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Renaud Capuçon in Wiesbaden. © Ansgar Klostermann
Renaud Capuçon und das Orchestre du Chambre de Lausanne frischen Schumann und Beethoven auf. Von Volker Schmidt
Robert Schumanns Violinkonzert und Ludwig van Beethovens fünfte Sinfonie umweht – zumindest in der Rezeption – das Schicksal. Renaud Capuçon und das Orchestre du Chambre de Lausanne dringen im Kurhaus Wiesbaden durch dieses Gewölk und legen so selbst an der oft gehörten Sinfonie frische Facetten frei.
Bei Schumanns Violinkonzert fällt das leichter; es erklingt selten im Klassikradio. Bei seiner Entstehung half Beethoven: Stargeiger Joseph Joachim schrieb 1853 an Schumann, Beethovens Violinkonzert, mit dem er just beim Niederrheinischen Musikfestival aufgetreten war, möge den Komponisten anregen, aus seinem „tiefen Schacht“ ein Werk für Violine „an’s Licht zu ziehen“.
Schumann zog, doch der Schacht war tief: Der Komponist litt schon an jener psychischen Erkrankung, die ihn bald zum Suizidversuch in den Rhein trieb. Er schrieb das Konzert in wenigen Tagen in rauschhaften Phasen, die mit depressiven Episoden wechselten. Und wieder griff Beethoven posthum ein und verhinderte die noch für 1853 geplante Uraufführung: Das Konzertkomitee in Düsseldorf, wo Schumann Musikdirektor war, wollte von Joachim lieber das bekannte Beethoven’sche Werk hören. Das nennt sich dann wohl Ironie des Schicksals.
Ausfallschritte für perkussive Akzente
Schumann starb 1856 in der Nervenheilanstalt. Das Violinkonzert blieb unaufgeführt, womöglich, weil Clara Schumann und Joseph Joachim darin Anzeichen der Erkrankung hörten – Motive von Schumanns letztem, in der Anstalt geschriebenen Werk klingen an, den „Geistervariationen“. Joachims Sohn Johannes verfügte, das Konzert solle frühestens 100 Jahre nach Schumanns Tod (also 1956) veröffentlicht werden. Es wurde – unter Umständen, in denen Joachims Großnichten, spiritistische Sitzungen und der Geist Schumanns spuken – dann doch 1937 uraufgeführt, wenn auch verstümmelt: bei einer NS-Veranstaltung, um den von Schumann verehrten jüdischen Komponisten Mendelssohn zu ersetzen. Das Schicksal kann auch zynisch sein
Vielleicht blieb das Werk auch in der Schublade, weil sich seine Schauwerte in Grenzen halten: Es verweigert dem Solisten Kadenzen und erfordert erhebliche technische, aber nicht offensichtliche Virtuosität. Beim Rheingau Musik Festival in Wiesbaden immerhin wird sie augen- und so auch besser ohrenfällig: Capuçon, der das Orchester von der Geige aus leitet, federt auf dem Stand- und schwingt das Spielbein, dass man Angst bekommt, er könne kippen; Ausfallschritte setzen perkussive Akzente. Die finalen Passagen entfalten mitreißende Rasanz. Das begeisterte Publikum bekommt eine Zugabe: Auszüge aus Pablo Casals für Cello geschriebenem Cant dels Ocells (Gesang der Vögel).
Nach der Pause klopft das Schicksal an die Pforte. Ob Beethoven mit diesem Ausspruch nur die ersten Takte meinte, ob er es überhaupt so gesagt hat, wie sein Biograf Anton Schindler schreibt: Die Fünfte wurde als „Schicksalssinfonie“ oft dräuend-raunend (miss)verstanden. Das Kammerorchester aus Lausanne, dessen Künstlerischer Leiter Capuçon seit Herbst 2021 ist, entfaltet beachtliche Power, suhlt sich aber nicht darin. Hörner und Blechbläser entfalten Schärfe und Strahlkraft, Flöten tirillien und zarte, auf ein Minimum reduzierte Streicher erklingen. Am Ende ist die Zugabe ganz traditionell ein Da Capo des Finales.