Nichts ist, wie es scheint. Nehmen wir die Kellnerin in diesem Diner, die alle herzlich begrüßt mit den Worten: „Was zum Geier wollen Sie essen?“ Worauf der Pfarrer, verlässlich antwortet: „Ich nehm das scheiß Chili.“
Kann sein, dass der Pfarrer Atheist und die Kellnerin ein Mathe-Genie ist. Möglich auch, dass sich brave Kammerdiener als chinesische Spione erweisen, dass Menschen eigentlich Maschinen sind, und ob Bösewichte die Welt vernichten oder doch retten wollen, ist auch nicht klar. Und dann ist da die Frage: Was, wenn nichts passiert?
Percival Everett erzählt in „Dr. No“ von einem Mathematikprofessor namens Wala Kitu aus Rhode Island, der an der Brown University unterrichtet und sein Leben mit der Suche nach nichts zubringt. Nach eigener Aussage leidet er an einer Autismus-Spektrum-Störung. Sie führt dazu, dass er alles wörtlich nimmt und etwa von Drohungen völlig unbeeindruckt bleibt. Seine besten Freunde: Eine attraktive Mathematikerin, die noch klüger und noch lebensuntüchtiger ist als er, sowie ein einbeiniger Hund, den er meist in einer um den Bauch geschnallten Babytrage dabei hat. Der Hund ist natürlich der klügste von allen, eine Art Orakel.
Eines Tages taucht ein gewisser John Sill auf, Sohn einer Selfmade-Millionärin, die unter anderem mit Drogen, Erpressung und Prostitution ihr Vermögen gemacht hat. Er will so was Ähnliches wie Goldfinger im gleichnamigen James-Bond-Film: den Tresorraum von Fort Knox ausrauben. Vor allem aber will er Amerika zerstören, aus Rache. Und dazu braucht er die beiden Mathematik-Genies, allen voran Wala Kitu, der nach nichts sucht. Es folgt eine temporeiche 007-Parodie samt U-Boot, Luxusjets und Anwesen in aller Welt. Unterwegs trifft man rassistische Polizisten (die Protagonisten sind so gut wie alle schwarz), die Dunkelhäutige routinemäßig anhalten, kontrollieren und manchmal auch erschießen.
Im Zentrum steht selbstverständlich die Rettung der Welt. In Form der Suche nach nichts. Sie ist zugleich absurd und philosophisch, man denkt etwa an Schrödingers Katze – was ist in der Schachtel? Nichts! Der sprachliche Running Gag, der sich daraus ergibt, zieht sich durch den ganzen Roman. Man sucht nichts, es passiert nichts, man findet nichts. Das wirkt deshalb nicht redundant, weil es auch sehr unheimlich ist. Ziel des Bösewichts ist es, die Welt tatsächlich auszulöschen, zu nichts zu machen. Dazu kommen existenzialistisch-komische Dialoge wie diese: „Wollen Sie Sex haben?“„Nein.“ „Okay. Gute Nacht.“
Für „James“, seine großartige Überschreibung von Mark Twains „Huckleberry Finn“, wurde Percival Everett mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Twain kommt auch hier mehrfach vor. Unter anderem als Teil der ausufernden Bibliothek des Möchtegern-Bösewichts, der dort außerdem die Mona Lisa beherbergt – das Original. Der Diebstahl sei nie angezeigt worden, man lasse ihn das Bild behalten, weil der Louvre die Welt im Glauben wiegen wolle, ein solches Verbrechen liege außerhalb jeder Vorstellung.
Im Grunde geht es hier um genau das: Um den Unterschied zwischen dem, was ist und dem, was wir zu sehen glauben. Aber was ist überhaupt und was ist, wenn nichts passiert?