Vorweg: Was am Freitag in Alaska stattfand, war, gelinde gesagt, unorthodoxe Diplomatie. Normalerweise gilt gerade in der heiklen Friedensdiplomatie, dass ein Gipfel zwischen Staatsoberhäuptern den wohl kalibrierten Schlusspunkt bildet. Er findet zumeist erst statt, wenn die zahlreichen technischen Spannungsmomente, die sich im Laufe eines Konflikts anhäufen, in thematischen Untergruppen ausverhandelt sind und ein Schlussdokument unterschriftsreif ist.

Aus gutem Grund: Scheitert ein Gipfel, kratzt das nicht nur am Prestige der beteiligten Machthaber, sondern es gehen auch Vertrauen und Hoffnung verloren – ebenso wie die mühsam erreichten Vereinbarungen. Trump zelebrierte stattdessen einen Gipfel als Auftakt, mit nur ein paar Tagen Anlaufzeit und vergleichsweise wenig systematischer Vorbereitung. Das war ein enormes Risiko. Unter diesen Umständen war ein Durchbruch kaum zu erwarten.

Der Gipfel hat jedoch Sachzwänge in den Vordergrund gerückt, die lange tabuisiert waren, nun aber nicht mehr ignoriert werden können: Russland dominiert seit Ende 2023 militärisch, während die Ukraine trotz beispielloser westlicher Unterstützung stetig schwächer wird. Im Frühling 2023 schwadronierte Josep Borrell, der Vorgänger der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Kaja Kallas, noch davon, dass dieser Krieg auf dem Schlachtfeld gewonnen werden müsse. Nun tritt dieses Szenario ein, freilich nicht so, wie Borrell es sich ausgemalt hat. Russland ist auf dem Vormarsch. Ein bedingungsloser Waffenstillstand, wie ihn die Ukraine und europäischen Regierungen fordern, ist deshalb keine Option. Denn wieso sollte Putin zustimmen, seine strategische Überlegenheit aufzugeben, um im Gegenzug nichts zu erhalten?

Ein weiterer Punkt, der nun ans Licht tritt, ist, dass es Russland eben doch, und immer noch, um die tieferen Ursachen („root causes“) des Krieges geht, womit Moskau die Nullsummen-Sicherheitspolitik des Westens in Zentral- und Osteuropa seit dem Ende des Kalten Krieges meint. Auch das ist ein Grund, warum Russland den Krieg nicht nur einfrieren will, sondern auf allumfassende politische Verhandlungen pocht, in denen es neben einer Beendigung des Krieges gegen die Ukraine eine Neugestaltung der Beziehung zwischen Russland und dem Westen anstrebt.

Das wichtigste Ergebnis des Gipfels ist somit, dass es substanzielle Friedensverhandlungen geben wird, statt eines bloßen Waffenstillstands, für den Selenskyj und seine europäischen Freunde noch zwei Tage vor Anchorage bei Trump Vorsprache hielten. Denn das ist der Knackpunkt dafür, wie es weitergehen soll.

Eine Waffenruhe, wie sie die Ukraine und die Europäer fordern, grenzt an Wirklichkeitsverweigerung – als wolle man die Augen sowohl vor den Ursachen des Krieges als auch vor der Notwendigkeit eines neuen Sicherheitsarrangements in Europa verschließen, das den Realitäten einer multipolaren Ordnung entspricht. Zudem wäre sie fragil: Ohne ein ausgefeiltes, von beiden Seiten getragenes Überwachungssystem reicht ein einziger Schuss an der langen Frontlinie oder im Luftraum über der Ukraine und Russland, um neue Gefechte auszulösen. Wenig hilfreich war auch, dass europäische Vertreter unverblümt ankündigten, die Ukraine während einer Waffenruhe aufzurüsten und eigene Truppen rasch ins Land zu entsenden.

Russlands militärische Überlegenheit und sein Drängen auf eine neue Sicherheitsordnung in Europa sind Realitäten, die sich nicht wegwünschen lassen.

Ein salomonisches Urteil über das Patt zwischen der europäischen und der amerikanischen Position wäre, sie nicht als Gegensatz, sondern als Teile eines Ganzen zu sehen. Wie der kolumbianische Ex-Präsident, Friedensverhandler und Friedensnobelpreisträger Juan Manuel Santos erklärt, ist eine Waffenruhe ein wesentlicher Schritt – aber eben hin zu einem vollständigen Friedensabkommen. Sie schafft Vertrauen, und es verhandelt sich leichter, wenn nicht gleichzeitig Tod und Zerstörung weitergehen. Als Nächstes braucht es nun ein von beiden Seiten getragenes, klar strukturiertes Rahmenabkommen, das Themen und Regeln des eigentlichen Verhandlungsprozesses festlegt.

Mit dem Ausgang des Gipfels gibt es nun erstmals seit April 2022 wieder einen Prozess, einen virtuellen Raum und einen – wenn auch hastig entworfenen – Mechanismus, in dem die Konfliktparteien und ihre Stellvertreter alle offenen Fragen besprechen können. Wie die hektischen ersten Stunden und Tage nach dem Gipfel zeigten, hat dieser Prozess bereits begonnen – vielleicht etwas zu überstürzt.

Russlands militärische Überlegenheit und sein Drängen auf eine neue Sicherheitsordnung in Europa sind Realitäten, die sich nicht wegwünschen lassen. Europas außenpolitisches Establishment versucht es trotzdem. Die Reaktion der Europäer – abgesehen von einer stillen Erleichterung, dass es doch nicht zu dem befürchteten neuen Jalta kam – war entsetztes Haareraufen und Händeringen. Entsetzen darüber, dass tatsächlich Frieden ausbrechen könnte. Und Entsetzen darüber, dass es ihnen nicht gelungen war, Trump auf ihre Linie einzuschwören, obwohl man doch alles getan hatte: Unsummen für amerikanische Waffen versprochen, Ja und Amen zu den neuen Zöllen gesagt, die richtigen Leute zum Golfen geschickt. Kurz: alles, um einem eitlen, alternden und verwirrten Narzissten zu schmeicheln. Und trotzdem gelang es nicht, die Amerikaner und ihre Militärmacht für europäische Befindlichkeiten einzuspannen. Sad!

Statt die Chance auf Frieden zu nutzen, greifen europäische Spitzenpolitiker zu einem altbekannten Muster: dem Spoiler-Verhalten. Akteure, die nicht stark genug sind, einen Konflikt in ihrem Sinne zu entscheiden, torpedieren eine friedliche Beilegung mit Unkenrufen, Sabotage und Manipulation.

Ein Teil von ihnen übt sich entsprechend in sturem Voluntarismus: Wenn wir nur fest genug daran glauben, bleibt alles beim Alten und geht so aus, wie wir es wollen. So schreibtKaja Kallas auf X, Amerika habe die Macht, Russland zur „richtigen“ Art von Verhandlungen zu zwingen. Mit fortlaufender Unterstützung und dem 19. Sanktionspaket der EU werde Russland den Krieg aufgeben müssen. Europas Sicherheit, so Kallas, stehe ohnehin nicht zur Debatte.

Es braucht nicht viel, um einen derart holprigen, improvisierten Friedensprozess zu sabotieren.

Die neue österreichische Außenministerin Beate Meinl-Reisinger gab sich zuletzt zuversichtlich, dass sich in Russland „irgendwann die Särge türmen“ und Putin die Zeit davonläuft. Die voluntaristische Fraktion sehnt sich nach dem alten, verlässlichen Amerika zurück, das unablässig von einer regelbasierten Ordnung sprach und es den Europäern erlaubte, über ihre machtpolitischen Verhältnisse zu leben.

Andererseits werden die Stimmen immer zahlreicher und lauter, die fordern, Europa müsse endlich Konsequenzen aus dem Wankelmut der USA ziehen, seine Illusionen aufgeben – und selbst gegen Russland in den Krieg ziehen. Was treibt diese europäischen Spoiler an? Offenbar die Überzeugung, dass nur ja kein Frieden ausbrechen darf und der Krieg weitergehen muss; dass nichts außer einer klaren Niederlage Russlands für Europa akzeptabel ist. Wie eine solche Niederlage konkret – militärisch und strategisch – erreicht werden soll, verraten sie nicht.

Wenn von den „root causes“ die Rede ist, heißt das: Es muss endlich über diese Ursachen gesprochen werden und damit über eine neue, andere Sicherheitsarchitektur für Europa. Genau dieses Schreckgespenst der europäischen Denkfabriken und Außenministerien ist es, dem sich niemand stellen will. Aus reinen Sachzwängen wird Russland an solchen Gesprächen auf Augenhöhe teilnehmen. Diese Vorstellung – verbunden mit der Einsicht, dass Europa die alten Männer im Weißen Haus nicht mehr für seine Zwecke einsetzen kann – löst Panik aus.

Im Kontrast zur Panik der europäischen Politiker über ein mögliches Kriegsende steht die Tatsache, dass laut einer neuen Gallup-Umfrage 69 Prozent der Ukrainer wollen, dass der Krieg durch Verhandlungen beendet wird. Wir können uns auch das wegwünschen und behaupten, „die Ukraine“ sei dagegen. Es braucht nicht viel, um einen derart holprigen, improvisierten Friedensprozess zu sabotieren.

Die aktuelle Verhandlungsgrundlage unterscheidet sich kaum von dem Abkommen, das die Ukraine im Frühjahr 2022 fast abgeschlossen hatte, bis ihre westlichen Partner sie davon abhielten. Drei Jahre später sind hunderttausende Ukrainer tot, ganze Städte zerstört, und die militärische Lage des Landes hat sich dramatisch verschlechtert. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch darin: Seit dem Ende der Istanbuler Verhandlungen hat Russland weitere Gebiete besetzt und verlangt jetzt, in Anerkennung dieser „neuen Realität“, Gebietsabtretungen. Das ist ein klarer Affront gegen das Gewaltverbot – aber auch sicherlich einer der härtesten Zankäpfel der kommenden Verhandlungen. Mit politischem Willen und mit Visionen ließen sich hier Russland dennoch Zugeständnisse abringen. Europa kann nun auf noch mehr Krieg setzen – und sich darin immer tiefer verstricken. Oder es kann sich ernsthaft für Frieden einsetzen, nach allen Regeln der Kunst.