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Griechenland verschärft seine Migrationspolitik drastisch: Es droht Haft für illegale Einreise. Tausende Geflüchtete reisen dennoch weiter nach Deutschland.
Athen – Griechenland reagiert mit strenger Politik und drastischen Haftstrafen auf wachsende Migrationszahlen. Indes reisen viele vor Ort anerkannte Geflüchtete weiter nach Deutschland und beantragen entgegen der EU-Regelung erneut Asyl. Ein Dilemma für die Behörden und die Migrant:innen zugleich.
Migration übers Mittelmeer: Kreta wird zum Hotspot in Griechenland
Die Zahl der Geflüchteten, die über das Mittelmeer nach Griechenland kommen, ist in diesem Jahr erneut deutlich gestiegen. Dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen zufolge reisten bis Anfang August mehr als 23.000 Migranten und Migrantinnen auf dem Seeweg ein. Fast die Hälfte von ihnen erreichte Kreta. Das deutet auf eine neue Fluchtroute von Libyen auf die Ferieninsel hin.
Als im Frühsommer teils mehrere hundert Geflüchtete täglich die Insel im Süden des Landes erreichten, reagierte die Regierung mit harten Maßnahmen. Premierminister Kyriakos Mitsotakis ließ Marineschiffe nahe der libyschen Hoheitsgewässer patrouillieren, um Schleuserboote abzuschrecken und libysche Behörden direkt über Flüchtlingsboote informieren zu können.
Auf dem Foto sieht man Migranten, die südlich von Kreta gerettet wurden, nach ihrer Ankunft im Hafen von Lavrio. © picture alliance/dpa/AP/Petros GiannakourisGriechenlands neue Migrationspolitik: Bis zu drei Jahre Haft
Anfang Juli setzte die konservative Regierung das Asylverfahren für Bootsflüchtlinge aus Nordafrika für drei Monate aus, verschärfte Haftandrohungen und kündigte drastische Reformen an. Die Geflüchteten sollten bis zu ihrer Abschiebung in geschlossenen Unterkünften untergebracht werden. Ab September 2025 soll ein neues Gesetz gelten, das die Behandlung von Neuankömmlingen wie Straftäter vorsieht: Eine illegale Einreise wird mit mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe und einer Geldbuße von 5000 Euro geahndet – es sei denn, die Betroffenen verlassen binnen 14 Tagen freiwillig das Land. Wer sich illegal im Land aufhält, riskiert mindestens drei Jahre Haft und 10.000 Euro Strafe. Das Gesetz ist damit klar: „Gefängnis oder Rückkehr.”
Griechenland ist kein willkommenes Land für irreguläre Einwanderer
Zudem wurden die Sozialleistungen für Migrant:innen streng geprüft. So soll etwa bei der Essensversorgung gespart werden. Auch sollen Aufenthaltserlaubnisse künftig nicht mehr erteilt werden. Migrationsminister Thanos Plevris erklärte im griechischen Staatsfernsehen ERT: „Griechenland ist kein willkommenes Land für irreguläre Einwanderer.”
Weiterreise nach Deutschland: 8.000 Fälle in fünf Monaten
Obwohl aktuell noch viele Geflüchtete in Griechenland bleiben dürfen, reisen viele Geflüchtete weiter nach Deutschland und beantragen erneut Asyl. Zwischen Januar und Mai dieses Jahres seien das rund 8000 Menschen gewesen, berichtete die Funke Mediengruppe unter Berufung auf Angaben des Innenministeriums in Berlin. Nach der Schengen-Regelung dürfen anerkannte Geflüchtete zwar bis zu 90 Tage innerhalb von sechs Monaten in andere EU-Staaten reisen, jedoch keinen neuen Asylantrag stellen. Das deutsche Innenministerium betonte, dass Schutzsuchende den ihnen zuerkannten Schutz in Griechenland in Anspruch nehmen müssen; laut Dublin-Abkommen müssen sie den Schutz im Erstaufnahmeland in Anspruch nehmen.
Seit dem Jahr 2020 haben fast 100.000 in Griechenland anerkannte Schutzberechtigte in Deutschland erneut Asyl beantragt. Rückführungen nach Griechenland wurden wegen einer fragwürdigen Menschenrechtslage im griechischen Asylsystem lange Zeit weitgehend ausgesetzt. Im April entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig allerdings, dass alleinstehende, gesunde und arbeitsfähige Migrant:innen trotz Mängeln im Aufnahmesystem dorthin abgeschoben werden dürfen.
Athen lehnt solche Rückführungen hingegen ab. Der damalige Migrationsminister der amtierenden Regierung in Athen, Makis Voridis, begründete dies mit dem hohen Migrationsdruck auf sein Land. „Wir können nicht von Rückführungen sprechen, da dies das Prinzip der Lastenverteilung verletzt.“
Dass tausende Migranten und Migrantinnen weiter nach Deutschland flüchten, dürfte auch an den weiterhin schlechten Bedingungen für Geflüchtete in Griechenland liegen. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl warnte noch im April, abgeschobenen Menschen drohe „Verelendung”. Denn nachdem der internationale Schutz anerkannt ist, würden alle Unterstützungsleistungen für Asylsuchende eingestellt, und sie müssten innerhalb von 30 Tagen das Asyllager verlassen. Erst Anfang Juli sprach die in Griechenland ansässige Flüchtlingsorganisation RSA, eine Schwesterorganisation von Pro Asyl, von „nicht einmal ansatzweise menschenwürdigen“ Bedingungen auf Kreta und der südlich gelegenen Insel Gavdos.
Europäische Asylpolitik: Gemeinsame Lösungsansätze bei Migration gefordert
Um erneute Asylanträge in Deutschland zu verhindern, forderte der Migrationsexperte und Vorsitzende der Denkfabrik „Europäische Stabilitätsinitiative”, Gerald Knaus, vor Kurzem in der Welt: „Jeder Migrant, der Griechenland nach einem bestimmten Stichtag erreicht, müsste sein Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat außerhalb der EU durchführen. Dieses Modell hat bereits 2016 zwischen der EU und der Türkei funktioniert und würde schnell zu einem drastischen Rückgang der Sekundärmigration führen.“
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Die Situation in Griechenland wie auch in Deutschland ist damit angespannt. Innenminister Alexander Dobrindt sagte im Focus: „Deutschland ist überfordert.“ Zwischen Januar und Juli 2025 wurden in Deutschland knapp 87.000 Asylanträge gestellt – ein Rückgang um gut 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Gleichzeitig wurden über 185.000 Erst- und Folgeanträge entschieden, leicht mehr als im Vorjahr. Dobrindt will die europäische Grenzschutzagentur Frontex ausbauen, „und auch sonst wollen wir die EU-Staaten mit Außengrenze nicht allein mit ihren Aufgaben lassen“, sagte der CSU-Politiker in dem Interview. Migrationsexperte Knaus sprach sich vor wenigen Tagen im österreichischen öffentlich-rechtlichen Sender ORF ebenso für einen stärkeren europäischen Grenzschutz an den Außengrenzen aus.
Offizielle Statistiken zeigen, dass im zentralen Mittelmeer nach wie vor die am stärksten frequentierte Route in die EU im laufenden Jahr liegt. Laut einem aktuellen Frontex-Bericht gab es bis Juli rund 36.700 irreguläre Grenzübertritte auf dieser Route – neun Prozent mehr als im Vorjahr. Libyen ist dabei der Hauptausgangspunkt.
Zusammenarbeit mit Herkunftsländern bei Migration: Rückführungen als Schlüssel
Um die irreguläre Migration nach und in Europa zu reduzieren, streben nicht nur Länder wie Griechenland einen härteren Kurs in ihrer Migrationspolitik an. Bei einem Gipfeltreffen Mitte Juli zwischen Innenminister Dobrindt, seinen Amtskollegen aus Frankreich, Polen, Österreich, Dänemark und Tschechien sowie dem EU-Kommissar für Inneres und Migration, Magnus Brunner, waren sich die Minister über einen strengere Marschroute in Europa einig.
Das sogenannte Gemeinsame Europäische Asylsystem sollte den Politikern zufolge effizienter gestaltet, Asylanträge anerkannter Schutzberechtigter zügig abgelehnt und Europas Außengrenzen besser gesichert werden. Darüber hinaus forderten sie eine neue EU-Rückführungsverordnung mit mehr Handlungsspielraum, sowie die Möglichkeit zur Einrichtung von Rückführungszentren in Drittstaaten für abgelehnte Asylbewerber:innen. Dazu sollte intensiver mit Herkunfts- und Transitländern zusammengearbeitet werden. Das neue EU-Migrations- und Asylpaket, das 2026 in Kraft treten soll, erleichtert die Einstufung sicherer Herkunftsstaaten. Anfang dieses Monats stellte der Europäische Gerichtshof jedoch klar, dass dies nicht ohne umfassende gerichtliche Überprüfung geschehen darf.
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Der griechische Migrationsminister Plevris nennt die Abschiebung irregulärer Migrant:innen in seinem Land als Hauptproblem. Griechenland verhandle mit Ägypten, Bangladesch und Pakistan über Rückführungen, aus denen eine Vielzahl der Geflüchteten stammen. Und darum geht es auch in Deutschland. Die Bundesregierung plant nach Dobrindts Gesetzentwurf, Geflüchteten aus sicheren Herkunftsstaaten grundsätzlich kein Asyl mehr zu gewähren und weitere Länder als sicher einzustufen.
Dass viele in Griechenland anerkannte Geflüchtete erneut in Deutschland Asyl beantragen, zeigt die Schwächen im europäischen Asylsystem. Durch mangelndes gemeinsames Vorgehen und wohl schlechte Lebensbedingungen für Geflüchtete in Griechenland bekommen beide Länder die Folgen zu spüren. Der sich aktuell verschärfende Kurs der griechischen Regierung zielt darauf ab, irreguläre Migrant:innen abzuschrecken, könnte jedoch zugleich die Weiterreise nach Deutschland von in Griechenland anerkannten Schutzberechtigten verstärken. Europa steht vor der schwierigen Aufgabe, Migrationsbewegungen zu steuern, ohne das Recht auf Asyl auszuhöhlen.