für Lutz präsentieren, sagte Schnieder. Nachdem Schnieder Lutz seinen Abgang verkündet hat, kann er nun einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin suchen – ohne Angst, dass der geplante Wechsel an der Konzernspitze an die Öffentlichkeit durchsickert.
Lutz ist bei vielen seiner Ziele gescheitert
Schnieder dankte Lutz für sein „großes Engagement in schwierigen Zeiten bei der Bahn“. Er sei sicher, dass Lutz „auch in den verbleibenden Wochen alles für die Schiene geben wird“. Der Aufsichtsratsvorsitzende Gatzer erklärte, Lutz habe der Bahn viele Impulse gegeben.
Der 61-Jährige hat fast seine gesamte Karriere in der Deutschen Bahn AG verbracht. 1994 fing der Betriebswirt dort als Controller an. 2010 wurde er Finanzvorstand. Nachdem Rüdiger Grube als Bahnchef zurücktrat, übernahm Lutz das Amt zunächst kommissarisch.
Die Deutsche Bahn befand sich während Lutz‘ Amtszeit nahezu durchgehend in der Krise. Seit 2020 schreibt der Staatskonzern Jahr für Jahr teils hohe Verluste. 2024 lag das Defizit nach Steuern und Zinsen bei 1,7 Milliarden Euro. Zugleich verärgerte die DB ihre Kunden, weil Bahnreisen zuletzt immer weniger planbar waren. Seit 2022 erreichten weniger als zwei Drittel der Fernzüge pünktlich das Ziel.
Um das Problem zu beheben, verkündete Richard Lutz mit dem damaligen Verkehrsminister Volker Wissing im Sommer 2022 die Generalsanierung von über 40 Hauptkorridoren bis 2030. Die Strecken werden dafür monatelang vollständig gesperrt. An diesem Konzept hält auch die neue Bundesregierung zumindest vorerst fest. Allerdings soll die Sanierung aller Korridore nun erst 2036 abgeschlossen werden.
Andere Ziele aus Lutz’ Amtszeit erscheinen kaum noch erreichbar. So hat Lutz das Ziel ausgegeben, die Fahrgastzahlen bis 2030 zu verdoppeln. 25 Prozent aller Güter sollten dann über die Schiene transportiert werden. Tatsächlich trennt sich die Güterverkehrstochter DB Cargo aktuell von vielen Transportaufträgen. DB-Fernverkehrschef Michael Peterson hat aus wirtschaftlichen Gründen bereits einige Intercity-Verbindungen nach Thüringen, ins Sauerland und ins Allgäu aufgegeben. Er erwägt, weitere Linien in die Provinz einzustellen.
Damit wächst der Druck auf den Verkehrsminister enorm.
Dirk Flege, Geschäftsführer der Alianz pro Schiene
Kritiker des Bahnchefs erhoffen sich nun eine Chance auf einen grundlegenden Kurswechsel beim bundeseigenen Konzern. „Lutz hat die angebliche Rückbesinnung auf die „Eisenbahn in Deutschland“ intern nie konsequent umgesetzt“, teilte der Geschäftsführer des Wettbewerberverbands Die Güterbahnen, Peter Westenberger, mit Blick auf die früheren zahlreichen Auslandsaktivitäten der Bahn mit. „Es ist dankenswert, dass er jetzt den Weg freimacht für eine neue Strategie und neue Köpfe.“
Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) begrüßte die Entlassung des Bahnchefs und erklärte, diese sei „eine notwendige Konsequenz des jahrelangen Missmanagements, das die Deutsche Bahn immer tiefer in die derzeitige Krise geführt hat“.
Wie die neue Strategie für die Bahn aussehen wird, ließ Schnieder am Donnerstag noch weitgehend offen. „Die Bahn muss pünktlich, sicher und sauber sein, der Konzern muss schneller, schlanker, schlagkräftiger und auch wirtschaftlicher werden“, sagte er lediglich.
Ursprünglich hatte Schnieder angekündigt, erst nach der strategischen Neuausrichtung über eine Neubesetzung des Vorstands zu entscheiden. Nun kam er offensichtlich zu dem Schluss, dass der vielkritisierte Lutz nicht länger haltbar ist. Er gilt seit Wochen als Bahnchef auf Abruf, nachdem CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag festlegten, dass der Bahnvorstand sowie der Aufsichtsrat des Konzerns neu besetzt werden soll.
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„Damit wächst der Druck auf den Verkehrsminister enorm“, urteilt Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene. „Er muss nun innerhalb weniger Wochen die längst überfällige Bahnstrategie der Regierung vorstellen und den dazu passenden Vorstandsvorsitzenden gleich mit.“ (mit Reuters, dpa)