Einrichtungsleiterin Vera Pazur (Foto: © Stadt MG)
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Mönchengladbach. In Haus Aira beginnt etwas Neues, das spürt man, wenn man das Gebäude an der Nakatenusstraße in Mönchengladbach betritt. Nicht nur, weil noch alles so frisch aussieht und riecht. Nicht nur, weil die Räumlichkeiten großzügig und lichtdurchflutet sind. Sondern weil hier eine Atmosphäre individueller Zuwendung herrscht. Weil den Eltern auf Augenhöhe begegnet wird und sie die Chance erhalten, mit ihren Kindern sechs Monate lang einen Neuanfang zu proben, unterstützt und begleitet von einem engagierten und professionellen Team. Und eng verknüpft mit den Angeboten des benachbarten Shangri-la Zentrum für Familie, dessen umfassende Beratungs- und Betreuungsangebote zur nachhaltigen Stabilisierung des Familienlebens beitragen. Möglich wurde diese ungewöhnliche und zukunftsweise Kinder- und Familienarbeit durch die großzügige Spende eines anonymen Stifters, der beide Gebäude nach Plänen des Mönchengladbacher Büros Jakobs Architekten finanziert und gebaut hat.
Haus Aira, wie es auf Wunsch des Stifters heißt, bietet vier verschiedene Möglichkeiten an, wie Eltern den Umgang mit ihren Kindern erproben, emotional auf eine neue Basis stellen und langfristig stabilisieren können. Die Mitarbeitenden des Jugendamtes klären in Absprache mit der Ev. Jugend- und Familienhilfe in Kaarst, die Trägerin des Hauses Aira ist, welche Familien sich für die Angebote eignen. Wichtig ist, dass die Familien in Mönchengladbach leben, so dass eine intensive Elternarbeit, die eins der wichtigsten Elemente dieses ungewöhnlichen Ansatzes darstellt, gewährleistet werden kann.
Das ungewöhnlichste Angebot im Haus Aira ist die begleitete Inobhutnahme. Sie ist für Kinder im Alter von 0 bis 3 Jahren vorgesehen. Rechtlich gesehen müssen Kinder in Obhut genommen werden, wenn in der Familie eine akute Gefährdungssituation vorliegt, beispielsweise wenn die Ernährung des Kindes nicht gewährleistet oder der Haushalt völlig verwahrlost ist. Die Kinder werden dann normalerweise aus ihrer Familie herausgenommen und stationär oder in Pflegefamilien untergebracht. Bei der Begleiteten Inobhutnahme im Haus Aira ist das anders: hier bekommt ein Elternteil, im Allgemeinen die Mutter, die Möglichkeit, mit dem Kind in die Einrichtung einzuziehen. In enger Begleitung durch Fachkräfte erhält die Mutter die Chance, bei ihrem Kind zu bleiben und die notwendigen Kompetenzen zu entwickeln. Rund um die Uhr ist pädagogisches Personal anwesend. „Dieses Angebot ist sicher die größte Herausforderung“, sagt Klaus Röttgen, Fachbereichsleiter Kinder, Jugend und Familie bei der Stadt Mönchengladbach, „aber es lohnt sich, finanziell, vor allem aber menschlich.“ Es unterscheide sich grundlegend von klassischen Inobhutnahmen, da das betroffene Elternteil nicht vom Kind getrennt werde, sondern gemeinsam mit Fachkräften an einer stabileren Eltern-Kind-Beziehung arbeiten könne. Diese enge Begleitung biete die Chance, die Erziehungsfähigkeit nachhaltig zu verbessern und verhindere im besten Fall eine dauerhafte Trennung, so Röttgen. Sollte nach längsten sechs Monaten deutlich sein, dass das Kind doch nicht bei seinen Eltern bleiben kann, wird in Zusammenarbeit mit dem benachbarten Pflegekinderdienst eine Pflegefamilie gesucht. Die abgebenden Eltern werden möglichst eng eingebunden. „Für die Kinder ist es wichtig, von ihren Eltern auch emotional die Erlaubnis zu bekommen, in eine andere Familie zu gehen und dort gern zu leben“, erklärt Einrichtungsleiterin Vera Pazur von der Ev. Jugend- und Familienhilfe.
Auch das zweite Angebot des Hauses ist eng mit intensiver Elternarbeit verbunden. Kinder im Alter zwischen vier und 10 Jahren werden in eigenen Zimmern untergebracht und betreut. Da sie in ihrer Heimatstadt Mönchengladbach bleiben, können sie weiter ihre Schule, ihren Kindergarten oder ihren Sportverein besuchen. Ihre Eltern kommen an zwei Tagen in der Woche ins Haus Aira. „Gemeinsam mit unseren Mitarbeitenden können die Eltern an ihren Zielen arbeiten, zum Beispiel Ordnung in ihr Leben zu bringen“, sagt Vera Pazur. Gleichzeitig bleibt der Kontakt zu den Kindern eng und kann sich positiv entwickeln. Auch Psychologen sind vor Ort und stehen zur Verfügung.
Die dritte Option im Haus Aira sind die Apartments zur Verselbstständigung. Sie sind für Familien mit Kindern im Alter zwischen 0 und 6 Jahren gedacht. Hier kann Erlerntes im Familienalltag erprobt werden.
Das vierte Angebot schließlich stellt die Tagesgruppe für die 0- bis 6jährigen dar. Sie können hier mit ihren Eltern den Tag verbringen. Es wird gemeinsam gekocht, gegessen und gespielt. Fachkräfte begleiten die Familien, können bei Problemen unterstützen und machen auch Hausbesuche.
Alle vier Angebote zusammen bieten umfangreiche, passgenaue und landesweit vermutlich einzigartige Möglichkeiten der Arbeit mit Kindern und Eltern.
Besonders die intensive Elternarbeit ist ungewöhnlich, aber sehr erfolgversprechend, da sie langfristig stabile Familienstrukturen fördert und präventiv wirkt. Durch die enge Zusammenarbeit mit den Eltern werden nicht nur akute Probleme gelöst, sondern auch nachhaltige Veränderungen angestoßen, die das Wohl der Kinder sichern und die Jugendhilfe entlasten.
„Wenn man den Schwierigkeiten in einer Familie auf den Grund geht, liegen dort oft Probleme der Eltern. Sie müssen bearbeitet werden“, stellt Vera Pazur fest. Damit Familie funktionieren kann. Haus Aira bietet dafür einen innovativen Rahmen.