Düsseldorf. Isi lebt seit Jahren auf der Straße. Die Kommunalwahl in Düsseldorf bleibt für sie fern. Viele Wohnungslose wissen nicht von ihrem Wahlrecht.

Ihre blauen Augen leuchten auf, als sie merkt, dass sich jemand zu ihr setzt, ihr Fragen stellt, ihr zuhört. Doch mit dem Thema, mit dem sie nach dem Smalltalk konfrontiert wird, kann sie nicht viel anfangen. Es geht um die bevorstehende Kommunalwahl. Um wählen zu gehen, müssen sich wohnungslose Menschen aus Düsseldorf in ein Wählerverzeichnis eintragen lassen. Die Falten um ihre Augen verhärten sich: „Noch nie von gehört, ich hab‘ nicht mal n‘ Handy.“ Es sei zu kompliziert und zu bürokratisch für Personen, die auf der Straße leben. Und außerdem hat Isabell Götzinger, Spitzname „Isi“, ganz andere Sorgen.

Bei der Kommunalwahl am 14. September wird über die Zukunft Düsseldorfs entschieden. Es geht um alltägliche Entscheidungen vor Ort, die direkt sichtbar sein können. Vor allem Obdachlose könnten davon profitieren. Sie müssen sich jedoch – per Antrag – in das Wählerverzeichnis der Landeshauptstadt eintragen. Ob das Obdachlose überhaupt wissen? Und wenn ja, machen?

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Isi hat den 14. September nicht auf dem Schirm. Besser gesagt: Der Tag interessiert sie nicht weiter. „Die Probleme der kleinen Leute und Rentner werden eh immer ignoriert. Versprechen von den Parteien werden nich‘ gehalten“, findet die 48-Jährige. Sie wisse nicht, wen sie wählen sollte. Ein Grund mehr, den Antrag nicht auszufüllen.

Auch Fathi Madrane wusste nichts von dem Antrag. Sich in das Wählerverzeichnis eintragen zu lassen, käme für den 32-Jährigen sowieso nicht infrage. Er „will nicht wählen gehen, weil sich eh nichts ändern wird“ für ihn.

Fathi Madrane (32) will nicht bei der Kommunalwahl in Düsseldorf wählen gehen.

Fathi Madrane (32) will nicht bei der Kommunalwahl in Düsseldorf wählen gehen.
© NRZ | Zoe Bigall

fiftyfifty aus Düsseldorf: „Nicht der alleinige Grund, warum Leute nicht wählen gehen“

Dass das Interesse für die Kommunalwahl bei Wohnungslosen gering ist, merkt Johannes Dörrenbächer. Er arbeitet seit elf Jahren als Sozialarbeiter beim Düsseldorfer Straßenmagazin „Fiftyfifty“.

„Dieser Antrag für das Wählerverzeichnis ist bürokratisch und kompliziert. Aber ich glaube, das ist nicht der alleinige Grund, warum die Leute nicht wählen gehen.“ Ihre Sorgen lägen vielmehr im Alltag, seien aktueller und greifbarer, die Kommunalwahl im Vergleich zu diffus.

Johannes Dörrenbächer weiß, dass die Kommunalwahl 2025 in Düsseldorf wichtig ist für das Leben auf der Straße. (Archivbild)

Johannes Dörrenbächer weiß, dass die Kommunalwahl 2025 in Düsseldorf wichtig ist für das Leben auf der Straße. (Archivbild)
© Volker Hartmann

„Für die Menschen auf der Straße reicht es manchmal noch nicht einmal, sich um die einfachsten Dinge zu kümmern. Dass man duschen kann, Geld hat, Essen bekommt.“ Die Wahl sei das Allerletzte auf der Liste der Probleme, erklärt Dörrenbächer.

„Für die Menschen auf der Straße reicht es manchmal noch nicht einmal, sich um die einfachsten Dinge zu kümmern. Dass man duschen kann, Geld hat, Essen bekommt.“

Johannes Dörrenbächer

Sozialarbeiter

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So auch für Isi: Als sie neun Jahre alt war, hätten ihre Eltern sie von Zuhause rausgeworfen. Seitdem lebe sie auf der Straße – mit einigen Unterbrechungen. In der Gasse der Düsseldorfer Altstadt sitze sie seit 1986 immer wieder. Ob das, was Isi uns erzählt, stimmt, können wir nicht prüfen.

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Die 48-jährige Frau habe Fachabitur und drei Ausbildungen absolviert – „zur Kinderpflegerin, Schreinerin und Pferdewirtin.“ Doch Anfang Februar sei ihr Partner verstorben. Seitdem sitze sie wieder hier auf dem gepflasterten Boden, anfangs noch mit ihrem Grauhaardackel namens Murphy, des Öfteren auch mal „Graf Rotz“ genannt.

„Warum Graf Rotz? Na ja, weil er ‘ne große Klappe hatte und rotzfrech war.“ Vor drei Wochen verstarb auch er im hohen Hundealter von 13 Jahren. Isabells größtes Ziel ist es momentan, genug Geld zu sammeln, um seine Urne abzuholen. Murphy sitzt nun in Kuscheltierform neben dem mit Kleingeld gefüllten Becher vor ihr.

Isabell Götzingers Schutztier in der Düsseldorfer Altstadt: Eine Erinnerung an ihren Hund Murphy alias „Graf Rotz“.

Isabell Götzingers Schutztier in der Düsseldorfer Altstadt: Eine Erinnerung an ihren Hund Murphy alias „Graf Rotz“.
© NRZ | Zoe Bigall

Wie können Obdachlose an der Düsseldorfer Kommunalpolitik teilnehmen?

Damit Personen wie Isi und Fathi besser erreicht werden und ihr Wahlrecht nutzen, sind vor allem Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter gefragt. „Wir hängen Plakate auf und teilen Flyer aus. Das kann sicherlich verbessert werden“, sagt Dörrenbächer, „aber wir merken, dass Leute, die ihr Leben stabilisiert haben, eher wieder wählen gehen.“

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Auch die Stadt händige Hinweise zur Wahl an verschiedene städtische Hilfseinrichtungen aus. Mitarbeitende würden wohnungslose Personen aktiv über ihr Wahlrecht informieren, teilt eine Sprecherin der Stadt Düsseldorf mit. Bei Interesse würden Mitarbeitende bei der Antragstellung unterstützen. Das Verfahren werde „von wohnungslosen Menschen gut angenommen“, heißt es.

Düsseldorfer Obdachlose nutzen Wählerverzeichnis-Antrag kaum

Doch Dörrenbächer von der nicht-städtischen Sozialarbeit Fiftyfifty machte andere Erfahrungen: „Rund 850 der bei uns gemeldeten Postadressen sind EU-Bürger und damit wahlberechtigt. Bei der Bundestagswahl haben sich vielleicht drei in das Wählerverzeichnis eintragen lassen.“ Die Wahlbeteiligung durch einen einfacheren Vorgang zu erhöhen, hält er wegen der „größeren Probleme auf der Straße“ für nicht zielführend.

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Seiner Meinung nach könne es helfen, die Probleme zu konkretisieren. „Wir protestieren mit vielen wohnungslosen Menschen gemeinsam“, sagt Dörrenbächer, „wenn es zum Beispiel um die Räumung eines Platzes geht. Oder heißt: Die Bank dort soll verschwinden.“ Dafür müsse den Wohnungslosen allerdings auch ein offenes Ohr geschenkt, ihre Lebensrealitäten wahrgenommen werden. In der Düsseldorfer Gasse brachte Isi das schon zu Beginn auf den Punkt: „Ich fühl‘ mich unsichtbar. Außer unsere eigenen Leute, setzt sich niemand hierhin. Und das ist Scheiße.“