Solingen. Solingen feiert im August 2024 ausgelassen. Seit dem Mittag läuft das Stadtfest reibungslos, am Abend strömen immer mehr Solinger in die Innenstadt. Dort sind drei Bühnen aufgebaut.

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Vor einer sticht um kurz nach 21.30 Uhr Issa al H. zu. Eine Chronologie zum Jahrestag des Terroranschlags.

Weihnachten 2022: Issa al H. kommt in Deutschland an

25. Dezember 2022: Issa al H. hat sich auf den Weg gemacht, seine Heimatregion Deir al-Sor in Syrien zu verlassen. Erst ist er im Norden Syriens, später geht es weiter nach Bulgarien. Dort betritt er 2022 erstmals Boden der Europäischen Union.

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Ende 2022 geht es nach Deutschland. Im Strafprozess gegen den Messerangreifer vom Fronhof geht es immer wieder auch um diese Frage: Ist der 27-Jährige zum Zeitpunkt seiner Einreise in Deutschland bereits ein radikaler Islamist? Einige Zeugenaussagen geben zumindest Hinweise darauf, dass er sich schon in seiner Heimat in einem solchen Umfeld bewegte.

Ausreisepflichtig, aber nicht aufzufinden

5. Juni 2023: Issa al H. hat in Bielefeld bereits einen Asylantrag gestellt. Der spätere Täter vom Fronhof soll jetzt abgeschoben werden. Nicht nach Syrien, sondern nach Bulgarien – gemäß EU-Rechtslage. Dort hatte er erstmals EU-Boden betreten, dort muss er laut Dublin-Abkommen eigentlich Asyl beantragen.

Zur Überstellung nach Bulgarien per Flugzeug kommt es nicht. Ein Abschiebeversuch scheitert, weil der ausreisepflichtige Issa al H. nicht in seiner Unterkunft in Paderborn angetroffen wird. Das ist in Akten festgehalten.

Vor dem NRW-Untersuchungsausschuss heißt es später, der Syrer sei am Tag vor der Abschiebung in der Unterkunft gewesen – und am Tag selber dann auch wieder beim Mittagessen. Ein zweiter Versuch wird nicht unternommen.

Rund ein Jahr vor der Tat kam Issa al H. nach Solingen. In der Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Finanzamt an der Goerdelerstraße lebte er mit mehreren anderen Männern in einem Zimmer (Archivfoto).

Rund ein Jahr vor der Tat kam Issa al H. nach Solingen. In der Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Finanzamt an der Goerdelerstraße lebte er mit mehreren anderen Männern in einem Zimmer (Archivfoto).

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Ende August/Anfang September 2023: Es gelten für die Überstellung in ein anderes EU-Land gewisse Fristen. Nach der gescheiterten Rückführung konnte die Frist nicht verlängert werden, die Zeit dafür ist verstrichen.

Issa al H. schafft es so, in Deutschland zu bleiben. Er erhält subsidiären Schutz. Es beginnt ein Prüfverfahren, für das der Bund zuständig ist. Der Syrer wird dafür nach Solingen überstellt.

Generalbundesanwalt: Tat im Internet angeleitet

Juni 2024: Spätestens jetzt, so halten es Ermittlungsbehörden fest, steht Issa al H. in Kontakt mit Personen, die dem Islamischen Staat (IS) zugeordnet werden. Das wird im Prozess deutlich. Der Generalbundesanwalt spricht von digitalen Operateuren, die den Syrer angeleitet haben.

23. August 2024: Solingen hat sich herausgeputzt. Das ganze Jahr über haben schon Veranstaltungen im Rahmen des Stadtgeburtstags stattgefunden – Höhepunkt soll das dreitägige Festival der Vielfalt in der City werden. Am Freitagmittag geht es auf dem Mühlenplatz mit einer Eröffnung durch Solinger Schulen farbenfroh los.

Issa al H. übermittelt am Abend Videos an seine Kontaktperson, die Behörden den Terroristen des IS zuordnen. Er bekennt sich zur Tat und zur Terrororganisation, bittet seine Eltern um Vergebung und geht wenig später zum Fronhof. Aus einem Messerblock, den er in einem Solinger Billigshop gekauft hat, greift er die Tatwaffe, die später im nahen Umfeld des Fronhofs gefunden wird.

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21.37 Uhr – nichts ist mehr, wie es war

Dort spielt die Band Suzan Köcher’s Suprafon, als der Terrorist seine Tat begeht. Um 21.37 Uhr gehen mehrere Notrufe bei der Solinger Leitstelle ein. Drei Menschen sterben, viele sind schwerverletzt, viele traumatisiert.

Der Tag, der mit einer fröhlichen Eröffnung zur eigentlich dreitägigen 650-Jahr-Feier der Stadt begonnen hatte, endet in einer Tragödie.

Auf dem Festival der Vielfalt erstach ein Attentäter drei Menschen und verletzte zahlreiche weitere. Kurz danach reklamiert die Terrorgruppe Islamischer Staat den Anschlag für sich. Inzwischen läuft der Strafprozess. Die gesamte Berichterstattung des Solinger Tageblattes finden Sie hier.

24. August 2024: Solingen ist aufgewühlt, tief bewegt, erschüttert. Geschockt. Es findet ein Trauergedenken auf dem Neumarkt statt, Bundes- und Landespolitiker kommen in die Stadt. Die Präsenz von Sicherheitsbehörden ist immens, noch immer läuft die Fahndung nach dem Täter.

Es gibt über den Tag mehrere Festnahmen von Nicht-Tatverdächtigen, die den Attentäter unterstützt oder eine Straftat nicht angezeigt haben könnten. Um kurz vor 23 Uhr sitzt Issa al H. dann in einem Streifenwagen. Er ist unweit seiner Unterkunft festgenommen worden.

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Kurz davor, am Samstagabend, wird klar: Die Terrororganisation Islamischer Staat reklamiert den Messerangriff für sich. Dass Issa al H. entsprechende Propaganda konsumiert und einen Treueschwur vor seiner Tat abgelegt hat, ist unstrittig. Vor Gericht wird derzeit darum gerungen, ob der Syrer im Namen der Miliz gehandelt hat – es gibt Chatprotokolle, die klar auf einen angeleiteten Anschlag hindeuten.

Ein mutmaßliches Mitglied der ausländischen terroristischen Vereinigung Islamischer Staat

Generalbundesanwalt

zum Haftbefehl

25. August 2024: Der Generalbundesanwalt veröffentlicht ein Statement. Gegen Issa al H. ergeht ein Haftbefehl. Er sei „ein mutmaßliches Mitglied der ausländischen terroristischen Vereinigung Islamischer Staat“ und verantwortlich für den Messerangriff in Solingen mit drei Toten und mehreren Schwerverletzten.

8. Oktober 2024: In einer gemeinsamen Mitteilung erklären die Landtagsfraktionen von SPD, CDU, Grünen und FDP, dass sie einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Terrorangriff in Solingen einsetzen. Der versucht seit 17. März 2025 zu klären, ob es politische Versäumnisse oder strukturelle Fehler gab, die den Anschlag begünstigt haben. Und: Wie konnte die Radikalisierung von Issa al H. unter dem Radar ablaufen?

Es geht auch um die gescheiterte Abschiebung. Dass Asylbewerber kurz vorher verschwinden, sagt dort später ein Mitarbeiter einer Ausländerbehörde, sei „ein absoluter Regelfall“.

277 Tage später beginnt der Prozess

27. Februar 2025: Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage. Issa al H. habe aus radikal-islamistischer Ideologie „vermeintlich Ungläubige“ getötet.

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27. Mai 2025: Vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf beginnt der Prozess gegen den mutmaßlichen Islamisten, der seine Tat gesteht, bislang aber zum Vorwurf der IS-Mitgliedschaft schweigt. Einlassungen hierzu werden noch erwartet.

Ausblick: Am Samstag, 23. August 2025, gedenkt die Stadt auf dem Fronhof der Opfer des Terroranschlags. Abends folgt eine kurze Trauerfeier zum Tatzeitpunkt.

Vermutlich werden einige Hinterbliebene und Betroffene teilnehmen – andere wiederum bleiben solchen Veranstaltungen ganz bewusst fern. Sie verarbeiten, sagte ein Vertreter der Nebenklage dem ST, den Anschlag alle ganz unterschiedlich.

Der Prozess soll im September enden. Ein Jahr nach der Tat wäre dann vieles geklärt, zumindest juristisch, aber bei weitem nicht alles verheilt.

ST