In aller Regel kommt Joti Chatzialexiou auch dann zur Ruhe, wenn ihm die Arbeit bis zum Hals steht. So ist es gerade mal wieder. „Eine Hochphase“ nennt er das dann: Anfragen hier, Anfragen da, Spieler kommen, Spieler gehen – und dann muss sich der Nürnberger Sportvorstand auch noch darum kümmern, dass er nicht die Kontrolle über all das Gerede und Geraune verliert, das gerade rund um den 1. FC Nürnberg zu vernehmen ist.
Die Saison ist zwar noch jung, doch es sind schon wieder turbulente Tage für den Club. Die Nächte dagegen seien ruhig, sagt Chatzialexiou. Fünf bis sechs Stunden Schlaf findet er dann doch immer, und morgens, sobald die Sonne am Himmel steht, zieht es ihn an den Valznerweiher. Manchmal geht er laufen, manchmal macht er Kraftübungen. Der Sport, sagt Chatzialexiou, gebe ihm sogar mehr Energie als Schlaf – und das ist wohl auch gut so. Dieser Tage, könnte man meinen, braucht Nürnbergs Sportvorstand ja nichts mehr als das: Kraft, Durchhaltevermögen, auch eine gewisse Ignoranz, um sich nicht allzu verrückt machen zu lassen von all den Kritikern, Skeptikern und Pessimisten.
Nur: Sollte es nicht auch ihm, Chatzialexiou, zu denken geben, was die Mannschaft in den ersten Saisonwochen abgeliefert hat? Müsste es ihn vielleicht sogar ernsthaft beunruhigen?
0:1 in Elversberg, 0:1 gegen Darmstadt – und dann dieses Pokal-Aus in Illertissen, bei einem Viertligisten, gegen den sogar die Nürnberger Reserve in der zurückliegenden Saison beide Spiele in der Regionalliga Bayern gewonnen hat. Schon alleine das zeigt, wie viel am vergangenen Wochenende schiefgegangen ist.
Das 5:6 im Elfmeterschießen setzte dem Fehlstart noch die Krone auf und offenbarte vor allem in der ersten Hälfte sämtliche Probleme, die die Nürnberger Mannschaft gerade umtreiben. Der Club fing sich zwei fast deckungsgleiche Gegentore, nachdem Illertissen einen Ballverlust im Mittelfeld ausnutzte und die aufgerückte Dreierkette mit einem einfachen Steckpass überspielte. Auch im Spiel nach vorne fehlte jegliche Struktur, und obwohl sich der Auftritt in der zweiten Hälfte deutlich besserte, fand die Nürnberger Pokalsaison im Elfmeterschießen ein jähes Ende. Hinterher wirkte Trainer Miroslav Klose auf der Pressekonferenz resigniert, ja fast apathisch, und räumte sogar ein, sein Team habe „die Mentalität vermissen lassen“.
Mangelnde Einstellung in einem Alles-oder-Nichts-Spiel, kommt das nicht einer Bankrotterklärung gleich?
Die Worte, die Chatzialexiou, 49, mit ein paar Tagen Abstand findet, klingen schon deutlich weniger drastisch. Zwar sagt er: „Man darf nichts schönreden, weil wir am Ende Ergebnisse einfahren müssen.“ Die zentrale Botschaft ist aber: Augen zu und durch.
Auch vor einem Jahr stolperte der Club eher in die Saison, als in sie hineinzufinden
„Es ist nicht der einfachste Weg, den wir gehen“, sagt Chatzialexiou, „den würde auch bestimmt nicht jeder gehen, aber wir haben uns diesem Weg verschrieben, und wir haben auch weiterhin den Glauben daran.“ Was Nürnbergs Sportvorstand meint, ist: Dass der Jugendkurs und der zweite Umbruch binnen eines Jahres Geduld erfordern, liegt doch auf der Hand. Und dass es gerade in den ersten Wochen stocken könnte, war im Grunde schon vor dem ersten Spiel absehbar. Chatzialexiou weiß allerdings auch, dass die Wende nun schleunigst gelingen muss.
Auch vor einem Jahr stolperte der Club eher in die Saison, als in sie hineinzufinden – dann drehte sich alles mit einem 3:2 Anfang Oktober gegen Preußen Münster, jenen Gegner also, mit dem es Nürnberg an diesem Freitag wieder zu tun hat.
Ob die Mannschaft erneut mit einem Sieg über Münster auf den rechten Weg gelangt, ist aber zumindest fraglich, denn die derzeitigen Voraussetzungen sind andere als noch vor einem Jahr. Am Dienstag verkündete der FCN zwar, den Angreifer Mohamed Ali Zoma, 21, vom italienischen Drittligisten UC AlbinoLeffe verpflichtet zu haben – doch in Summe hat der Kader noch nicht die Qualität der Vorsaison.
Auch ein Verbleib von Mittelfeld-Juwel Caspar Jander ist nach wie vor nicht gewiss. Sollte der gebürtige Münsteraner noch gehen, würde das eine riesige Lücke reißen, die sich Nürnberg kaum erlauben kann. Selbst mit Jander scheint die Mannschaft unter den momentanen Eindrücken dem selbst gesteckten Saisonziel, einen Platz unter den ersten Sieben zu erreichen, nicht gewachsen zu sein.
Sollte der Club auch gegen Münster nicht auf die Beine kommen, dürfte die Luft für Klose unweigerlich dünner werden. Bislang stellt sich Chatzialexiou demonstrativ hinter ihn und wehrt sich ebenso entschieden gegen den Vorwurf mangelnder Qualität im Kader. Doch ein zentraler Mittelfeldspieler wird weiter händeringend gesucht, und in den ersten Wochen haben weder Artem Stepanov und Noah Maboulou noch Semir Telalovic und Mickaël Biron den Nachweis erbracht, dass sie der Mannschaft jene Offensivkraft verleihen können, die ihr im Vorjahr Stefanos Tzimas, Mahir Emreli und Janis Antiste verliehen.
Aber auch das beunruhigt Chatzialexiou nicht. Noch bleiben ihm zwei Wochen, um den Kader anzupassen. Und dann setzt er darauf, dass sich eine Entwicklung wie im Vorjahr zeigt. Er schlafe gut, sagt Nürnbergs Sportvorstand. Nur nach Spielen liege er manchmal etwas länger wach, weil ihn die eine oder andere Szene einfach nicht loslasse. Bis zu einem gewissen Grad sei das vollkommen normal, das Adrenalin, die Eindrücke, all die Bilder, die wieder und wieder vor dem inneren Auge ablaufen – doch am vergangenen Samstag war es besonders zäh. Die 120 Minuten von Illertissen wühlten Chatzialexiou auf. Nach dem Frühsport sah die Welt zwar schon wieder ein bisschen anders aus, aber jetzt, in Münster, braucht es einen Sieg. Sonst helfen auch Laufen und Krafttraining nicht mehr weiter.