Kiel/Schackendorf. Der Mordfall Schackendorf wird derzeit vor dem Landgericht Kiel verhandelt. Der Angeklagte hat seine Ex-Partnerin Silke E. und deren Freund getötet. Nach der sechsten Trennung in acht Jahren wollte die 53-Jährige nicht mehr.
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Im Prozess wird deutlich: Die Beziehung war geprägt von Eifersucht und psychischer Gewalt. Viele fragen sich: Warum hat sie so lange gedauert?
Katharina Wulf, Geschäftsführerin des Landesverbands Frauenberatung, verfolgt den Prozess. Sie weiß: Sich aus einer Gewaltbeziehung zu befreien, ist nicht einfach.
Warum ist es so schwer, sich von einem gewalttätigen Partner zu trennen?
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Katharina Wulf: Weil die Beziehung nicht mit Gewalt beginnt, sondern oft mit der scheinbar ganz großen Liebe. Viele Frauen können ihr Glück kaum fassen, den Richtigen gefunden zu haben. Auch ohne objektive Bindungen wie Ehe, Haus und Kinder gibt es eine Abhängigkeit, die von außen schwer nachzuvollziehen ist. Es braucht oft mehrere Versuche, sich daraus zu befreien.
Mehrfach wurden Zeugen im Prozess gefragt, was Silke E. an dem Angeklagten fand. Es hieß, sie habe ihn geliebt.
Die wahre Liebe gilt als ein hohes Ideal in unserer Gesellschaft, insbesondere für Frauen. Vom Märchen bis zum Blockbuster – Frauen wird von klein an vorgeträumt, dass es den perfekten Partner für sie gibt. Die wahre Liebe zu finden, ist Wunsch vieler Frauen. Das spielt Tätern in die Hände.
Der Angeklagte spricht von Seelenverwandtschaft.
Es sind oft die Täter, die eine Beziehung sehr früh definieren und mit Liebesschwüren festigen. Stellen Sie es sich wie eine Autofahrt vor. Täter treten von Anfang an voll aufs Gaspedal. Das ist erst aufregend. Je schneller das Auto aber wird, desto gefährlicher wird es für Betroffene, eine Vollbremsung zu machen – vor allem, wenn Kinder mit drin sitzen. Die Hoffnung, den Fahrer zur Vernunft zu bringen, bleibt lange bestehen.
Von Freundinnen wurden die Liebesbekundungen als „drüber“ empfunden.
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Das Umfeld wundert sich oft über die Intensität solcher Beziehungen. Die Täter haben ein Talent dafür, Betroffene zu vereinnahmen. Sie isolieren Frauen gezielt von skeptischen Personen. Dann heißt es: „Die sind nur neidisch.“
Freundinnen von Silke E. haben ausgesagt, dass sie sehr traurig war, wenn er sich trennte.
Wir nennen das Lovebombing und Breadcrumbing, also das Wechselspiel zwischen Nähe und Zurückweisung. Betroffene leiden unter der Zurückweisung sehr. Die Versöhnung fühlt sich dann wie eine große Erleichterung an. Das ist die Strategie: Zuerst sagt er: Wir sind Seelenverwandte, du kannst alles von mir haben. Dann kommt die Trennung aus heiterem Himmel. Da fällt man von ganz oben nach ganz unten. Wir haben auch gehört, dass Silke E. nach jeder Trennung Vertrauen verloren habe.
Wenn sie die Seelenverwandte ist: Warum trennt er sich?
Täter trennen sich, weil sie davon profitieren. Tagelanges Schweigen, digitales Ghosting, Trennungen – all das ist Liebesentzug und wird genutzt, um Betroffene emotional zu beschäftigen, Selbstzweifel auszulösen. Dadurch stehen Täter als Opfer im Mittelpunkt, während andere für das eigene Verhalten verantwortlich gemacht werden – übrigens auch dafür, die Wogen wieder zu glätten. Zur Belohnung folgt erneutes Lovebombing. Von dieser Dynamik haben wir im Prozess gehört: Trennungen und Kontaktabbrüche auf der einen Seite, Postkarten mit Liebesbotschaften auf der anderen.
Tagelanges Schweigen, digitales Ghosting, Trennungen – Liebesentzug wird genutzt, um Betroffene emotional zu beschäftigen, Selbstzweifel auszulösen.
Katharina Wulf
Geschäftsführerin des Landesverbandes Frauenberatung
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Warum suchen viele Frauen die Ursache bei sich?
Viele Frauen engagieren sich übermäßig in Beziehungen. Geht es ihm schlecht, fragt sie sich: Was kann ich tun, damit es ihm besser geht? Empathie und Fürsorge wird von Frauen gesellschaftlich erwartet. Auch Silke E. wurde als sehr fürsorglich beschrieben. In Beziehungen, in denen psychische Gewalt ausgeübt wird, geht es aber um mehr als weibliche Fürsorge. Das dominante Gefühl ist Angst. Die Angst vor Wutausbrüchen oder Liebesentzug. Die Hoffnung ist: „Wenn ich ihm helfe, seine beruflichen, finanziellen, gesundheitlichen Baustellen in den Griff zu bekommen, wird er stabil sein und unser Zusammensein endlich entspannt.“ Die Baustellen sind für die Täter aber nicht das Problem, sondern ein Mittel zur Kontrolle.
Wir haben viel von Eifersucht im Prozess gehört. Ist das auch ein Kontrollmittel?
Eifersucht ist aus Tätersicht sehr gut geeignet, Frauen für eine Störung der Zweisamkeit verantwortlich zu machen. Eifersucht soll ein häufiger Streitpunkt zwischen Silke E. und dem Angeklagten gewesen sein. Sie sollte männliche Freunde auf Facebook löschen, durfte nicht in die Sauna, sie ist ihm zuliebe weniger ausgegangen.
Der Angeklagte soll mehrfach mit Suizid gedroht haben, sogar von einem Strick an der Decke war die Rede.
Und was könnte dringlicher sein als ein Seelenverwandter in Lebensgefahr? Suizidandrohungen sind gängige Strategien, jemanden zu vereinnahmen, auch um sich gegen Bedürfnisse Dritter durchzusetzen. Oft sehen sich Täter in Konkurrenz mit der Arbeit oder Kindern. Sie wollen sämtliche Ressourcen der Betroffenen für sich. Das ist ein Zeichen für Unreife und ein dringendes Warnsignal.
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Ist das Gewalt?
Das ist psychische Gewalt, ja. Betroffene leiden sehr unter der Manipulation. Ihnen wird suggeriert, verantwortlich zu sein für die Verzweiflung oder Wut des Täters. „Siehst Du, was Du mit mir machst?“ ist ein gängiger Vorwurf. Es ist gesellschaftliche Aufgabe, auch über diese Art der Gewalt zu informieren, um Täter zu enttarnen. Oft wird gefragt, warum Frauen das mit sich machen lassen. Das erhöht nur die Scham und ist wenig hilfreich.
Oft wird gefragt, warum Frauen das mit sich machen lassen. Das erhöht nur die Scham und ist wenig hilfreich.
Katharina Wulf
Geschäftsführerin Landesverband Frauenberatung
Gibt es einen typischen Moment, an dem sich Betroffene Hilfe suchen?
Ein Wendepunkt sind oft die Kinder. Wenn Frauen erkennen, wie sehr die Kinder unter der Dynamik leiden, suchen sie sich Hilfe. Oft haben sie bis dahin nicht wahrgenommen, wie ihr eigenes Leben von der Angst dominiert wurde. Das haben wir auch im Fall von Silke E. gehört. Ihre Tochter war der Auslöser, sich weniger um den Täter zu sorgen, als um sich und ihre Familie.
Wann können sich Frauen Hilfe bei einer Beratungsstelle holen?
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Jederzeit. Es muss keine physische Gewalt vorliegen, die Frau muss auch keine Todesangst haben. Manchmal ist es leichter, ein Bauchgefühl mit einer Person zu besprechen, zu der ich keinen privaten Kontakt habe. Vor einer Beraterin muss ich den Schein nicht wahren. Sie hilft, Gedanken zu sortieren und klarer zu sehen.
Vertrauliche und kostenlose Beratung finden Frauen bei mehr als 40 Beratungsstandorten in Schleswig-Holstein, Kontaktdaten gibt es auf der Website lfsh.de/Beratungsstellen. Auch telefonische oder digitale Beratung ist möglich.
Außerhalb von Sprechzeiten erreichen Betroffene das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen unter der Nummer 116016.
KN