Der Streit um die künftige Nutzung des maroden Palasthotels und die zeitweise Unterbringung von 13 Flüchtlingsfamilien in dem Gebäude nimmt an Schärfe zu. Am Mittwoch soll der Magistrat eine Vorlage des Sozialdezernats zur Kenntnis nehmen, laut der die Stadt 20 Millionen Euro an die Eigentümergesellschaft GWG zahlen müsste, wenn das Gebäude in städtischer Hand bliebe. Die Kritik an der Wiesbadener Flüchtlingspolitik und der Handlungsweise von Sozialdezernentin Patricia Becher (SPD) weitet sich zudem aus, weil die Stadt in einer Unterkunft Miete für Flüchtlinge zahlt, die es gar nicht gibt.

Nach Recherchen der F.A.Z. wird Wiesbaden bis Januar 2032 rund 4,45 Millionen Euro an die stadteigene Stadtentwicklungsgesellschaft SEG überwiesen haben, ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten. Dabei geht es um Mietkosten für die umstrittene Flücht­lings­un­ter­kunft an der Lessingstraße. Das Gebäude gehört der SEG und wird von dieser an die Stadt vermietet.

Eigentlich ist die Unterkunft für maximal 350 Personen ausgelegt, aber aufgrund anhaltender Proteste der Anwohner hatte Becher schon Ende 2023 zugesagt, dort lediglich bis zu 200 Flüchtlinge unterzubringen. Nach Auskunft von Ariane Würzberger, Leiterin des Amtes für Grundsicherung und Flüchtlinge, leben dort auch nur die versprochenen 200 Menschen. Laut Mietvertrag zahlt die Stadt eine Kopfpauschale von etwa 360 Euro pro Person und Monat, bestätigt Würzberger.

Zwischen sozialem Frieden und Brandschutz

Der auf sieben Jahre befristete Mietvertrag mit der SEG sieht jedoch vor, dass die Pauschale für 350 Menschen gezahlt wird, auch wenn dort nur 200 Flüchtlinge wohnen. Daher zahlt die Stadt pro Jahr circa 1,5 Millionen Euro Miete an die SEG. Würde sie nur für die tatsächlich dort lebenden 200 Menschen zahlen, müssten nur 864.000 Euro im Jahr überwiesen werden. Nach Einschätzung von Kritikern zahlt die Stadt damit 636.000 Euro zu viel im Jahr. Das ergibt über die gesamte Vertragslaufzeit die genannte Summe von 4,45 Millionen Euro.

Auch dies bestätigt Würzberger im Gespräch und weist darauf hin, dass es das „an keiner anderen Stelle“ in der Stadt gebe. „Wenn wir dort 350 Menschen unterbringen würden, wäre der soziale Frieden nachhaltig gestört“, begründet Würzberger die Begrenzung. Über ihre Entscheidung habe Becher die Mitglieder des Sozialausschusses „ausführlich informiert“, verteidigt sie die Dezernentin. Einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung, die Zahl der Bewohner zu begrenzen, gibt es nicht.

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Zurück zum Palasthotel: Die CDU-Fraktion kritisiert die Entscheidung von Becher, Flüchtlingsfamilien im Palasthotel unterzubringen, massiv. Es sei niemandem zu erklären, warum die früheren Bewohner ausziehen mussten und nun Flüchtlingsfamilien einziehen könnten. „Dieses widersprüchliche und planlose Handeln ist verantwortungslos und beschädigt das Vertrauen in die Politik“, sagt Fraktionschefin Daniela Georgi. Eine Begründung sei seinerzeit mangelnder Brandschutz gewesen. „Und der interessiert bei geflüchteten Menschen nun nicht mehr?“, fragt sie weiter.

Ihrer Einschätzung nach gibt es zudem in anderen städtischen Unterkünften ausreichend Wohnraum. Das verneint Würzberger und spricht von einer „sehr hohen Auslastung“ in den Unterkünften, die nahe an 90 Prozent liege. Zudem könnten nicht immer alle Betten in einem Zimmer wie geplant belegt werden. „Wir können die Leute ja nicht zusammenpferchen. Je mehr wir verdichten, desto größer wird die Unruhe in den Unterkünften“, sagt sie. Die Unterkunft an der Lessingstraße sei ebenfalls zu fast 100 Prozent belegt, wenn man von 200 Menschen als Maximalkapazität ausgehe.

Flüchtlingsunterkunft soll Mietausfälle auffangen

Auch die Liberalen sind verärgert. „Draußen entsteht der Eindruck, dass Sozialwohnungen geräumt wurden, um am Kochbrunnenplatz Flüchtlinge unterzubringen“, kommentiert Fraktionschef Christian Diers die Situation und warnt: „Die AfD kann ihr Glück angesichts des ungeschickten Vorgehens des Sozialdezernats vermutlich gar nicht fassen.“

Dabei sei der wahre Hintergrund wahrscheinlich viel simpler. „Die GWG sitzt auf einem Gebäude mit horrenden laufenden Kosten, das jetzt allerdings keine Mieterträge mehr abwirft. Mit der Unterbringung von Flüchtlingen soll jetzt wenigstens ein Teil dieses Finanzlochs gestopft werden“, sagt Diers.

In der erwähnten Magistrats-Vorlage spricht sich Becher dafür aus, dass das Konzept Business- und Seniorenwohnen realisiert werden solle, wenn sich die Stadtverordneten dafür entschieden, das Palasthotel nicht zu verkaufen. Dies sieht auch ein Beschluss des SPD-Unterbezirks Wiesbaden vor. In diesem Fall müsste die Stadt in den Jahren 2026 und 2027 jeweils zehn Millionen Euro an Investitionskostenzuschüssen oder in Form von Eigenkapital der GWG zur Verfügung stellen und eine Ausfallbürgschaft von 80 Prozent für neue Verbindlichkeiten der GWG in Höhe von 5,3 Millionen Euro übernehmen.

Forderungen nach Verkauf des Gebäudes werden lauter

Die Sanierungskosten für das zwischen 1903 und 1905 erbaute Hotel werden derzeit mit rund 40 Millionen Euro angegeben. 2023 war der Wert des Hauses noch auf rund 7,34 Millionen Euro geschätzt worden. Das Gutachten habe die erforderlichen Sanierungsinvestitionen jedoch nur teilweise berücksichtigt, weswegen Becher davon ausgeht, dass das Haus weniger wert ist. Trotzdem sei ein Verkauf zu diesem Preis realistisch.

Georgi fordert den Verkauf des Gebäudes: „Die Stadt hat weder Geld noch Strukturen, um das Palasthotel sinnvoll zu entwickeln. Wer daran festhält, betreibt Realitätsverweigerung statt verantwortungsvolle Politik.“ Schon der Haushalt 2026 sei nicht genehmigungsfähig, und trotzdem wolle die SPD weitere Millionen Schulden machen. Dies sei linke Träumerei pur. Mit dem Verkauf würden zudem weitere Mittel frei, die eingesetzt werden könnten, um bezahlbaren Wohnraum in Wiesbaden zu schaffen. „Das wäre wirklich sozial“, so Georgi weiter.

Es wurde auch geprüft, ob in dem Gebäude Mietwohnungen, Eigentumswohnungen, Büros, Altenpflege oder ein Hotel in Frage kämen. Aufgrund zahlreicher Faktoren, wie etwa Parkplätzen, Barrierefreiheit, Rettungswegen, Auswirkungen auf die Innenstadt und der Nutzung der vorhandenen Thermalquelle kommt die Vorlage zu dem Fazit, dass es weniger Schwierigkeiten bereite, wenn die GWG Eigentümerin des Gebäudes bleibe. Gleich­wohl mahnen die Verfasser: „Die vorgenannten Schwierigkeiten bleiben bestehen, die finanziellen und personellen Herausforderungen sind für die GWG enorm und nicht ohne Unterstützung durch die Stadt Wiesbaden zu stemmen.“