Die Temperaturen liegen am späten Nachmittag noch um die 30 Grad. Am Ufer der Wörpe steigen Kanuten in ihre Boote. Rennradfahrer treffen sich am Mehlandsdeichweg für eine Tour ins Blaue, Jugendliche spazieren mit ihren Ponys über den Deich. Für Jörg Hermann ist dieser Fleck am Rande von Borgfeld schlicht „Bullerbü“, so sagt es der Anwohner der Warfer Landstraße im Gespräch mit der Redaktion gleich mehrfach. Nach der Ankündigung des Baustarts einer Unterkunft für geflüchtete Familien auf dem Grundstück der ehemaligen Landgaststätte Borgfelder Landhaus für diesen August, möchte der Nachbar sich öffentlich zu der angekündigten Baumaßnahme äußern. Er spreche dabei für rund hundert Anwohnerinnen und Anwohner. Wichtig ist ihm: „Wir sind keine Aktivisten, die gegen das Bauen an sich sind, sondern wir wollen diesen einen Klotz hier nicht haben“, erklärt der Borgfelder.
Bevor er über „diesen einen Klotz“ spricht, erzählt Jörg Hermann seine Geschichte. Vor 15 Jahren sei er mit seiner Familie hierher gezogen. Seine Frau sei naturverbunden, er genieße das Dorfleben. „Wir haben Hunde und Pferde, wie sich das so für Bullerbü gehört“, berichtet der promovierte Dermatologe und ehemalige Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung in Bremen. Dieser Ort sei nun bedroht, von „diesem einen Klotz“, der nach Ansicht der Anwohner nicht ins Ortsbild passe.
Was die Anwohner konkret stört
Was Hermann und seine Mitstreiter an der geplanten Flüchtlingsunterkunft stört, sei nicht, dass dort Geflüchtete wohnen werden, ihnen ginge es lediglich um die Architektur des Gebäudes an dieser Stelle. Was dabei mitschwingt: Als Jörg Hermann vor 15 Jahren aus der Bremer Innenstadt nach Borgfeld zog, hätte er gerne zweistöckig gebaut. „Aber das wurde mir versagt“, betont der Hauseigentümer. „Das einschneidendste Erlebnis war, dass die Mitarbeiterin des Bauamts auf ihrem Fahrrad zu mir aufs Grundstück kam, um mich zu treffen – sie teilte mir mit, sie würde etwas anderes bauen. Ich wurde infolge des Baurechtes aufgefordert, nur einstöckig zu bauen.“ Nun sei er nicht unglücklich mit seinem Haus und sehe auch, „das passt hier eben in die Gegend“, sagt Hermann. Die Häuser in der Gegend seien alle etwas unterschiedlich. „Aber sie haben alle den Charakter, Eigenheime von Familien zu sein. Das macht diese Gegend aus. Und jetzt kriegen wir als Ersatz für das Borgfelder Landhaus, das irgendwie Teil unseres Lebens war, diesen Klotz.“
In Hermanns Stimme klingt Wehmut mit, wenn er von dem alten Borgfelder Landhaus spricht. Hier habe er seine Hochzeit und den 90. Geburtstag seiner Mutter gefeiert. „Jeder von uns in der Straße hat da irgendwas gefeiert.“ Das Landhaus passte laut Hermann in die Gegend. „Es gehörte hierher.“ Ganz anders sei das mit dem geplanten Gebäude: Der erste Entwurf für die geplante Flüchtlingsunterkunft sah laut Hermann auf den ersten Blick noch „einigermaßen hübsch aus“. Doch der zweite Entwurf, der aufgrund der Anforderungen aufgrund des Winterhochwassers 2023/2024 gefertigt wurde, sei „traurigerweise noch schlimmer als der alte“. Jetzt hätte man ein „überhaupt nicht mehr wie das Borgfelder Landhaus aussehendes, sehr, sehr hässliches, klotzartiges Gebäude gesehen – in den Entwürfen.“ Es passe „überhaupt gar nicht“ in die Straße oder in die Gegend.
Laut Hermann verletzt der geplante Bau sogar „geltendes Baurecht“ nach Paragraf 34 des Baugesetzbuches, weil sich der Bau nicht in die Umgebung einpasse. Der Hintergrund des Konfliktes ist, dass es auf dem Grundstück an der Warfer Landstraße 73 laut einer Architektin der Bremer Baubehörde wie berichtet keinen Bebauungsplan gibt. Der Investor und Eigentümer des Grundstücks muss sich lediglich daran halten (so sagt es der Paragraf 34), ein Gebäude zu bauen, das sich in die Umgebung einfügt. Wie berichtet, gehen hier die Meinungen auseinander. Während sich einige Borgfelder nichts sehnlicher wünschen, als dass der Baustart endlich beginnt, um Fakten zu schaffen, glauben andere – so wie Jörg Hermann und seine Interessengemeinschaft – dass die Baubehörde Dinge übersehen hat.
Warum glauben die Anwohner an der Warfer Landstraße, dass sich die Baubehörde nach bald dreijähriger Prüfung des Bauvorhabens und der Erstellung gleich zweier Baugenehmigungen getäuscht hat? Jörg Hermann beantwortet die Frage so: „Der Wunsch ist der Vater des Gedankens, das soll eben gebaut werden. Wir wissen, dass die Stadt schon eine Verpflichtung eingegangen ist, ein Gebäude zu mieten, dass es gar nicht gibt. Also soll das Gebäude auch entstehen.“ Die Baubehörde habe bei der Erteilung der ersten Baugenehmigung Fehler gemacht. Die wasserwirtschaftliche Genehmigung wurde bei dem ersten Verfahren nicht beachtet. „Da hat man gesagt, oh, huch, haben wir vergessen. Dann kam von oben: Ihr dürft nicht sagen, dass ihr das vergessen habt.“ Informationen, die Jörg Hermann nach eigenen Angaben aus entsprechenden Quellen bekommen habe. Ihm stelle sich die Frage, warum der Neubau umgeplant wurde. Und daraus folgend, warum der zweite Plan so richtig sei. Ihm fehle bei beiden Baugenehmigungen „die innere Logik.“
Nach den Mitschriften Jörg Hermanns auf einer Beiratssitzung sei der geplante Neubau 53 Meter lang, 15 Meter breit und drei Geschosse plus Staffelgeschoss hoch. „Also ein Klotz in einem Wohngebiet mit Einfamilienhäusern.“ Als Kompromiss schlägt der Anwohner den Bau von vier oder fünf Doppelhaushälften an der Warfer Landstraße 73 vor. „In jede Hälfte passen jeweils vier Wohneinheiten. In zwanzig Wohneinheiten bekomme ich auch eine Menge Leute unter. Und: In solchen Häusern würden die künftigen Bewohner sich sicher auch wohler fühlen.“