Wenn Marcel Frisch sich eine Spielsequenz betrachtet, dann fliegen seine Finger über die Tastatur des Laptops, während seine Augen den Flug des Volleyballs verfolgen – und sein Gehirn alle relevanten Begleitfakten zu erfassen versucht. Eine klassische Abfolge von Aufschlag über Annahme zu Schmetterschlag und Block bis zum daraus resultierenden Punktgewinn liest sich in Frischs Datensammlung so: 22S65.17+ K3 a15X61.10/. Und das ist nur eine kurze Szene.

Die kryptisch wirkenden Kombinationen aus Zahlen, Zeichen und Buchstaben bilden die Basis der Analyse-Arbeit des 32-Jährigen, der Mitte August als neuer Scout beim VC Wiesbaden (VCW) vorgestellt wurde. „Kein Talent-Scout“, wie er unmittelbar betont. Frisch beschreibt sich als „Statistiker und Video-Analyst“.

Marcel Frisch ist ein Mann der Zahlen, im Hauptberuf arbeitet er als Kundenberater bei der Sparkasse in Ludwigsburg. Volleyballspiele betrachtet er im Nebenjob – und wertet das Geschehene und Gesehene aus. Das Spiel stellt für ihn eine Passion dar, die er von der Seitenlinie aus betreibt. Als Jugendlicher und junger Erwachsener spielte er selbst aktiv Volleyball – verfolgte seine Karriere nach einer komplizierten Fußverletzung aber nicht weiter. „Mehr als Regionalliga“ hätte er sich aber sowieso nicht zugetraut – und das wegen seiner Körpergröße von 1,88 Metern auch „höchstens als Libero“.

Als Scout hat es Frisch dagegen bis in die Champions League geschafft. Mit dem viermaligen deutschen Meister Allianz MTV Stuttgart war er auf höchster europäischer Ebene unterwegs. Eine faszinierende, aber auch stressige Zeit, da oft im Mittwoch-Samstag-Rhythmus gespielt wurde. Nun wechselte er für zunächst zwei Spielzeiten zum VCW.

Volleyball beim VC Wiesbaden: Zuschauer sehen eine Spielszene, der Scout erkennt MusterVolleyball beim VC Wiesbaden: Zuschauer sehen eine Spielszene, der Scout erkennt MusterPicture Alliance

Der Platz hinterm Laptop in Wiesbaden wurde frei, weil es seinen dortigen Vorgänger Daniel Ramirez wiederum nach Stuttgart zog. Eine Personal-Rochade, die beide Parteien als Gewinn ansehen. „Marcel geht in seine zehnte Saison als Scout“, sagt VCW-Geschäftsführer Christopher Fetting, „er kennt die Systeme vieler Klubs und die Performances einzelner Spielerinnen genau“. Wobei Frisch einräumt, manche Akteurin eher nach Rückennummer als nach Namen zu kennen.

Seine Faszination an der Spielanalyse liegt für Marcel Frisch an der Übersetzung von Szenen in Zahlen, die wiederum für das eigene Spiel von Nutzen sein sollen. Aus Ballwechseln ergeben sich Daten, aus Daten werden Muster – sofern der Blick darauf entsprechend geschärft ist. Aus den Mustern ergeben sich Erkenntnisse, die wiederum Einfluss auf Taktik und Matchplan fürs kommende Spiel haben – oder schon für das laufende, während dessen er mit dem Trainerteam kommuniziert.

Während eines Volleyballspiels ist Marcel Frisch in Echtzeit mit der Eingabe beschäftigt. „Die Fähigkeit, schnell und sicher auf der Tastatur klarzukommen“, sei ein Knock-Out-Kriterium – „ohne hinzuschauen“, wie er betont. Und zwar lückenlos. Jede Ballberührung wird getrackt.

Licht und Linien als Wohlfühlfaktoren

Sollte er live den Anschluss an Spielzüge verlieren, „dann bekommst du Stress“ – doch in den meisten Fällen agiert Frisch ohne Adrenalin-Stöße dieser Art. Er spricht von „Wohlfühl-Faktoren“, die seine Arbeit erleichtern: gutes Licht in der Halle. Trikots, bei denen die Nummern klar zu erkennen sind. Und Hallenböden ohne verwirrende Hilfslinien – wie es oft in alten Schulturnhallen noch der Fall ist. Faustregel: Je höher das Niveau der Liga, desto besser die Arbeitsbedingungen für den Scout.

Schon in der Halle hat er die Möglichkeit, die Szenen im Re-Live mit einer Verzögerung von sechs Sekunden noch einmal anzuschauen. Dennoch gehört das komplette Aufarbeiten jeder Partie zur Nach- und Aufbereitung, dafür benötigt er etwa das eineinhalbfache an Zeit. Mittlerweile bildet Marcel Frisch selbst schon die Scouts anderer Vereine aus; versucht, die nachreifenden Kollegen auf eine einheitliche Bewertung der Spielszenen zu kalibrieren. „Je erfahrener die Scouts, desto mehr gleichen sich die Daten an.“

Der Ballwechsel von Beginn war übrigens ein Aufschlag der 22 von Position 6 auf 5. Es folgte eine gute Annahme der 17, eine bestimmte Anlaufbewegung der Mittelangreiferin, danach ein Angriffsschlag der 15 mit Blockberührung der gegnerischen 10 Richtung 1. Ball im Aus und Punkt. Die Scouts der Bundesliga-Teams sind verpflichtet, sich die Datenfiles gegenseitig zur Verfügung zu stellen. Die eigentliche Kunst besteht dann darin, welches Wissen aus dem Rohmaterial gezogen wird.