Der Wecker klingelt für Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) schon sehr früh an diesem Montagmorgen an seinem Urlaubsort am Tegernsee. Bereits im Morgengrauen hebt die Regierungsmaschine vom Flughafen in der bayrischen Landeshauptstadt München ab.
Der Termin in Washington ist um 12 Uhr mittags angesetzt. Dann will US-Präsident Donald Trump zunächst mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj über mögliche Zugeständnisse an den russischen Angreifer verhandeln.
Danach sind Gespräche im größeren Kreis vorgesehen. Mit dabei sein werden der französische Staatspräsident Emmanuel Macron, der britische Premier Keir Starmer, die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, der finnische Präsident Alexander Stubb, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der NATO-Generalsekretär Mark Rutte und eben auch Bundeskanzler Merz.
Dramatischer Streit bei Präsidents Selenskyjs (li.) ersten Treffen mit Donald Trump. Selbst das Outfit passte Trump nicht. Wird Selenskyj diesmal einen Anzug tragen?Bild: Saul Loeb/AFP/Getty Images
Meloni, Stubb und Rutte sollen ein besonders gutes Verhältnis zum US-Präsidenten Trump haben. Sie sind mit dabei, um eventuelle verbale Attacken Trumps auf den ukrainischen Präsidenten abzufedern, heißt es aus Diplomatenkreisen.
Ein Eklat wie bei Selenskyjs ersten offiziellem Besuch bei Trump Ende Februar soll in dieser hochsensiblen Verhandlungsphase über das Schicksal der Ukraine unbedingt vermieden werden. Im Februar hatte Trump den ukrainischen Gast vor laufenden Kameras im Oval Office als undankbar abgekanzelt.
Der war daraufhin empört abgereist. Allerdings weiß US-Präsident Donald Trump ganz genau, dass das Wohl und Wehe der Ukraine überwiegend von amerikanischer Unterstützung abhängt, sowohl militärisch als auch politisch. Selenskyj ist in seinen Augen eher Bittsteller, nicht ebenbürtiger Verhandlungspartner für einen „Deal“.
Europäer wollen Trump umgarnen
Der Gipfel in Washington ist so zu sagen die Fortsetzung des Alaska-Gipfels vom Freitag. Dort war es dem russischen Machthaber Wladimir Putin gelungen, Trump davon zu überzeugen, die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine fallen zu lassen.
Putin, das ist einhellige Meinung bei Politik-Experten in Deutschland, triumphierte und konnte ungehindert seine unveränderten Forderungen nach Einverleibung von ukrainischen Gebieten, einer Entwaffnung der Ukraine und einer Aufhebung von Sanktionen dem amerikanischen Präsidenten unterjubeln.
Jetzt geht es nach Ansicht der europäischen Verbündeten darum, Trump zu suggerieren, sein Verhandlungsansatz sei zielführend, und ihn davon zu überzeugen, Russland mehr Zugeständnisse abzufordern.
Der deutsche Regierungssprecher Stefan Kornelius sagte in Berlin vor der Abreise nach Washington, Bundeskanzler Merz werde „das deutsche Interesse an einem schnellen Friedensschluss in der Ukraine unterstreichen“.
Merz lobt US-Sicherheitszusagen für Ukraine als Fortschritt
To view this video please enable JavaScript, and consider upgrading to a web browser that supports HTML5 video
Einem Bericht der amerikanischen Zeitung New York Times zufolge, haben Putin und Trump in Alaska vereinbart, dass die angegriffene Ukraine die Regionen Donezk und Luhansk komplett an den Aggressor Russland abgeben müsse, einschließlich der Gebiete, die von Russland derzeit nicht militärisch besetzt sind.
Der ukrainische Präsident hat eine solche Gebietsabtretung stets vehement abgelehnt. Dass Donald Trump noch einmal klar zu machen, dürfte die schwierigste Aufgabe für Wolodymyr Selenskyj werden.
Die Europäer treten für einen Waffenstillstand entlang der bestehenden Frontlinie ein. NATO-Generalsekretär Mark Rutte hatte davon gesprochen, dass die Ukraine wahrscheinlich die de facto Annexion von Gebieten hinnehmen müsse, auch wenn dies de jure international nicht anerkannt werde.
Kommt der „Dreier-Gipfel“ bald?
Die europäischen Vertreter hatten sich bei einer Videoschalte mit dem ukrainischen Präsidenten am Sonntag erneut zu Sicherheitsgarantien für die Ukraine verpflichtet. Sie nahmen erfreut zur Kenntnis, dass auch die USA sich Sicherheitsgarantien beteiligen wollen, wenn ein Friedensvertrag geschlossen wird.
So zumindest interpretiert man in Berlin, Brüssel, London und Paris, die Äußerungen Trumps nach dem Alaska-Gipfel. Sollte das Treffen in Washington mit der Ukraine und den Europäern das gewünschte Ergebnis bringen, dann will US-Präsident Donald Trump umgehend einen „Dreier-Gipfel“ mit der Ukraine und Russland organisieren. Eventuell schon am kommenden Freitag.
Der russische Machthaber Wladimir Putin hat Donald Trump in Alaska wohl eine Teilnahme in Aussicht gestellt, heißt es in der New York Times. Aber nur, wenn die Ukraine vorher auf Gebiete verzichten sollte.
Putin stellt den ukrainischen Präsidenten wahrheitswidrig als Nazi und illegitim im Amt dar. Nicht nur in Berlin fragen sich die politischen Analysten, ob er ihn wirklich treffen oder weiter auf Zeit spielen wird.
Unermüdlich unterwegs im Regierungsflieger: Bundeskanzler Merz spricht im Journalisten (hier auf dem Weg von Berlin nach Paris, Archiv)Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance
Der Trump-Selenskyj-Gipfel mit europäischen Leitplanken soll am späten Montagnachmittag Washingtoner Ortszeit schon wieder vorbei sein. Eine Übernachtung ist für Bundeskanzler Merz nicht geplant. Es geht direkt zurück in den unruhigen Urlaub an den Tegernsee.
Der Kanzler musste den Urlaub schon mehrfach für Ukraine-Vorbereitungs- und Nachbereitungsgipfel sowie Videokonferenzen unterbrechen. Es wird wohl nicht die letzte Unterbrechung gewesen sein, sollte es am Freitag tatsächlich einen Dreiergipfel zur Beendigung des Krieges geben.
Vergangene Freitagnacht schaute er die Pressekonferenz in Anchorage am Fernseher an, sagte Friedrich Merz im ARD-Fernsehen. Sein Eindruck von dem aufwändig freundlichen Empfang, den Trump Putin in Alaska bereitet hatte : „Weniger wäre auch genug gewesen.“