Dresden. Furiose Geschichten alter weißer Wittenberger Männer gehören erzählt. So tu es auch jener Wenzel, der schon im Osten gehörig den Apparat stach – und nun, Ironie des Schicksals, wieder den Mächtigen nicht passt. Er bewies am Sonnabend – auf Einladung des Neustädter Kultkinos Schauburg just 16 Tage nach seinem 70. Geburtstag – in der rappelvollen Sommerwirtschaft Saloppe seine unerschöpfliche wie hehre Bardenkraft und bot einen gelungenen Abend in schwelgender Erinnerung samt akutem Aufruhrbedarf.

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Als Intro eine Version der neuen Hymne, dann betritt Hans-Eckardt Wenzel, wie ehedem in ranker Gestalt, aber nicht mehr so langhaarig, das Podium für ein Heimspiel besonderer Art. Während unten in der Stadt Rummel, Purpur und Bummbumm dominierte, ging es hier oben am Elbhang dezent zu, selbst im Fankult, der sich sonst gern in Parolen auf Klamotten spiegelt: hier mal ein Elch und etliche geringelte Matrosenhemden, ansonsten kaum Bekundungen.

An meinen Schultern hängt die Nacht

Titel eines Gedichtbandes von Wenzel

Gut bewahrte sieben Dekaden Lebenserfahrung, damit ein wenig mehr als der gefühlte Publikumsdurchschnitt, bedeutet auch für ihn: die kurze DDR-Wendezeit quasi just als eine Art Halbzeitpause zu sehen, was ihn – den Komponisten, Autor, Regisseur und Liedermacher – behaupten ließe, zwei Systeme erlitten und durchschaut zu haben. Er beschenkte sich selbst mit einem Poesiealbum namens „An meinen Schultern hängt die Nacht“ mit 86 frischen Gedichten und mit einer neuen Scheibe namens „Strandgut der Zeiten“, auf der die Jubiläumstournee, die am Geburtstagsabend im Ostberliner Admiralspalast startete, fußt.

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Es zeigt nicht nur bekannte musikalische Qualitäten, sondern die tiefen Wurzeln („Lest Becher und Brecht!“) neben dem Ästhetikabschluss und die ambivalente Sozialisation zwischen Clown und Narr (ohne Hof). Wobei bei Wenzel, hier wieder mit rauchiger Stimme und furiosen, dialektisch ausgebufften Zwischentexten, immer eine große Melancholie mitsummt, bei der die Klaviatur des Zaubers und der Vergänglichkeit von Leben und Liebe (sowie Liebesleben und -leiden) den Ton angibt.

Arbeit mit Steffen Mensching

Im Prinzip ist er sich dabei seit 1976, als das Liedertheater Karls Enkel für Furor sorgte, treu. Er war nicht nur einer der (drei) führenden Köpfe der wichtigen Resolution der DDR-Musiker, was am 18. September 1989 durchaus mutig war, sondern fabrizierte von 1982 bis 1990 mit Steffen Mensching (seit 2008 Intendant in Rudolstadt) Neues, Altes und dann auch „Letztes aus der Da Da eR“, woraufhin diese dann endgültig erlosch. 2019 las der Becher- und Heine-Preisträger per „Die misslungene Erziehung des Menschengeschlechts“ sogar Lessings Kamenz per Rede die Leviten.

Seine Künstlerbilanz ist seit der 86er Amiga-Platte „Stirb mit mir ein Stück“ dermaßen reich an Perlen, dass man sich darauf konzentrieren kann, was er hier bietet und nun als eine Art Zwischenbilanz als erlesenes Strandgut vibrierend in Hirn und Herz einsickert: eine Version vom Woody-Guthrie-Revival („Die Geduld der Ozeane“), sein Brecht-Sonett Nr. 19, seine sibirische Speedpolka – wobei natürlich schon zum Start „Die Hoffnung im Eimer“ ist. Am lebhaftesten schwingt die alte haftende Sehnsucht nach einer besseren, also schlicht gerechteren Welt bei „An den Kindertischen“ mit, wo er bei großen Festen sitzen mag, um noch träumen zu dürfen. Davor erinnert er sich an sein Bild aus der zweiten Klasse, wo er sich das Jahr 2000 als lichte Zukunft vorstellte – heute undenkbar.

Wenzel im Dezember wieder hier

Wenzels Band, mit Hannes Scheffler und Thommy Krawallo an den Elektrogitarren sowie Manuel Abreu an Trompete sowie Jason Liebert an Posaune und Susaphon gut besetzt, gewährt Schlagzeuger Stefan Dohanetz, vor kurzem noch beim Pankow-Abschied in der Tante JU gefeiert, einen Platz vorn rechts. Und er darf gar bis „ölf“ zählen, ehe die Band millisekundentaktgenau einfällt.

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Der selbstreferenzielle Pazifistenblues gleicht – ergänzend zu den eloquenten Erzählungen über akute Problemzonen menschlicher Vernunft eine Anklage der medialen Hypermoral als Form postmoderner Hybris – einer Ode an das widerborstige Künstlerleben und zeigt: Da ist gar keine Ironie mehr, sondern nur noch Schicksal. Derart kommt Wenzel schon am 12. Dezember wieder nach Dresden, dann direkt in die Schauburg. Aber zuvor, schon am 12. bis 21. September, folgen weitere Heimspiele in der Nähe: in der Leipziger Parkbühne, der KuFa zu HoyWoy und im Freiberger Tivoli.

DNN