München (epd). Die alte Synagoge im quirligen Münchner Gärtnerplatzviertel muss man ein bisschen suchen. An der Reichenbachstraße, neben stolzen Gründerzeitfassaden, steht ein schlichtes Bürogebäude. Dessen Hinterhof beherbergt jenes architektonische Juwel, in dem jüdisches Leben nun neu sprießen soll: Am 15. September wird die frühere Münchner Hauptsynagoge nach jahrelanger Restauration neu eröffnet. Zur Feier wird auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) erwartet.
Dass dieses Ereignis überhaupt stattfindet, ist vor allem einem Menschen zu verdanken: der Literaturwissenschaftlerin Rachel Salamander. 2013 gründete sie den Verein „Synagoge Reichenbachstraße“, um das Gebäude – eine der wenigen Bauhaus-Synagogen weltweit – vor dem Verfall zu retten. „Was für eine Energie!“, sagen Leute bewundernd über die bekannte Publizistin, die dieses Großprojekt durchgezogen hat.
Rachel Salamander: Farbmagie Gustav Meyersteins wieder erstrahlen lassen
Was Salamander bei der Stange hielt, war die Aussicht, wie die Synagoge innen künftig aussehen sollte: wieder in jener „Farbmagie“, in der Architekt Gustav Meyerstein (1889-1975) sie 1931 erstrahlen ließ. Vor dem Hintergrund des aufkeimenden Nationalsozialismus setzte der Stil der „Neuen Sachlichkeit“ auf klare Linien und funktionale Formen.
Die Synagoge war minimalistisch und modern, „zurückhaltend und schlicht“, sagt Salamander, doch ihre Innengestaltung „muss ein wahrer Farbenrausch gewesen sein“. Die Zeitung „Das Jüdische Echo“ schreibt 1931 von der „beherrschenden Lichtführung“ und „in wirksamen zarten Farben gehaltenen Glasfenstern“. So wird es nun wieder: die Wände in Blautönen, die Ostnische sandgelb, die Emporen cremeweiß, die Seitenfenster originalgetreu nachgestaltet und die Decke aus halbtransparenten Glasfeldern – so versprechen es erste Bilder und die Simulation der Münchner Architekten „Hilmer & Sattler und Albrecht“.
Nach 1900 hatten sich im Viertel viele ostjüdische Familien niedergelassen. Ihr Betsaal wich 1931 Meyersteins Synagogenbau. Die „Reichenbachschul“ (vom jiddischen Wort „Schul“ für „Synagoge“) war laut dem Jüdischen Museum neben der liberal-konservativen Synagoge in der Herzog-Max-Straße und der orthodoxen Synagoge in der Herzog-Rudolf-Straße einer von drei großen Synagogenbauten in München und der letzte neu errichtete sakrale Bau Münchens vor 1933.
Synagoge: Immer wieder repariert, aber nie saniert
1938, in der Reichspogromnacht, verwüsten die Nationalsozialisten das Gotteshaus schwer. Nur wegen der dichten Nachbarbebauung brennen sie es nicht nieder. Nach dem Krieg wird die Synagoge notdürftig instand gesetzt. Ab 1947 dient sie den in München verbliebenen Jüdinnen und Juden der frisch gegründeten orthodoxen Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) wieder als Hauptsynagoge und wird zum Zentrum jüdisch-religiösen Lebens.
Immer wieder wird das Haus repariert, aber nie saniert. 2006 eröffnet mit „Ohel Jakob“, vorangetrieben von Charlotte Knobloch, am St.-Jakobs-Platz die neue Hauptsynagoge der IKG. Die liberale jüdische Gemeinde Beth Shalom hat ihre eigene Synagoge. Das Gebäude an der Reichenbachstraße gerät in Vergessenheit. Als sie das verfallene Gotteshaus gesehen habe, sagt Salamander, habe ihr das „einen Stich“ versetzt. Sie gründet mit dem Anwalt Ron C. Jakubowicz den Verein mit dem Ziel, die Synagoge wieder in den Originalzustand zu bringen.
Dazu musste Geld eingeworben werden. Von den 12,6 Millionen Euro Baukosten tragen die Stadt München, der Freistaat Bayern und der Bund je 30 Prozent, die übrigen zehn Prozent bringt der Verein durch private Spenden auf. Ab 2021 wurde das Haus entkernt, es wurden Dach, Fundament und Gebäudetechnik erneuert, dann begannen die Innenarbeiten. Die Architekten rekonstruierten viel nach den alten Bauplänen.
Gotteshaus soll Ergänzung zu Ohel Jakob werden
Beim Restaurations-Richtfest 2024 wurde die neue Lichtinstallation eingeweiht, die im Boden eingelassen ist und die Eckdaten der Synagoge anzeigt. Im Frühjahr 2025 erhielt der Synagogenverein ein besonderes Schmuckstück: originale Bauhaus-Stoffe, handgewebt von der jüdischen Künstlerin Gunta Stölzl (1897-1983) aus München, geschenkt von ihrem Enkel Ariel Aloni aus den USA. Ein Tuch dient als Vorhang für den Thoraschrein.
Künftig soll die Synagoge ein ritusfähiges Gotteshaus bleiben, so sieht es das Nutzungskonzept vor. Gerade auch religiöse Feste wie Hochzeiten oder Bar Mizwas sollen hier stattfinden. So könne sie für die Kultusgemeinde eine schöne Ergänzung zu Ohel Jakob sein, sagt Salamanders Pressesprecher Ralf Geissler.
Die Synagoge will aber auch ein Ort für die Öffentlichkeit sein: für Schulklassen, mit Vorträgen über jüdisches Leben, mit Führungen durchs Viertel, geistlichen Konzerten oder einfach zum Besuchen. Als kunsthistorisch bedeutsames Baudenkmal, das allen Münchner Bürgern zurückgegeben wird, soll sie zum kulturellen Hotspot werden – laut Salamander zu einem der „hippsten Orte der Stadt“.
Ob künftig der Verein die Synagoge weiter betreibt oder ob die IKG sie übernimmt, ist noch offen. Auch am Sicherheitskonzept wird noch gearbeitet. Laut Geissler wird sie geschützt werden müssen wie alle Synagogen in Deutschland, inklusive Polizeipräsenz. Trotz der Lage im Hinterhof.