Von Werbung in sozialen Medien bis hin zu TV-Spots: Täglich werden Konsumenten mit Anzeigen für teure Nahrungsergänzungsmittel bombardiert, die angeblich Gedächtnis, Konzentration und Denkfähigkeit verbessern. Manche Hersteller werben sogar damit, Demenz zu stoppen oder zu verlangsamen. Stimmt das wirklich? 

Große Versprechen, wenig Kontrolle

Viele Hersteller werben damit, ihre Brain Booster seien „klinisch getestet“. Doch anders als zugelassene Medikamente unterliegen sie nicht den strengen Vorschriften von Arzneimittelagenturen wie der EMA bzw. der FDA in Bezug auf Reinheit, Sicherheit und Wirksamkeit. 

Pieter Cohen © Gretchen Ertl 

„Hersteller haben [in den USA] große Freiheiten, diese Produkte zu vermarkten, wie sie wollen“, erklärt Prof. Dr. Pieter Cohen, Direktor des Supplement Research Program an der Cambridge Health Alliance und Associate Professor an der Harvard Medical School. Zwar gebe es ab und zu kleinere Studien, oft mit nur rund 100 Teilnehmern. Doch diese seien wissenschaftlich kaum belastbar. 

Cohen empfiehlt seinen Patienten, keine solchen Präparate zur Verbesserung ihrer Gehirnfunktion zu schlucken – es sei denn, sie dienen der Behandlung eines klar diagnostizierten medizinischen Problems.

In Europa schränkt die Health-Claim-Verordnung irreführende Werbung ein. Sie legt fest, welche gesundheits- und nährwertbezogenen Aussagen („Claims“) Hersteller für Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel verwenden dürfen. 

Zweifel an Inhaltsstoffen und Dosierung

Doch die womöglich fehlende Wirkung ist nur ein Problem. In einer Studie aus dem Jahr 2021 fanden Cohen und sein Team in frei verkäuflichen „Cognitive Enhancement“-Produkten nicht zugelassene Substanzen wie Omberacetam, Aniracetam, Phenibut, Vinpocetin und Picamilon. Bei 75% der Produkte stimmten Angaben auf der Verpackung nicht mit Ergebnissen von Laboruntersuchungen überein. 

Häufig enthalten die Präparate eine Mischung aus Vitaminen, Mineralstoffen wie Magnesium, Omega-3-Fettsäuren, Kurkuma und Pflanzenextrakten wie Ginseng oder Ginkgo biloba. Daneben fandne die Wissenschaftler auch exotischere Inhaltsstoffe wie Cholinalfoscerat, Huperzin ALöwenmähnenpilz, L-Carnitin oder Bacopa monnieri aus der ayurvedischen Medizin.

Besonders kurios: Das Mittel Prevagen enthielt Apoaequorin, ein im Labor hergestelltes Protein, das ursprünglich in einer biolumineszenten Qualle entdeckt worden ist. Im Jahr 2024 untersagte ein US-Bundesgericht dem Hersteller, weiter mit angeblichen Gedächtnisverbesserungen zu werben – wegen mangelnder Beweise. 

Fachliche Einschätzungen: Belege für den Nutzen fehlen

Jayne Zhang © Johns Hopkins Medicine

Expertinnen und Experten ziehen aufgrund solcher Daten ein negatives Fazit. „Es gibt allenfalls begrenzte Evidenz für einen Nutzen – meist bei Menschen mit Mangelernährung oder bestehendem kognitivem Abbau“, sagt Dr. Jayne Zhang, Neurologin an der Johns Hopkins School of Medicine. Methodisch hochwertige, groß angelegte Studien fehlten bislang. 

Alejandra Sánchez López © Reed Hutchinson

Ähnlich kritisch äußert sich Dr. Alejandra Sánchez López, Neurologin und Altersmedizinerin an der University of California, Los Angeles: Daten kämen oft nur „aus kleinen, von Herstellern finanzierten Studien“. Oft käme es zu Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Durchfall. 

Evidenzbasierte Strategien für ein fittes Gehirn

Während Sánchez López generell von Supplementen abrät, ist Zhang offener: „Ich frage, was sich ein Patient vom Präparat erhofft, erkläre dann, was wir darüber wissen, und gehe auf die Sicherheit ein.“

Zhang nutzt solche Gespräche gleichzeitig, um auf bewährte Maßnahmen zur Förderung der geistigen Gesundheit hinzuweisen: auf eine ausgewogene Ernährung, auf mehr Bewegung, ausreichenden Schlaf, wenig Alkohol, soziale Kontakte – und die Behandlung von Erkrankungen wie Depression, Diabetes oder Hypertonie. „Es gibt aber keine Zauberpille für ein gesundes Gehirn“, erklärt sie ihren Patienten. 

Eine Ausnahme könnten Multivitamin-Präparate sein. In einer großen, NIH-finanzierten, placebokontrollierten Studie verbesserten sie bei älteren Erwachsenen tatsächlich die Werte für globales Denken, Gedächtnis und exekutive Funktionen – besonders bei Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Risiken: Von falschen Inhaltsstoffen bis zu Wechselwirkungen

Doch bei vielen der in Apotheken oder in Supermärkten erhältlichen Supplemente ist der Nutzen gering. Schlimmer noch: Verbrauchern drohen zahlreiche Gefahren. 

  • Manche Inhaltsstoffe sind deklariert, aber nicht nachweisbar – andere wiederum finden sich im Produkt, stehen aber nicht auf dem Etikett.

  • Manche Pillen enthalten potenziell gefährliche, nicht arzneimittelrechtlich zugelassene Wirkstoffe.

  • Nahrungsergänzungsmittel können die Aufnahme, den Abbau oder die Wirkung von verschreibungspflichtigen Medikamenten verändern – mit potenziell riskanten Folgen.

„Ich lasse mir immer die Verpackung zeigen und gehe mit den Patienten die Inhaltsstoffe durch“, erklärt Sánchez López.

Brain Booster aus der Küche statt aus der Kapsel

Emma Laing © University of Georgia

Eine sichere und nachweislich wirksame Alternative liegt für Dr. Emma Laing von der University of Georgia auf der Hand: „Viele möglichst gering verarbeitete Lebensmittel können die kognitive Gesundheit verbessern und das Risiko chronischer Krankheiten verringern.“

Auch Kaffee und Tee tragen nachweislich zur neurologischen Gesundheit bei – und selbst eine moderate Verringerung des Alkoholkonsums kann die geistige Leistungsfähigkeit verbessern.

Besonders gut untersucht sind die Mittelmeer-Diät und die MIND-Diät (eine Kombination aus mediterraner Ernährung und der blutdrucksenkenden DASH-Diät). Beide stehen in Verbindung mit einem besseren Gedächtnis und mit mehr kognitiver Fitness im Alter.

Derzeit keine Empfehlung

Bleibt als Fazit: Aktuell gibt es kaum hochwertige Belege für einen Nutzen von Supplementen zur Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit. Vielleicht zeigen weitere Studien einen Benefit. Bis dahin sollten Ärzte Patienten raten, ihren Lebensstil zu verbessern, anstatt teure, möglicherweise gefährliche Pillen zu kaufen. 

Der Beitrag ist im Original erschienen auf Medscape.com.