Als Alfred Hilsberg in Hamburg noch sein Label „What´s so funny about“ betrieb, rief er Journalistinnen und Journalisten oft höchstselbst in ihren Redaktionen und zu Hause an, um ihnen eine seiner neuen Bands zu verkaufen. „Hallo, hier ist Alfred“, brummelte er ins Telefon, tat so, als wäre man ewig bekannt, kam zur Sache, und man fühlte sich geschmeichelt. Obwohl seine Bands in den späten neunziger und frühen nuller Jahren schon nicht mehr so die allerinteressantesten waren, hörte man sich Alfreds Elogen auf sie gern an und die Alben der Bands dann auch.
Lieber zuviel als zu wenig
Schließlich war Hilsberg selbst eine Legende, der Mann, der den Punk in Deutschland quasi mit aus der Taufe hob mit seinem „ZickZack“-Label, zu einer Zeit, Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre, als popmusikalisch viel ging und auch Genre-Grenzen sich mehr und mehr verwischten.
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Bei „ZickZack“ erschienen 1981 die erste Single und das erste Album der Einstürzenden Neubauten, „Kollaps“, und auf einem Sampler mit dem Titel „Lieber zuviel als zu wenig“ fanden sich Bands wie die Neubauten oder X-Mal Deutschland, aber eben auch Palais Schaumburg und Andreas Dorau. Hilsberg wurde irrtümlicherweise gern für den Erfinder und als Ikone der Neuen Deutschen Welle gehalten. Das aber passte allein ökonomisch nicht.
ZickZack war das beste Label der Welt mit der schlechtesten Zahlungsmoral der Welt war.
Xao Seffcheque, Musiker von Family Five
Mit Marketingstrategien, Bandpflege und Imageproduktionen hatte er es nicht so. Was da war, sollte raus, und das sollte bitte schön quer zum Markt liegen, echter Punk und Noise halt. In Jürgen Teipels Film „Verschwende Deine Jugend“ erzählt ein Musiker im Rückblick, wie das bei Hilsberg zuging: „Alfred zog auf Anfrage einen Schuhkarton unterm Bett hervor und gab ein paar Hunderter heraus“. Und auch in Christoph Meuelers 2016 veröffentlichter, unautorisierter Hilsberg-Biografie „Das ZickZack-Prinzip“ erinnert sich der Family-Five-Musiker Xao Seffcheque, dass „ZickZack“ „das beste Label der Welt mit der schlechtesten Zahlungsmoral der Welt war.“
Lieber Punk als Alt-68er
1947 in Wolfsburg geboren, geriet Hilsberg mitten in den 68er-Aufbruch. Er arbeitete in Hamburg bei Vertrieben für linke, experimentelle Filme, unterrichtete an Kunsthochschulen die Geschichte des Dokumentarfilms und begann dann Mitte, Ende der siebziger Jahre für die „Sounds“ zu schreiben und Konzerte zu organisieren. Nach der Gründung des „ZickZack“-Labels veröffentlichte er allein in den ersten fünf Jahren über hundert Singles, Maxi-Singles und Alben. Ein Output, der natürlich nicht durchzuhalten war, zumal Geld Hilsbergs kleinste Sorge war.
Mit „What’s so funny about“ gelang Hilsberg es in den frühen neunziger Jahren ein weiteres Mal, Taktgeber für den vor allem deutschen Underground zu werden, mit Bands wie Mutter (eine Wolfsburg-Connection), Cpt. Kirk und insbesondere Blumfeld. Deren Debütalbum „Ich-Maschine“ erschien auf „What´s So Funny About“, und für die Blumfeld-Singles „Zeitlupe“ und „Traum 2“ revitalisierte Hilsberg auch sein „Zick-Zack“-Label. Blumfeld landeten jedoch schnell bei einem größeren Label, da war Hilsberg nur noch eine Art Mentor.
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„Paradies der Ungeliebten“ hieß noch einmal ein viel beachteter Sampler aus dem Hause Hilsberg, mit Songs von Tilman Rosmy, Christiane Rösinger oder Tom Liwa. Doch mit dem Anderssein, dem paradiesischen Nichteinverstandensein hatte es sich in den nuller Jahren.
Auf „What´s so funny about“ gab es weiter Alben wie etwa von Parole Trixi, der ersten deutschen Riot-Girl-Band, aber Hilsbergs Legendenstatus dominierte da lange schon seine aktuellen Veröffentlichungen. Nun ist Alfred Hilsberg, nach einem wahrlich bewegten Indie- und Underground-Leben, in Hamburg gestorben. Er wurde 77 Jahre alt.