Stimmten im Vergleich zu ihrem letzten Treffen im Oval Office weitaus versöhnlichere Töne an: US-Präsident Donald Trump und der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj.

Stimmten im Vergleich zu ihrem letzten Treffen im Oval Office weitaus versöhnlichere Töne an: US-Präsident Donald Trump und der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj.

Keystone

Kurz nach Treffen zwischen Trump und Putin wirkte der gestrige Ukraine-Gipfel wie ein Teil eines grösseren Schauspiels. Gemäss dem Geopolitik-Experten Remo Reginold spielt Europa mit – aber nach Trumps Drehbuch.

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Europa ermöglichte Donald Trump am Montag eine grosse Friedensshow, indem es sich in die Dramaturgie fügte, Trump Tribut zollte und seine Deutungshoheit akzeptierte
  • Trotz vager Sicherheitszusagen und fehlender konkreter Ergebnisse sieht Experte Remo Reginold Trumps Strategie als gezielte Machtdemonstration mit narrativer Kontrolle.
  • Zentrale Fragen wie Gebietsabtretungen der Ukraine blieben hingegen offen.

Das letzte Treffen zwischen Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj im Weissen Haus endete im Fiasko. Im Februar hatten der US-Präsident und dessen Vize JD Vance den ukrainischen Präsidenten vor laufender Kamera gedemütigt und zurechtgewiesen. Selenskyj verliess daraufhin Washington vorzeitig.

Ganz anders gestern: Diesmal wirkte die Szenerie kontrollierter, fast schon harmonisch. Nüchterne Gesten mischten sich mit herzlichen Auftritten, mit Lob und Schmeicheleien wurde nicht gespart. Sogar die Kleidung Selenskyjs – er trug schwarze Jacke, schwarzes Hemd und schwarze Hose – wird von Trump gerühmt.

Noch im Februar wurde Selenskyjs schlichter Pullover – ein Symbol seiner Rolle als Oberbefehlshaber – auf US-Seite als Respektlosigkeit kritisiert.

«Die Hackordnung ist klar»

«Letztes Mal ging es darum, die Hackordnung zu definieren. Nun ging es darum, die europäischen Spitzenpolitiker abzuholen», sagt Remo Reginold, Direktor des Swiss Institute for Global Affairs (SIGA), zu blue News.

Denn der ukrainische Präsident erschien mit namhafter Eskorte: Während sich Selenskyj und Trump unterhielten, warteten im Dining Room mit Friedrich Merz, Emmanuel Macron, Keir Starmer, Giorgia Meloni und Alexander Stubb Staats- und Regierungschefs aus Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Italien und Finnland. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Nato-Generalsekretär Mark Rutte machten ihre Aufwartung.

Europa ermöglichte Trump eine grosse Friedensshow. «Das sind offenbar die Machtverhältnisse», so Reginold. Besonders sichtbar wurde dies in der Frage nach einer Waffenruhe: Während Bundeskanzler Merz auf eine Feuerpause als Voraussetzung für Friedensverhandlungen beharrte, machte Trump deutlich, dass er eine solche nicht für notwendig hält. Reginold: «Es ist klar, wer sich da durchgesetzt hat. Auch Selenskyj als Hauptbetroffener hat bereits eingelenkt.»

Zur Person

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Bild: Christin Schäfer

Remo Reginold ist Direktor des Swiss Institute for Global Affairs (SIGA). Er studierte Politikwissenschaften, Philosophie und Theologie und forschte in Frankreich, UK und den USA.

Selenskyj gab nach dem Treffen zu Protokoll, er sei «ohne Vorbedingungen» zu einem Treffen mit Putin bereit. Keine Rede mehr von einer «nicht verhandelbaren» Waffenruhe, wie sie die Europäer forderten. Auch Trump hatte ursprünglich eine sofortige Waffenruhe für die Ukraine verlangt. Diese Forderung gab er aber nach seinem Treffen mit Putin am vergangenen Freitag in Alaska auf. Und Trumps Wort gilt. «Die Hackordnung ist klar. Und es wird nicht widersprochen», sagt Reginold.

Fragezeichen bei Sicherheitsgarantien

Auch die Choreografie der europäischen Auftritte war bemerkenswert: Starmer, Rutte und Meloni bedienten sich vor allem des Lobes, Merz trat fordernd auf, während Von der Leyen und Macron nachlegten. Für Reginold haben die Europäer zwar dieses Mal «sehr gut mitgespielt» und «ihre Rollen wahrgenommen». Am Ende bleibe jedoch der Eindruck, dass «die USA den Takt vorgeben und die Europäer nur versuchen, das Schlimmste zu verhindern».

So blieb Trump auch bezüglich Sicherheitsgarantien für Kiew vage, sprach lediglich von einem «sehr guten Schutz». Nato-Generalsekretär Rutte nannte dies einen «Durchbruch». Wie dieser allerdings konkret aussehen könnte, ist unklar. Im Vorfeld diskutiert wurden etwa eine Nato-ähnliche Unterstützung oder in der Ukraine stationierte Friedenstruppen.

Artikel 5 des Nato-Vertrags regelt, dass die Bündnispartner im Fall eines Angriffs auf die Unterstützung der Alliierten zählen können und eine Attacke auf ein Mitglied als Angriff auf alle gewertet wird. Reginold relativiert: «Selbst der Artikel 5 der Nato ist nicht so griffig, wie es immer den Anschein macht.» Politisch und juristisch gebe es keine militärische Pflicht. «Wie konkret das dann aussieht, gilt es zu beurteilen, wenn die Texte da sind.»

Unklarheit als taktisches Mittel

In dieser Unklarheit sieht der Geopolitik-Experte keinen Zufall: «Trump geht es um eine Show mit Dramaturgie, die am Ende eine gewisse Offenheit zulässt.» Eine Form von «strategischer Ambiguität» nennt Reginold dieses Vorgehen. Alle anderen müssen in dieser Show mitspielen – insbesondere Europa.

So sei es wohl auch kein Zufall, dass gestern nichts Konkretes beschlossen wurde. Vielmehr sei es Trumps Taktik, als unberechenbar und launisch zu erscheinen. «Davon darf man sich nicht täuschen lassen», warnt Reginold. Hinter der Fassade stehe eine spielerische Art im Umgang mit Macht, die uns fremd ist. «Da ist nicht alles rational berechnend, aber narrativ ausgerichtet.» Fakten würden, wenn nötig, geschaffen und in die Story eingebaut.

Vor diesem Hintergrund hält Reginold auch ein baldiges Treffen zwischen Selenskyj und Putin für möglich: «Die Dramaturgie muss weitergehen. Die Spannung muss halten für die Show.»

Gebietsabtretungen als grosse Unbekannte

Nicht besprochen – zumindest nicht öffentlich – wurden gestern indes mögliche Gebietsabtretungen der Ukraine, wie sie Moskau fordert. Die annektierten ukrainischen Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson werden seit 2022 in der russischen Verfassung als neue Regionen aufgeführt.

In einem Memorandum machte Moskau den Vorschlag, dass die ukrainischen Streitkräfte komplett aus den noch nicht ganz von russischen Truppen kontrollierte Gebieten Luhansk und Donezk abziehen, zur Bedingung für einen Waffenstillstand. Im Gebiet Donezk liegen die strategisch wichtigen Städte Kramatorsk und Slowjansk, die Kiew noch hält und nicht aufgeben will.

Dass dies gestern in Washington nicht gross thematisiert wurde, sei gemäss Reginold wohl als Erfolg für Putin zu werten. Allerdings müsse man aus geopolitischer Sicht im Hinterkopf behalten, dass zwischen den USA und Russland noch viele andere Bereiche und Orte als Verhandlungsmasse möglich seien – etwa Technologie, Rohstoffe oder Energie.

«Alles ist verhandelbar»

Mit den beiden Gipfeltreffen innert wenigen Tagen habe der US-Präsident wahrscheinlich versucht, alle auf eine Ebene bringen – insbesondere in Bezug auf die USA. «Er will Respekt und eine Einordnung in seine Erzählung und Dramaturgie.»

Dabei werde jedoch die Rolle anderer geopolitischer Schwergewichte wie China oder Indien fast gänzlich ausgeblendet. Beide Staaten würden seit Monaten ihre Forderungen nach Frieden betonen und seien auf narrativer Ebene entsprechend in einer komfortablen Situation.

Gleichzeitig habe Trump in Alaska und gestern in Washington gezeigt: «Alles ist verhandelbar.» Gerade im Hinblick auf den Taiwan-Konflikt kein unwesentliches Zeichen.

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