EU-Präsidentin Ursula von der Leyen am Rednerpullt im EU-Parlament

Foto: Alexis Haulot. Copyright: © European Union 2025 – Europäisches Parlament

Europäisches Medienfreiheitsgesetz: Kritiker warnen vor einem trojanischen Pferd mit weitreichenden Eingriffsrechten. Wer behält die Kontrolle? Analyse und Kommentar.

„Die EU schützt die Meinungsfreiheit“ – eine solche Nachricht dürfte beim Peter-Thiel-gepushten Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten, JD Vance, wohl für Lacher sorgen.

Aber auch hierzulande hat die EU-Kommissionspräsidentin in bestimmten Kreisen zuletzt teilweise bitterböse Kommentare für ihre Rede in Finnland erhalten, bei der sie protestierenden Zwischenrufe mit der Warnung begegnete, in anderen Staaten würden die Störer „binnen zwei Minuten im Gefängnis landen“.

Und ohne Zweifel wäre die eingangs genannte Behauptung vor dem Hintergrund der Affären „Schwachkopf“, „Ich hasse die Meinungsfreiheit“ oder der berüchtigten 60-Minutes-Sendung des US-Senders CBS über das Vorgehen deutscher Staatsanwälte zumindest – diskutabel.

Und doch hat die EU dieser Tage verkündet, eben jene Meinungs- bzw. Pressefreiheit nun besser denn je schützen zu können. Der European Media Freedom Act (deutsch: Europäisches Medienfreiheitsgesetz), 2022 erstmals als Vorschlag von der Kommission ins Parlament eingebracht und im März 2024 von diesem verabschiedet, ist am 8. August 2025 in Kraft getreten.

Ergänzung des umstrittenen Digitale-Dienste-Gesetzes

Den Aussagen der Kommission zufolge adressiert der EMFA „die fragmentierten nationalen Regulierungsansätze“ bezüglich Medienfreiheit, Medienpluralismus und redaktioneller Unabhängigkeit. Er verbessert „das Funktionieren des Binnenmarkts für Mediendienste“ und verhindert „Hindernisse für die Tätigkeit von Mediendiensteanbietern in der EU“.

Das Gesetz wird explizit als Ergänzung des wegen potenzieller Eingriffe in die Meinungsfreiheit viel diskutierten Digital Services Acts (DSA) sowie des Digital Markets Acts (DMA) beschrieben und soll „spezifische Probleme des Sektors, die DSA und DMA nicht vollständig abdecken“, behandeln.

Zudem soll das Gesetz einen „klaren, rechtlich bindenden Rahmen für nationale Regulierungsbehörden“ schaffen, der Anbietern entgegentritt, die „systematisch Desinformation verbreiten“, inklusive „Informationsmanipulation und Einmischung“ („foreign information manipulation and interference“, FIMI) und diesbezüglich den Binnenmarkt missbrauchten.

Explizit erwähnt werden dabei „staatlich kontrollierte Mediendienstanbieter, die von bestimmten Drittstaaten finanziert werden“. Es liegt viel von Russia Today und „ausländischen Akteuren“ in diesem Satz. Aber dazu später.

Quellenschutz, Staatsüberwachung, Desinformation

Die zentralen Schwerpunkte des neuen EU-Gesetzes (hier im Wortlaut) lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Schutz journalistischer Quellen und Verbot unzulässiger Überwachung (Art. 4): Journalisten dürfen nicht gezwungen werden, ihre Quellen offenzulegen, und der Einsatz von Überwachungssoftware (Spyware) ist nur in eng definierten, schwerwiegenden Fällen erlaubt. Dabei sind richterliche Genehmigungen und Verhältnismäßigkeitsprüfungen vorgeschrieben.

Einrichtung des Europäischen Gremiums für Mediendienste (European Board for Media Services, Art. 8, 9) als Nachfolger der Europäischen Regulierungsgruppe für audiovisuelle Mediendienste (ERGA) ab 2025. Aufgabe des Gremiums ist die vertiefte Beratung und Koordinierung der nationalen Aufsichts- bzw. Regulierungsbehörden.

Transparenz bei Medieneigentum und Interessenkonflikten (Art. 6, 32-33): Medienunternehmen müssen Informationen zu Eigentümern offenlegen, um Interessenkonflikte für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Nationale Regulierungsbehörden sollen Datenbanken zu Medieneigentümern führen.

Regelungen für sehr große Online-Plattformen (VLOPs) (Art. 17, 18, 19, 50): Plattformen sind verpflichtet, Medieninhalte nicht willkürlich zu entfernen („Stay-Up“-Regelung von 24 Stunden) und müssen Medienunternehmen vor einer Inhaltslöschung eine Begründung geben sowie die Möglichkeit zur Stellungnahme einräumen.

Ebenso ist ein „struktureller Dialog“ zwischen der Aufsichtsbehörde und den VLOPs vorgesehen, indem diese gemäß dem Desinformationskodex (Telepolis berichtete) nachweisen müssen, dass sie Nutzer vor „schädlichen Inhalten schützen, einschließlich Desinformation sowie ausländischer Informationsmanipulation und Einmischung“.

Medienkonzentration und staatliche Werbung (Art. 20, 21, 24): Zusammenschlüsse werden künftig nicht nur wettbewerbsrechtlich, sondern auch hinsichtlich der Auswirkungen auf Medienvielfalt und redaktionelle Unabhängigkeit geprüft. Die Zuweisung staatlicher Werbung an Medien muss transparent und nicht diskriminierend sein.

Trotz seines mehrheitlichen Beschlusses im EU-Parlament hat der EFMA bereits vor seinem offiziellen Inkrafttreten viel Kritik geerntet.

Diese reicht von Vorwürfen um „verwässerte“ Bestimmungen bis hin zu einem „offenen Angriff auf die Pressefreiheit“. Und dieser Vorwurf stammt nicht etwa von Ultrarechten aus Übersee oder Osteuropa.

Von „Verwässerung“ bis „Angriff auf die Pressefreiheit“

Netzpolitik.org hält in einer Ticker-Meldung zum Inkrafttreten des EFMA fest, dass die Bestimmungen zum „Schutz von Journalist*innen vor staatlichem Hacking verwässert“ worden seien.

Bereits 2023 hatte sich das Medium kritisch dazu geäußert, dass Ausnahmen im Rahmen von „nationaler Sicherheit“ zwar explizit gestrichen wurden, entsprechende Bezugnahmen auf die nationale Sicherheit und Ausnahmen im Falle eines „Allgemeininteresses“ bzw. bei schweren Straftaten mittelbar jedoch bestehen blieben.

Ähnlich kritisch, wenngleich im Wesentlichen zustimmend, liest sich die offizielle Stellungnahme von Patrick Breyer, ehemaliger Europaabgeordneter der Piratenpartei und prominenter Gegner der sogenannten Chatkontrolle-Verordnung.

Er kommt dabei allerdings auch auf den „Ausländische-Akteure“-Tenor des Gesetzestextes und den möglichen Einfluss des neuen Aufsichtsgremiums zu sprechen:

Das geplante Europäische Gremium für Mediendienste soll bedenklicherweise ‚Maßnahmen gegen ausländische Medien‘ koordinieren. Wenn wir aber anfangen, den Zugang unserer eigenen Bürger zu ausländischen Informationsquellen abzuschneiden und Auslandsmedien zu zensieren, ist das aus meiner Sicht nicht vereinbar mit den Grundsätzen eines freien Landes und eines mündigen Bürgers. Dem EU-Medienfreiheitsgesetz fehlt zudem ein Schutz legaler Medieninhalte vor Plattformzensur. So bekommen die willkürlich festgelegten AGB der Social Media-Konzerne quasi Vorrang vor der Pressefreiheit.

Piraten zum EU-Medienfreiheitsgesetz (European Media Freedom Act): Kritik darf nicht verstummen (Fettung d.A.)

Auch der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), der hinter sich große Namen wie Axel Springer, die Madsack Mediengruppe oder die Südwestdeutsche Medienholding versammelt, hat in einem offenen Brief „ernsthafte Bedenken“ gegenüber einer „europaweiten Harmonisierung“ auf Kosten „etablierte(r) rechtliche(r) Rahmenbedingungen in den Mitgliedsstaaten“ angemeldet.

Einen deutlich schärferen Ton schlägt der Medienverband der Freien Presse (MVFP) an, wenn er vor einem „Angriff auf die Pressefreiheit“ schreibt. So hält er seine Pressemitteilung fest:

Gleichzeitig unterwirft der Vorschlag der Kommission die freie Presse in Europa einer zentralen europäischen Aufsichtsbehörde unter Beteiligung der Kommission selbst. Die Delegierten des Medienverbands der freien Presse lehnen diese von Brüssel geplante Kontrolle ihrer publizistischen Freiheit aus sehr grundsätzlichen Überzeugungen ab. (…)

Was offline legal ist und ungehindert über Einzelhandel und Post verbreitet werden darf, muss auch online und auf allen Wegen der digitalen Distribution ungehindert verbreitet werden können. (…) Wenn einzelne EU-Mitgliedstaaten oder die Europäische Union stattdessen durch Gesetze und Richtlinien entscheiden, dass Torwächterplattformen anhand ihrer AGBs und auf der Grundlage eines Desinformationskodexes rechtmäßige Presseartikel sperren dürfen, ist das ein gefährlicher Rückschritt.

Pressefreiheit wird dann in einem durch Plattformen kontrollierten oder dominierten Internet nicht mehr existieren.

MVFP, Media Freedom Act ist Angriff auf die Freiheit der Presse (Fettung d. A.)

Dem Verband gehören insgesamt rund 350 Verlage mit mehr als 6700 Zeitschriftentiteln an, darunter auch Heise Medien, die Spiegel-Gruppe sowie die Funke Mediengruppe.