Nach den drastischen amerikanischen Handelszöllen werben Berliner Politiker für eine schnelle Aufnahme der Eidgenossenschaft in die Europäische Union. Fachleute warnen vor vorschnellen Schlüssen.
Wünscht sich einen EU-Beitritt der Schweiz: Bundestagsvizepräsident Omid Nouripour.
Imago
Donald Trumps Zollpolitik stellt die Schweiz vor eine grosse Herausforderung: 39 Prozent Abgaben müssen amerikanische Importeure auf Schweizer Waren zahlen – mehr als doppelt so viel, wie für EU-Produkte fällig wird. Während in Bern die Sorge über einen Wirtschaftseinbruch wächst, wittern deutsche Politiker eine historische Chance: Sie werben offen für einen EU-Beitritt der traditionell neutralen Eidgenossenschaft.
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Der Bundestagsvizepräsident Omid Nouripour brachte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur sogar eine «Turbo-Mitgliedschaft der Schweiz in der EU» ins Spiel. «Jahrhundertelang pflegten die Eidgenossen eine Tradition der strengen Neutralität», sagte der Grünen-Politiker. «Der jüngste Zollstreit mit Donald Trump zeigt aber schmerzhaft, wie verwundbar kleinere Staaten sind, wenn sie auf sich allein gestellt sind.»
Auch aus der SPD kommt Unterstützung: «Wenn die Schweiz einen Antrag auf Beitritt zur EU stellt, ist sie herzlich willkommen», sagte der europapolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Markus Töns, zu Wochenbeginn dem «Spiegel». Das Beitrittsverfahren wäre bei der Schweiz «recht einfach zu klären».
Schweizer Wirtschaft fürchtet Rezession
Tatsächlich treffen die amerikanischen Zölle die Schweiz hart. Die USA sind der zweitwichtigste Absatzmarkt mit fast 19 Prozent Anteil am Gesamtexport. Ökonomen befürchten durch die Handelsauflagen gar eine Rezession: Die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich kalkuliert mit einem Wirtschaftsrückgang von bis zu 0,7 Prozent pro Jahr und damit auch mit Einkommensverlusten im Durchschnitt von 700 Franken pro Bürger.
Wäre ein EU-Beitritt also eine gute Option, um einen wirtschaftlichen Niedergang abzuwenden? Clemens Fuest, Präsident des Münchener Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo, warnt gegenüber der NZZ vor voreiligen Schlüssen.
Zwar räumt der deutsche Ökonom ein, dass die EU wegen ihrer Grösse in den Verhandlungen mit den USA mehr Gewicht hat und deshalb einen niedrigeren Zoll aushandeln konnte als ein kleines Land wie die Schweiz. «Insofern bietet sie insbesondere den kleinen Mitgliedstaaten einen gewissen Schutz, denn der Zoll für die EU ist mit 15 Prozent deutlich niedriger», sagte er.
Zugleich gibt Fuest jedoch zu bedenken, dass die Schweiz bis jetzt «im internationalen Standortwettbewerb davon profitiert, dass sie sich als Nicht-EU-Mitglied von den EU-Staaten differenzieren kann und so attraktiv ist für Investoren, die aus steuerlichen oder regulatorischen Gründen die EU meiden». Fuest sagt daher: «Ob man das aufgeben will, muss man sich gut überlegen.»
Kritik aus dem Bundestag
Und auch im Bundestag gibt es Kritik an den deutschen Avancen. Der CDU-Politiker Felix Schreiner, Vorsitzender der Deutsch-Schweizerischen Parlamentariergruppe, betont zwar, dass die EU eine grossartige Idee und vor allem ein Friedensprojekt sei. Gerade in den vergangenen Wochen sei klar geworden, dass «nur wenn wir in Europa zusammenstehen, wir gemeinsame Antworten auf globale Herausforderungen geben» können.
Dennoch hält Schreiner «nichts davon, der Schweiz Ratschläge aus Berlin zu geben. Die Schweiz ist ein souveränes Land und hat eine grossartige Demokratie.» Sollte die Schweizer Bevölkerung eine engere Zusammenarbeit anstreben, «wäre das zu begrüssen – die Entscheidung liegt jedoch allein bei den schweizerischen Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern». Statt über EU-Beitritte zu spekulieren, solle man sich auf das «neu verhandelte Abkommen» konzentrieren, sagte er der NZZ.
Der CDU-Abgeordnete spielt damit auf ein neues Vertragspaket zwischen Bern und Brüssel an, das im Juni vom Schweizer Bundesrat gebilligt wurde. Bern verspricht sich davon «stabile und vorhersehbare Beziehungen mit der EU», ohne die Schweizer Eigenständigkeit aufzugeben. Ein vollständiger EU-Beitritt der Eidgenossenschaft gilt indes selbst angesichts von Trumps Zolldrohungen als unrealistisch.