Von Thomas Veigel
Karlsruhe. Das Peter Gross Bau Areal ist ein riesiges Gelände der Karlsruher Messe. 75.000 Fans haben hier am Sonntagabend das Konzert von AC/DC besucht. Sie verloren sich auf staubigen 105.000 Quadratmetern – das sind gut zehn Fußballfelder. Eine Stimmung wie in einem Stadion kann da nicht wirklich aufkommen. Wenigstens die rot blinkenden Hörnchen auf den Köpfen tausender Höllenfürsten sorgten für einen Hauch Romantik.
Dafür war der Sound sehr gut, was bei Konzerten dieser Größenordnung selten der Fall ist. Nicht zu laut, Ohropax konnten entfernt werden. Verzerrt klangen nur die Gitarren – und das gehörte so. Jeder Schlag auf Snare und Bassdrum, jeder E-Gitarren-Akkord war deutlich zu hören. Auch den Gesang hat man gehört, doch das war nicht immer erfreulich.
Es ehrt Bandleader Angus Young, Ausnahmegitarrist und einzig verbliebenes Gründungsmitglied, dass er an Brian Johnson festhält, der 1980 den verstorbenen Bon Scott ersetzte. Mit mittlerweile 77 hat Johnson seinen Zenit jedoch überschritten. Einige Songs – allein fünf spielen AC/DC vom 1980er-Album „Back In Black“, dem ersten mit Brian Johnson – singt er souverän, bei anderen schwächelt seine Stimme. Johnson und Young sind der Kern der Band, möglicherweise gibt es derzeit niemanden, der den Job des Sängers besser erledigen würde. Johnson zeigte sich jedenfalls gut gelaunt und fit, zusammen mit Young legte er die weitesten Strecken auf der Bühne zurück.
Es ist ein zweites Thema in der Diskussion, das etwas akademisch daherkommt: Sollen die alten Knacker aus der 1960er- und 1970er-Jahren immer noch die großen Stadien und Bühnen dieser Welt bespielen? Sollten sie nicht endlich abtreten und den Jüngeren die Show überlassen? Allein am Sonntag haben 75.000 Zuschauer diese Frage beantwortet: Ja, sie sollen spielen, wir wollen sie immer noch sehen und hören! Und solange Veranstalter Musik-Koryphäen wie Bob Dylan, Neil Young oder Bruce Springsteen Millionengagen bieten, wird man die Ü-70-Veteranen auch weiter live auf der Bühne sehen.
Angus Young und seine Band spielen sehr präzise. Jeder Ton sitzt, jedes Riff kommt so, wie man es erwartet. Schlagzeuger Matt Laug und Bassist Chris Chaney sind erst seit einem Jahr mit auf Tour. Die beiden spielen wie aus einem Guss, sie bauen zusammen mit dem Rhythmus-Gitarristen Stevie Young das Fundament für die ebenso präzisen Riffs, Soli und Akkordfolgen von Angus Young.
Man kann froh sein, einen solchen Gitarristen noch live erleben zu können. Er gibt immer auch im Alter von nunmehr 70 Jahren den ewigen Schulbuben in Uniform, in Karlsruher mit kurzer roter Samthose und gelber Basecap. Der Aussie spielt mit der gleichen Ernsthaftigkeit wie vor 50 Jahren. Und auch die vermeintliche Leichtigkeit, mit der er seiner Gibson SG Töne entlockt, hat er sich erhalten. Viele der von ihm komponierten Intros und Riffs und ihre Songs sind Klassiker von geradezu barocker Einfachheit geworden – die werden noch einige Generationen frisch bleiben. „Highway To Hell“, „Hells Bells“, „You Shook Me All Night Long“, „High Voltage“, „Whole Lotta Rosie“, „Thunderstruck“, „T.N.T.“, „Back In Black“: Das sind acht von 21 Rock’n-Roll-Hymnen, die AC/DC am Sonntag in gut zwei Stunden spielen.
Mehr als die Hälfte der Setlist besteht aus Songs der 1970er-Jahre. Das unterstreicht, dass Angus Young vor allem dem Rock’n Roll verpflichtet ist. High Voltage Rock’n Roll trifft es am besten. Zuweilen kommt der auch sehr englisch daher – Dave Edmunds und Mickey Jupp lassen immer mal wieder grüßen. Youngs Gitarrenspiel dagegen ist einzigartig. Wenn man Vorbilder suchen will, findet man Anteile der unbändigen Spielfreude von Chuck Berry (dessen „Duck Walk“ zeigt Young ansatzweise auch heute noch), vom treibenden Rhythmus Muddy Waters’ und vom gesättigten Röhrensound eines Jimi Hendrix. Etwas ausufernd gerät das über halbstündige Solo beim letzten Titel der Setlist, „Let There Be Rock“. Bei den beiden Zugaben kommt die Band auf den Pfad der Tugend zurück. „T.N.T.“ und „For Those About To Rock“ entsenden die Menge in die angenehm kühle Karlsruher Nacht.