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„Es ist ein Thema, über das keiner richtig spricht“, sagt ein Gastronomie-Berater aus der Schweiz und warnt vor einem Trend, der auch Restaurants in Deutschland treffen könnte.

„Ich war vor kurzem mit acht Freunden im Restaurant essen, sechs von ihnen haben Mounjaro genommen. Alle haben sich beschwert, dass sie nichts essen können und ihnen schlecht ist“, schreibt eine Person unter ein TikTok-Video. In dem Clip geht es um Menschen in Restaurants, die Abnehmspritzen nehmen und in ihrem Dessert herumstochern. Er ist einer von zehntausenden, die das veränderte Essverhalten durch Ozempic, Wegovy und Mounjaro thematisieren. „Warum geht ihr dann überhaupt essen?“, fragt eine andere Person. „Berechtigte Frage“, antwortet sie.

Ein besorgniserregender Restaurant-Trend, der in den USA medial inszeniert und über soziale Netzwerke verbreitet werde, sagt der Schweizer Gastronomie-Berater Daniel Marbot BuzzFeed News Deutschland von Ippen.Media. „Bei uns in Europa verbreitet er sich still und heimlich.“ Gerade in Kantinen beobachte er „deutlich“, wie sich der Trend auf die Gastronomie auswirke. Auch in klassischen Restaurants sehe er Umsatz-Rückgänge. Besonders bei Vorspeisen, Desserts und alkoholischen Getränken. „Bis heute haben das viele Planer und Betreiber noch nicht wirklich realisiert“, warnt er.

Ozempic, Wegovy und Mounjaro: Abnehmspritzen könnten bald günstiger werden

In den USA nutzen mehr als fünf Prozent der Bevölkerung Abnehmspritzen wie Wegovy, Ozempic oder Mounjaro. In den vergangenen fünf Jahren schossen die Aktien der entsprechenden Hersteller Eli Lilly (USA) und Novo Nordisk (Dänemark) in die Höhe. Bald laufen ihre Patente aus und es dürften generische Abnehmmedikamente (sogar in Tablettenform) auf den Markt kommen, die 60 bis 70 Prozent günstiger sind. Schätzungen von Ökonomen gehen davon aus, dass es weltweit bald mehr als eine Milliarde Anwenderinnen und Anwender geben könnte.

„Sobald Preis und Zugang einfacher werden, wird sich das auch im gastronomischen Alltag widerspiegeln“, sagt Marbot BuzzFeed News Deutschland. Er habe Gäste befragt und sei überrascht, wie viele innerhalb der Generation Z die Abnehmspritzen nehmen würden. „Ich höre von Gästen, dass sie Abnehmspritzen nehmen und ihnen eine Vorspeise reicht“, sagt der Gastro-Experte. Wie auch in Deutschland werden sie in der Schweiz nur von der Kasse übernommen, wenn eine Krankheit wie Diabetes vorliege. „Aber viele kaufen sie privat. 200 Franken im Monat – das ist für viele gut investiertes Geld, weil sie dann weniger essen gehen. Es ist verblüffend“, sagt Marbot.

Das TikTok-Video, in dem Restaurant-Gäste nur ein winziges Stückchen vom Tiramisu in den Mund schieben, findet er gar nicht lustig. „Wenn Leute in einer Gruppe essen gehen und einer nimmt so ein Abnehmmedikament, dann greift das um sich. Plötzlich will keiner mehr richtig essen.“ Seiner Meinung nach müssten Restaurants frühzeitig auf diesen Trend reagieren und über Strategien wie beispielsweise verschiedene Portionsgrößen nachdenken. „Viele Gastronomen sagen, die Umsätze sind zurückgegangen, weil es im Juli geregnet hat oder die Leute kein Geld mehr ausgeben wollen. Das stimmt alles. Aber diese Abnehmspritzen sind ein Thema, über das keiner richtig spricht.“

„Heute nehme ich eher einen großen Salat“ – mit Abnehmspritze im Restaurant

Einer, der weiß, wie Abnehmspritzen wirken und welche Nebenwirkungen sie haben, ist Marc S.* Der 48-Jährige nimmt seit etwa einem Jahr Mounjaro, weil sein Übergewicht in Verbindung mit seinem Diabetes Typ I gesundheitsbedenklich wurde. Heute wiegt er 20 Kilogramm weniger, spritzt sich weiterhin wöchentlich fünf Milligramm des Wirkstoffs Tirzepatid. Dieser wirkt sich unter anderem auf das Sättigungsgefühl und die Geschwindigkeit der Magenentleerung aus. „Alles bleibt länger drin. Dadurch hast du keinen Hunger. Appetit ja, aber deutlich weniger. Wenn du ans Essen denkst, sagt dir der Bauch plötzlich, ‚Du bist doch voll‘.“

RestaurantVerbreitet sich in Europa ein besorgniserregender Restaurant-Trend? Ein Gastronomie-Berater aus der Schweiz glaubt das zumindest. (Symbolbild) © IMAGO / NurPhoto

Zum Beispiel jetzt hätte er Lust auf ein Eis, aber in dem Moment, wo er daran denke, sage ihm sein Bauch: „Eigentlich brauchst du nichts. Das ist manchmal schon ein bisschen komisch.“ Wir fragen Marc, wie sich die Abnehmspritze auf sein Verhalten beim Essengehen auswirkt. „Ich esse deutlich weniger“, sagt er BuzzFeed News Deutschland. Früher habe er viel Beilagen wie Pommes oder Spätzle im Restaurant gegessen. „Heute nehme ich eher einen großen Salat mit Fisch oder Steak. Ich brauche die Kohlenhydrate nicht, und sie fühlen sich auch nicht gut an.“

Es sei nicht so, dass er im Restaurant nur noch eine Vorspeise bestelle, sagt Marc. Dafür müsse er ja nicht extra essen gehen, da spare er sich seinen wenigen Hunger lieber den ganzen Tag fürs auswärts essen auf. Aber er bestelle keinen eigenen Nachtisch mehr. „Heute teilen wir uns eher ein Dessert zu fünft“, sagt der Familienvater. Dass er die Abnehmspritze nehme, habe sich zum Teil auch auf seine Frau und Kinder ausgewirkt. „Wir essen mehr Gemüse und Salate, weniger Fettiges. Beim Frühstück gibt es jetzt oft Joghurt mit Haferflocken statt Brötchen.“ Und: Wir gehen einfach weniger auswärts essen. „Es ist ja sowieso alles so teuer geworden.“

Ein junger Mann macht sich in einem TikTok-Video über Leute im Restaurant lustig, die Abnehmspritzen nehmen. (Symbolbild)Ein junger Mann macht sich in einem TikTok-Video über Leute im Restaurant lustig, die Abnehmspritzen nehmen. (Symbolbild) © Screenshot TikTok @ka.birrAbnehmspritzen: Ein New Yorker Restaurant reagiert mit einem neuen Menü

Laut einer Umfrage des digitalen Abnehmprogramms Oviva können sich 16,4 Prozent der Deutschen vorstellen, eine Abnehmspritze zu verwenden. In der deutschen Gastronomie-Branche scheint das Thema jedoch noch nicht relevant. Dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) liegen zu dem Thema noch keine Erkenntnisse vor, teilt uns ein Sprecher mit. Wir fragen bei bekannten Spitzengastronomen nach.

Von ihnen möchte sich niemand offen zum Thema Abnehmspritzen äußern. Einer sagt, dass sie zwar durchaus Gäste haben, die Abnehmspritzen nehmen, sich das bisher aber nicht negativ auf die Umsätze ausgewirkt habe. Er möchte keine Aufmerksamkeit für einen Trend wecken, den er in Deutschland noch nicht erkennen könne. „Der Umgang mit veränderten Essgewohnheiten ist für viele Gastronomen ein sensibles Thema, auch weil man nicht immer weiß, wie Gäste oder Mitbewerber darauf reagieren“, sagt Marbot.

Wir fragen deutsche Gastronomie- und Hotel-Berater an. „Wir haben ein Problem in der Gastronomie, weil die Menschen weniger Geld zum Essen gehen haben, aber das hat nichts mit Abnehmspritzen zu tun“, sagt Moritz Dietl von Treugast BuzzFeed News Deutschland. Und weiter: „Dass Menschen im Sommer weniger essen, hat es schon immer gegeben.“

Laut Gastronomie-Berater Andreas Bartelt habe es schon „immer irgendwelche Abnehmhypes“ gegeben. „Selbst wenn einer von zehn Gästen weniger isst, das wird sich nicht auf die Umsätze auswirken.“ Und falls doch, würde er seinen Kunden in Zukunft noch mehr zu Qualität statt Quantität raten. Zum Beispiel mit einem speziellen Menü für diese Zielgruppe. So wie im New Yorker Restaurant „Clinton Hall“. Dort gibt es seit April das „teeny-weeny mini meal“ (dt. „Klitzekleines Mini-Menü“) bestehend aus zehn Pommes und einem Burger der etwas größer ist als ein Tischtennisball.

*Weil wir die Persönlichkeitsrechte von Marc S. schützen wollen, kürzen wir seinen Nachnamen ab. Sein voller Name ist der Redaktion bekannt.