In immer mehr verteidigungspolitischen Fragen scheint es Differenzen zwischen Berlin und Paris zu geben – zuletzt bei der von Berlin forcierten Initiative, europäische Nato-Staaten sollten in den USA Waffensysteme für die Ukraine kaufen. Frankreich will sich daran nicht beteiligen, und will stattdessen eine „maximale Präferenz für europäische Käufe“ für die Ukraine, sagte Regierungssprecherin Sophie Primas. Nun könnte ein großer Streit bei dem gemeinsamen Projekt eines künftigen Kampfjets der 6. Generation, dem Future Combat Air System (FCAS), das ein ganzheitliches integriertes Luftkampfsystem sein soll, gar zu dessen Scheitern führen. Das FCAS steht eigentlich unter dem Vorzeichen, ein genuin europäisches System zu entwickeln, um mit Modellen, die von den USA, aber auch von China, Russland sowie von Großbritannien, Italien und Japan entwickelt werden, ebenbürtig zu sein – und autark.
Das französisch-deutsch-spanische Projekt steht bereits seit Beginn im Jahr 2017 unter der Führung der Franzosen, auch wenn die jeweiligen industriellen Anteile sowie die Stimmrechte der beteiligten Staaten bislang gleich groß sind. Doch die Franzosen wollen nun ihren Anteil und den Führungsanspruch offenbar ausbauen, kolportiert wurde bereits eine Größenordnung von 80 Prozent. Dieses bestreiten die Franzosen zwar. Doch die Zahl macht aus ihrer Sicht durchaus Sinn: deutsch-französische Rüstungskooperationen sind durch das Aachener Abkommen der beiden Staaten von 2019 und dazugehörige Verträge so geregelt, dass ab einer Beteiligung von mindestens 20 Prozent der Partnerstaat Einspruch gegen Exporte einlegen kann. Dieses gilt zwar nur bei einer Beeinträchtigung der „unmittelbaren Interessen oder ihrer nationalen Sicherheit“ eines der Staaten, wie es im Vertragstext heißt. Doch eine solche Klausel kann breit interpretiert werden.
Ist Berlin zuverlässig – und autonom?
Tatsächlich sind die Gründe für den Streit zwischen Frankreich und Deutschland nicht nur, wie aus Statements der Beteiligten hervorgeht, technologisch begründet, sondern auch politisch und ökonomisch. Denn der jüngste Vorstoß Deutschlands, im Rahmen der Ukraine-Hilfe auf eine europäische Finanzierung von US-Waffen für Kiew zu setzen, dürfte die Franzosen abermals skeptisch gegenüber Berlin gestimmt haben. Inwieweit knickt Berlin heute oder morgen gegenüber Washington ein, wenn der Druck des US-Hegemons nur groß genug ist, und dieser künftig das im März dieses Jahres Boeing zugeschlagene US-Kampfjet-System der 6. Generation auch jenseits seiner Grenzen wird exportieren wollen? Die derzeitige Haltung Berlins gegenüber dem Druck aus den USA zeigt, dass eines der ursprünglichen Kernanliegen des FCAS-Projektes, langfristig technologisch mit den US-Kampfjets gleichzuziehen und sich so von Washington unabhängiger zu machen, mit den Deutschen im Boot gefährdet sein könnte.
Klar ist: Je mehr Partner, desto mehr mögliche Synergie-Effekte, aber auch mehr Probleme. An FCAS beteiligt sind bislang vor allem der französische Konzern Dassault Aviation, Airbus Defence und Space aus Taufkirchen bei München sowie die spanische Indra. Die Gesamtentwicklungskosten des Systems werden aktuell auf rund 100 Mrd. Euro bis zum Jahr 2040 beziffert. Das FCAS soll ab da den französischen Rafale-Kampfjet, in Deutschland und Spanien den Eurofighter und womöglich auch den US-Jet F-35 ersetzen, der ein Flieger der 5. Generation ist. Dabei würde das FCAS nicht nur einen neuen Mehrzweck-Kampfflieger hervorbringen, sondern ein ganzes Luftkampf-System, bestehend aus dem Jet sowie begleitenden Drohnen (sog. „remote carriers“), die durch Cloud-Technologien und Künstliche Intelligenz eine koordinierte Gefechtsführung ermöglichen sollen. Erste Anläufe für einen europäischen Kampfflieger gab es bereits zu Beginn der 2000er Jahre, zunächst war auch Großbritannien beteiligt. Doch erst im Jahr 2017 verkündeten Frankreichs Präsident Macron und Bundeskanzlerin Merkel, gemeinsam einen Kampfjet bauen zu wollen. 2019 trat Spanien dem Projekt bei, auch Belgien zeigte Interesse. Die Briten entwickeln inzwischen gemeinsam mit Italien und Japan ein Konkurrenzsystem, Global Combat Air Programme (GCAP), das offenbar bereits weiter fortgeschritten ist als das FCAS.
Bei diesem gibt es spätestens seit 2021 Verstimmungen zwischen Berlin und Paris. Die Franzosen fürchteten schon damals, die ihnen zugeschriebene Führungsrolle zu verlieren, wenn Deutschland und Spanien kumuliert zwei Drittel der Aufträge innehaben würden. Von deutscher Seite hieß es in einem geheimen Sachstandsbericht des deutschen Verteidigungsministeriums aus dem Jahr 2021 indes, die „starke französische Positionierung“ sei ein Hindernis, „ein Kampfflugzeug der 6. Generation zu entwickeln“. Das Projekt könnte, so der Bericht, stattdessen zu einem „Rafale-Plus-Ansatz mit deutschen und spanischen Haushaltsmitteln“ führen. Derzeit befindet sich das Projekt in einer Phase, in der Schlüsseltechnologien identifiziert und mit der Entwicklung eines Prototypen begonnen werden soll. Diese Phase hat ein Budget von etwa 3,2 Milliarden Euro und soll bis Sommer 2026 abgeschlossen sein, spätestens 2029 ein funktionsfähiger Prototyp fertig sein.
Das Selbstbewusstsein der Franzosen
Doch tatsächlich könnte es in seiner jetzigen trinationalen Form womöglich auch scheitern – aus mehreren Gründen. Denn die Franzosen deuten an, es im Kern auch alleine stemmen zu können, in Frankreichs Parlament fiel bereits die Frage: Könnten wir es auch alleine? Dassault-Chef Eric Trappier sagte im April dieses Jahres vor dem Verteidigungsausschuss des französischen Parlaments, dass eine Drittelung der einzelnen Aufträge des Projektes schwierig sei. „Ich bin für eine globale Projektleitung. Das gesamte Kampfsystem wird um ein Flugzeug und Dronen herum gedacht. Da kommt es auf die technischen Schnittstellen an”, so Trappier. „Und wenn es keinen echten über allen stehenden Leader gibt, funktioniert das nicht mit den Schnittstellen.”
Der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu sagte seinerseits vor einigen Wochen vor dem Verteidigungsausschuss der französischen Nationalversammlung: „Wir brauchen eine ehrliche Diskussion über die Leitung des Projekts. Mit drei Ländern ist es sehr schwierig, ein Kampfflugzeug zu bauen.“ Den französischen Vorstoß für den Führungsanspruch kommentierte der Branchenverband der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI), es sei ein „einseitiges französisches Dominanzstreben” zu erkennen.
Der Streit wird freilich nicht nur auf der Industrie-Ebene und zwischen den beteiligten Konzernen geführt. Da das FCAS in erster Linie ein politisches Projekt ist, beschäftigt es die höchste Regierungsebene in Paris und Berlin. Beim Gipfeltreffen in der Villa Borsig am Tegeler See am 24. Juli vereinbarten Bundeskanzler Friedrich Merz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, dass ihre Verteidigungsminister bis Ende August 2025 eine „realistische Perspektive“ für die weitere Zusammenarbeit erarbeiten sollen. Sie soll bereits bei der gemeinsamen Kabinettssitzung am 28. und 29. August in Toulon vorgestellt werden. Konkrete Lösungen und Entscheidungen zur Zukunft des Projekts sollen bis Ende des Jahres stehen. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sagte seinerseits bei einem Treffen mit seinem französischen Amtskollegen Lecornu in Osnabrück: „Ich bin davon überzeugt, dass eine Stärkung der europäischen Verteidigungsbereitschaft nur im engen deutsch-französischen Schulterschluss überhaupt gelingen kann.“
Doch ob eine abschließende Lösung vorgestellt werden kann, ist eher fraglich. Denn ein Grundproblem scheint die unterschiedliche politische und ökonomische Perspektive der beiden Länder zu sein, die nicht erst, aber vor allem seit dem Amtsantritt von Kanzler Merz deutlich wird. Während der französische Präsident die vielbeschworene „strategische Autonomie“ und damit auch eine wachsende Unabhängigkeit von den USA ernst meint, wirken Merz’ Worte, „Schritt für Schritt Unabhängigkeit zu erreichen von den USA“, eher wie ein Lippenbekenntnis. Zumal, wenn man die jüngsten, pro-amerikanischen Deals anschaut: das EU-USA-Zollabkommen sowie den von Merz forcierten Vorschlag für europäisch finanzierte US-Waffenlieferungen für die Ukraine. Darüber hinaus will Frankreich im Rahmen des FCAS eine Kampfjet-Version entwickeln, die über die französischen Flugzeugträger genutzt werden kann. Deutschland, ohne eigene Flugzeugträger, hat naturgemäß wenig Interesse daran. Nicht zuletzt dürfte die Frage entscheidend sein, dass Frankreich den künftigen Kampfjet mit den eigenen Atomwaffen bestücken können will. Ob dieser Streitpunkt, der öffentlich kaum diskutiert wird, ein oder der entscheidende Haken ist, ist unklar.
Erklärtes Ziel des FCAS – es wurde nicht zufällig kurz nach Beginn der ersten Amtszeit Donald Trumps festgezurrt – auch bei den Komponentenlieferungen unabhängig von den USA zu sein.
Derweil ist die deutsche Rüstungsindustrie in intensive Kooperationen mit US-Rüstungskonzernen eingebunden. Berlin hatte etwa bei seiner Bestellung der F-35-Kampfflieger ausgehandelt, dass der Düsseldorfer Konzern Rheinmetall bedeutende Teile des Jets in Deutschland produzieren kann. Rheinmetall – an dem Investoren aus Nordamerika rund 37 Prozent der Anteile halten – hat in den letzten Jahren und Monaten etliche weitere Kooperationen mit US-Herstellern geschlossen. Und auch Airbus, deutscher Teil des FCAS, kooperierte auf vielfältige Weise mit US-Rüstungskonzernen, etwa mit Northrop Grumman oder – seit Juli 2025 – mit dem US-Hersteller Kratos im Bereich Dronenentwicklung. Seit rund 50 Jahren arbeitet Airbus U.S. Space & Defense, die US-Tochter des Airbus-Konzerns mit Sitz in Arlington (Virginia), mit US-Behörden wie dem US-Verteidigungsministerium, der DARPA (Behörde für Forschungsprojekte der Verteidigung), der NASA oder der National Geospatial Intelligence Agency zusammen. Die Zusammenarbeit von Dassault mit US-Konzernen ist deutlich geringer ausgeprägt. Der französische Konzern – zu 66 Prozent im Besitz der Groupe Industriel Marcel Dassault – liefern etwa Simulations- und Trainingstechnik für Lockheed Martin, also eher nachrangige Technologie, und haben keine US-Tochter.
Sensible Daten teilen – oder lieber nicht
Womöglich steht hinter der Weigerung der Franzosen, innerhalb des FCAS sensible Daten auszutauschen, genau dieser Hintergrund. Bereits im Jahr 2021 kam es zum Streit zwischen Dassault und Airbus – die Deutschen hatten umfassende Zugangsrechte gefordert, Dassault indes wollte bestimmte Kernkompetenzen als „Black-Box“ für sich behalten. Doch auch der Chef von Airbus Defense and Space, Jean-Brice Dumont, merkte im Juni dieses Jahres an: „Heute arbeiten wir im Rahmen des Eurofighter-Programms mit BAE und Leonardo (ein britischer bzw. italienischer Rüstungskonzern; Anm. d. Red.) zusammen. Morgen mit Dassault, und der Übergang von einem zum anderen ist nicht einfach, wenn wir unser geistiges Eigentum schützen müssen und morgen alles teilen müssen, und ich glaube, das ist eine der Ursachen für Spannungen in diesem Programm.“
Tatsächlich sind die Franzosen bei der Kampfjet-Technologie den Deutschen voraus, Airbus hingegen agiert bisweilen meist als Kooperationspartner anderer Konzerne. Bereits in den 1980er Jahren stieg Dassault aus dem zunächst von Frankreich mitinitiierten europäischen Kampfjetprojekt Eurofighter aus, und entwickelte dafür eigenständig den Rafale-Jet. Daher ist durchaus nachvollziehbar, dass die Franzosen skeptisch auf die bisherige Arbeitsteilung beim FCAS blicken. Gleichzeitig kritisiert das Unternehmen nun aber auch Partnernationen des Projekts, konkret Belgien, das seit Mai 2024 einen Beobachterstatus beim FCAS hat und dadurch Zugang zu allen Informationen und Entwicklungen des Programms erhalten konnte. Die belgische Regierung machte damals den Schritt, weil es bei der Beschaffung der Lockheed Martin F-35 Probleme gab. Das Land hat 2018 insgesamt 34 der Jets bestellt und nun den Kauf weiterer elf Einheiten angekündigt – und trat im Juli dennoch dem FCAS bei. Ende Juli sagte Dassault-Ceo Trappier daraufhin: „Wenn [Belgien] den Kauf von F-35 aufgibt, sind sie willkommen. Wenn nicht, dann macht man uns wirklich zum Narren.“ Belgiens Verteidigungsminister Theo Francken reagierte empört, und will nun den FCAS-Einstieg seines Landes nochmals prüfen. „Als Gründungsmitglied der Nato und der EU, ein zuverlässiger Verbündeter und der Stammsitz der Kommandozentrale, müssen wir keine Lektionen von arroganten Industriellen lernen.“
Es ist nicht ausgeschlossen, dass zumindest der Dassault-Chef darauf spekuliert, das Projekt tatsächlich zum Scheitern zu bringen. Hintergrund wären aus Sicht des Konzerns vor allem ökonomische Erwägungen. Denn der von den Dessault aktuell produzierte Rafale-Kampfjet hat in den letzten Jahren weltweit eine starke Nachfrage erfahren, neben Paris orderten etwa Indonesien, Indien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Serbien das Flugzeug. Traut sich der Konzern zu, den Jet der 6. Generation selbst zu entwickeln, winkten künftig womöglich erhebliche Exportgewinne, die komplett einzuheimsen wären. Zudem würde es dabei keinerlei mögliche Beschränkungen geben – anders als bei den erwähnten deutsch-französischen Kooperationsprojekten.
Das Entscheidende ist das (fehlende) Geld
Klar ist indes: Sollte Frankreich im FCAS bleiben, dürften dafür die Finanzen entscheidend sein. Denn Paris könnte den Kampfjet technologisch womöglich alleine entwickeln. Doch die exorbitanten Kosten wären für Paris ohne die Partner kaum zu stemmen. Zumal die immer wieder genannten rund 100 Milliarden Euro an Entwicklungskosten deutlich untertrieben sein dürften. Eine Studie von Greenpeace etwa weist darauf hin, dass die gesamten Lebenszykluskosten kaum vorstellbare Dimension haben. Die Analyse umfasst Entwicklungs-, Beschaffungs- sowie Unterhaltskosten, „wobei sich besonders auf die bislang oft übersehenen Unterhaltskosten fokussiert wird”. Demnach sei bis zum Jahr 2070 mit einem Kostenkorridor von 1,1 bis 2 Billionen Euro zu rechnen, so Greenpeace. Aus Sicht von Rüstungskonzernen ein einträgliches Geschäft. Aus Sicht der Steuerzahler – ein finanzieller Abgrund.
Eindeutig und einmütig ist nichts. Vielmehr auf der Kippe. Wenn die Franzosen diesmal, und anders als in den 1980ern, nicht aus dem europäischen Kampfjet-Projekt aussteigen, dürfte es diesmal vor allem an einem liegen: am Rüstungsgeld der Deutschen, das künftig unbegrenzt fließen soll.
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