Der frühere Wirecard-Vorstand Jan Marsalek, der wohl nicht erst seit seiner Flucht nach Russland für den Geheimdienst Moskaus arbeitet, schlug vor einiger Zeit einer Agentenzelle vor, eine Drohne über eine amerikanische Militäreinrichtung in Stuttgart fliegen zu lassen. Man wolle sehen, „wie viele Monate es dauert, bis sie es bemerken“, schrieb Marsalek im Chat an seine Leute in London, die sich auf eine Spionage-Reise nach Baden-Württemberg aufmachten.

Das Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte in Europa war interessant, weil dort ukrainische Soldaten am Flugabwehrsystem Patriot ausgebildet wurden. Darüber wollte Moskau viel wissen. Der Hinweis Marsaleks, dass es möglicherweise Monate brauche, bis die Drohnenüberflüge bemerkt würden, legt nahe, dass die deutschen Sicherheitsbehörden in den Augen Moskaus unzureichend auf solche Ausspähungen vorbereitet sind.

Russland liebt die Grauzonen

Für die Bundesländer, die für das Kerngeschäft der inneren Sicherheit in Deutschland stehen, ist es weitgehend unklar, wie sie auf hybride Bedrohungen reagieren können. Die Landespolizeien sind nicht dafür ausgerüstet, gegen fremde staatliche Akteure tätig zu sein, also etwa militärische Drohnen vom Himmel zu holen. Die Bundeswehr könnte das zwar zum Eigenschutz ihrer Einrichtungen tun, sofern sie über entsprechende Waffen verfügt, doch wenn die Drohne einige hundert Meter neben der Kaserne aufschlägt, wird die Frage der Zuständigkeit brisant.

Ein entdeckter Überflug einer solchen Drohne über einer Kaserne ruft neben der Polizei den Verfassungsschutz und den Zivilschutz auf den Plan. Welche Landesbehörden und welche Bundesbehörden wofür zuständig sind, ist oft nicht klar. Hybride Angreifer lieben solche Grauzonen.

Drohnenüberflüge, wie sie von Russland ausgehen, dienen zudem dazu, ein Gefühl der Unsicherheit zu schüren. Man kann außerdem die Toleranz des Angegriffenen austesten, seine Reaktion. Scheut er entschiedene Gegenwehr? Oder reagiert er wie in einem Kriegsfall?

„Wir befinden uns heute in einem Zustand, der weder Frieden noch Krieg bedeutet“, sagt der sächsische Innenminister Armin Schuster. Ein solcher Zustand sei aber im Grundgesetz nicht vorgesehen, erklärt der CDU-Politiker im Gespräch mit der F.A.Z. „Dort gibt es nur den Verteidigungsfall und den Spannungsfall, die vom Bundestag festgestellt werden müssen.“ So legen es die Artikel 115a und 80a fest.

In den Innenministerien von Bund und Ländern wird die hybride Bedrohung inzwischen ernst genommen. Bis zur Reifung dieser Erkenntnis hat es allerdings gedauert. Teilnehmer der halbjährlichen Innenministerkonferenz (IMK) zeigten sich noch im vergangenen Dezember nach der Zusammenkunft im brandenburgischen Rheinsberg frustriert darüber, dass die dringend nötigen Fortschritte für die Abwehr hybrider Angriffe zwischen den unions- und den SPD-geführten Bundesländern nicht erzielt worden konnten. Als Grund für das verzögerte Vorgehen wurde die damals nahende Bundestagswahl angeführt.

Inzwischen konnte das Tempo erhöht werden. In Berlin haben sich die beiden Unionsparteien mit der SPD auf die Bildung eines Nationalen Sicherheitsrates verständigt, für den auch schon eine Geschäftsordnung erarbeitet wurde. Und auch die Innenminister der Länder gelangten gemeinsam mit dem neuen Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) auf der IMK-Tagung Mitte Juni in Bremerhaven zu Beschlüssen. Da hybride Bedrohungen weltweit zunehmen, müssten sie „in gemeinsamer Anstrengung als gesamtstaatliche Aufgabe abgewehrt werden“, heißt es in einem Ergebnispapier der IMK, das der F.A.Z. vorliegt. Nötig sei ein „bund-länderübergreifender Handlungsansatz“. Spätestens bis zur nächsten IMK im Spätherbst solle ein „abgestimmtes Lagebild ‚hybride Bedrohungen‘“ vorgelegt werden. In dem Lagebild soll es nicht nur um Spionage, Sabotage, Staatsterrorismus und Cyberattacken gehen, sondern auch um Desinformation, Einflussnahmen von außen, Zersetzung und Proliferation, also die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen.

Illegale Drohnenflüge haben deutlich zugenommen

Für wichtig halten Teilnehmer der IMK auch die neue zentrale „Steuerungsgruppe auf Staatssekretärsebene“, zuvor waren die Abstimmungen zur hybriden Bedrohung zersplittert und auf niederer Ebene erfolgt. Die Steuerungsgruppe soll nun die „Effizienz und Handlungsfähigkeit“ in der länderübergreifenden Zusammenarbeit erhöhen. Die Landesminister wünschen sich vom Bundesinnenministerium zudem einen „Aktionsplan“, der den Bevölkerungsschutz einbezieht, der in Deutschland jahrelang vernachlässigt worden ist. Sie fordern, dass der Bund ihnen künftig seine Lagebilder über ausländische Informationsmanipulationen zur Verfügung stellt.

Besonders konkret beschäftigten sich die Innenminister in Bremerhaven mit den Drohnen. In dem vertraulichen Papier aus Bremerhaven zu dem Thema heißt es, illegale Drohnenflüge über kritischen Infrastrukturen und militärischen Einrichtungen hätten „deutlich zugenommen“. Die Fähigkeiten der Polizeibehörden von Bund und Ländern, Drohnen zu erkennen und abzuwehren, müssten deutlich ausgebaut werden. Wegen der technischen Komplexität und der hohen Kosten sei dabei eine enge Kooperation von Bund und Ländern erforderlich. Die IMK sieht auch eine „Unterstützung der Bundeswehr zur Drohnenabwehr“ als erforderlich an und regt die rasche Schaffung eines Kompetenzzentrums an, das beim Bundeskriminalamt (BKA) angesiedelt sein könnte.

Sachsens Innenminister Armin Schuster spricht sich dafür aus, dem Nationalen Sicherheitsrat eine Schlüsselrolle zu geben und fordert, das neue Gremium müsse neben der äußeren auch die innere Sicherheit im Blick haben. Und Schuster geht noch weiter: „Um auf die hybriden Bedrohungen für Deutschlands Sicherheit angemessen zu reagieren, wäre ein Nationaler Sicherheitsberater hilfreich, der ressortübergreifend die Außen- und Verteidigungspolitik sowie die innere Sicherheit gleichermaßen im Blick hat und die Bundesländer mit dem Bund noch deutlich enger verzahnt.“ Allerdings ist ein solches Amt bisher nicht vorgesehen. Der Bundeswehroberst und Staatswissenschaftler Johann Schmid, Experte für hybride Bedrohungen, wirbt für ein gezieltes Beüben hybrider Bedrohungslagen, um Zuständigkeitslücken bei hybriden Angriffen zu erkennen und rechtzeitig zu schließen.

Ein weiteres Problem bei der Abwehr hybrider Bedrohungen erkennt Innenminister Schuster in der Ausstattung der deutschen Nachrichtendienste. Zwar ist die Spionageabwehr im Verfassungsschutz zuletzt wieder gestärkt worden. In vielen Landesämtern sind aber nur eine Hand voll Mitarbeiter für diese Aufgabe zuständig. Schuster sieht auch die Befugnisse der Dienste als unzureichend an. „Um den hybriden Bedrohungen durch Cyberattacken, Desinformation und Terrorangriffen zu begegnen, müssen wir unsere Nachrichtendienste stärken“, sagt der Minister. Dafür brauche man „dringend mehr Befugnisse für das Bundesamt für Verfassungsschutz und für den Bundesnachrichtendienst“.

Der Kriegstheoretiker Johann Schmid geht noch einen Schritt weiter: Er verweist darauf, dass einige der spektakulärsten und nachhaltigsten Erfolge der Ukrainer bei der Landesverteidigung auf die Kombination von klassisch-militärischen Mitteln mit geheimdienstlichen Mitteln und neuen Technologien zurückgehen. Daraus sollte auch Deutschland Lehren ziehen.