Nach den Gesprächen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus und dem anschließenden Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten und europäischen Staats- und Regierungschefs wurde am Dienstag in Berlin weiter erwogen, welchen militärischen Beitrag Deutschland bei einer Absicherung eines eventuellen Waffenstillstands oder Friedensschlusses spielen könnte.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte in Washington einen Beitrag der Bundeswehr nicht ausgeschlossen und gesagt, Deutschland habe „eine hohe Verantwortung“. Ganz Europa solle sich an Sicherheitsgarantien beteiligen. Auf die Frage, ob sich auch die Bundeswehr beteiligen könnte, antwortete Merz später, es sei zu früh, darauf eine endgültige Antwort zu geben.
Obgleich tatsächlich unklar ist, ob es zu einer russisch-ukrainischen Vereinbarung kommen könnte, hatte Außenminister Johann Wadephul, in Japan weilend, zunächst gesagt, eine zusätzliche Stationierung von Truppen würde die Bundeswehr „voraussichtlich überfordern“. Es gebe eine Litauen-Brigade zum Schutz vor Russland. Alles Weitere, so Wadephul, der als Oberst der Reserve über militärischen Sachverstand verfügt, könne „nur der Verteidigungsminister Boris Pistorius beantworten und nicht ich. Das ist nicht mein Job.“
Pistorius meldet sich erst einmal nicht zu Wort
Am Dienstag rückte der CDU-Politiker diese Aussage zurecht und sagte im Deutschlandfunk, es müsse bei einer Diskussion, zu der er einlade, geklärt werden, „was Deutschland dazu beitragen kann und soll“.
Pistorius, der zurzeit im Urlaub ist, äußerte sich am Dienstag nicht zu der Frage. Die von Wadephul erwähnte Brigade Litauen existiert allerdings bis auf einen Aufbaustab mit wenigen Hundert Soldaten noch nicht als Kampfverband.
Der Schutz des NATO-Landes Litauen wird von der jederzeit verlegebereiten Panzergrenadierbrigade 37 „Freistaat Sachsen“ mit Standorten in Deutschland gewährleistet. Sie ist als „Multinational Brigade Lithuania“ Teil der schnellen Eingreiftruppe der NATO. Die Brigade 45 „Litauen“ soll bis Ende nächsten Jahres eine Personalstärke von etwa 2000 der geplanten 6000 Soldaten haben und bis Ende des Folgejahres voll einsatzbereit sein.
Die Rolle der Grünen
Wadephul hatte zudem gesagt, die Koalition von Union und SPD wolle in dieser Frage auch die Opposition beteiligen – „an vorderster Stelle“ die Grünen. Die Entscheidung über eine Bundeswehr-Beteiligung müsse dann der Bundestag treffen. Die AfD hatte bereits zur Bundestagswahl eine Beteiligung der Bundeswehr an einer Ukraine-Mission ausgeschlossen, Deutschland sei ja nicht einmal fähig, sich selbst zu verteidigen, hatte die Parteivorsitzende Alice Weidel gesagt.
Der SPD-Politiker Rolf Mützenich, seit seiner Ablösung als Fraktionschef wieder vermehrt außenpolitisch tätig, sagte dem Deutschlandfunk, es müsse „natürlich die Sicherheitsgarantien geben, dass sich die Ukraine weiter erwehren kann gegen mögliche russische Angriffe“. Was Truppenstationierungen zur Absicherung einer Vereinbarung betreffe, so komme es darauf an, zu klären, „was hätten denn solche Truppen für Aufgaben, gibt es Entflechtungen, wer kann da sozusagen auch Erfahrung einbringen. Ich würde mir wünschen“, so Mützenich weiter, „wir können die Vereinten Nationen, wenigstens die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) mit ihrer großen Expertise dafür gewinnen, daran teilzuhaben, bevor wir über einzelne nationalstaatliche Beteiligungen nachdenken.“
Mit Bezug zu Wadephuls Äußerungen zu einer Parlamentsbeteiligung sagte Mützenich: „Sie werden ja nicht das Parlament dafür gewinnen können, wenn das Parlament gar nicht weiß, was soll denn letztlich die Aufgabe sein.“
Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Siemtje Möller sprach von „robusten Sicherheitsgarantien“, welche die Ukraine brauche. Dafür sei Amerika entscheidend. „Die genaue Ausgestaltung muss beraten und mit den europäischen Partnern abgestimmt werden.“ Es stehe aber außer Frage, dass Deutschland seinen Beitrag leisten werde, so Möller, die in der vorigen Legislaturperiode Parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium war. Wie sich Amerika eventuell an Sicherheitsgarantien beteiligen wird, hatte Trump offen gelassen und lediglich gesagt: „Wir werden ihnen sehr guten Schutz geben, sehr gute Sicherheit.“
„Keine Ausschließeritis“
Für die Grünen, die ja nach dem Willen der Regierung in Gespräche über die deutschen Beiträge einbezogen werden sollen, sagte deren Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann, nötig sei zunächst ein Waffenstillstand, denn man sehe ja, wie Putin weiter „unbeirrt“ die Ukraine bombardiere, während Selenskyj und zahlreiche Europäer im Weißen Haus konferierten.
Der Sicherheitsexperte und frühere Brigadegeneral Klaus Wittmann warnte davor, ein Engagement der Bundeswehr bei der Absicherung einer Vereinbarung auszuschließen. Für die entscheidend wichtigen „Sicherheitsgarantien“ sei noch sehr vieles unklar, „aber erneute deutsche Ausschließeritis hinsichtlich denkbarer deutscher Militärkontingente verbietet sich“, so Wittmann gegenüber der F.A.Z. Die Aussage deutscher Politiker könne nur lauten: Das müsse erarbeitet und vereinbart werden, aber Deutschland werde bei jedwedem europäisch-amerikanischen Operationsplan aktiv mitwirken.
Nach früheren Angaben hatte Kiew es für nötig gehalten, dass eine internationale Friedenstruppe 100.000 bis 150.000 Soldaten haben müsse. Russland habe, so schätzte im vorigen Jahr ein Berater Selenskyjs, mehr als 600.000 Soldaten entlang einer Frontlinie von 1300 Kilometern stationiert. Die Implementierungstruppe IFOR des unter amerikanischer Führung 1995 ausgehandelten Bosnien-Abkommens (Dayton-Vertrag) war anfangs 57.000 Soldaten stark, viele aus NATO-Staaten, die meisten aus Amerika. Zur Befriedung der kleinen, ehemals serbischen Provinz Kosovo waren fünf Jahre später mehr als 50.000 Soldaten im Rahmen der KFOR-Mission aufgeboten worden.