Kiel. Der Mann liebt seine Stimme. Und das zu Recht. Denn was sie auch mit Mitte 60 noch an schwarzer Bass-Tinte und rotglühendem Bariton-Schmelz zu bieten hat, ist enorm und erinnert an eine glanzvolle Weltkarriere im Klassik-Zirkus. Selbst die Höhe funktioniert noch annehmbar, ermöglicht Parodie und Imitation und kecke Überschläge.

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Der mehrfache Grammy-Preisträger Thomas Quasthoff lässt es sich im Quartett-Konzert am einigermaßen lauen Sommerabend auf der Freilichtbühne Krusenkoppel Kiel denn auch nicht nehmen, ihre Möglichkeiten und Maskeraden ausgiebig solo auszubreiten – in Erinnerung an seinen Improvisationsbattle mit dem amerikanischen Vokalartisten Bobby McFerrin.

Kieler Publikum jubelt, klascht und singt mit

Die 2000 Zuhörer auf den harten Plätzen der neogriechischen Halbrund-Tribüne sind begeistert. Und der niedersächsische Star aus Hildesheim, der unter Geraune zugeben muss, Kiel seit 40 Jahren links liegen gelassen zu haben, registriert mit Genuss die maximale Zuneigung im echten Norden. Den Jubel, das Mitklatschen und sogar das Mitsingen (bei der Brahms-Zugabe „Guten Abend, gut‘ Nacht …“).

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Dem berühmten Sänger ist es exemplarisch gelungen, seine körperlichen Handicaps in künstlerischen Stärken vergessen zu machen, etwa so, wie es die bewunderungswürdigen Athleten der Paralympischen Spiele auf sportlichem Gebiet tun.

Zwar hat er seine Klassik-Karriere schon lange beendet, taucht aber (in Rückgriff auf manchen Kneipen-Gig als Teenager zwischen Hannover und Hildesheim) im Entertainer- und Jazz-Bereich gerne wieder auf. 50 stolze Jahre Bühne darf er deshalb feiern!

Von Bob Dylan bis Mandy Moore

Thomas Quasthoff, der knurrige Charmeur, schleicht sich an mit Bob Dylans „I‘ll Be Your Baby Tonight“ oder „Stardust“ aus dem Great American Songbook, jeder Silbe, jedem Ton nachschmeckend wie edlem Wein. Joe Cockers „You Are So Beautiful!“ als Motto des Abends. Und er schleicht sich wieder raus mit „Have A Little Faith In Me“ à la Mandy Moore.

Schnell wird klar, dass er sich für die Ummantelung seiner Stimme allerbester Mitmusiker versichert hat. Dieter Ilg, Kontrabass, und Wolfgang Haffner, Schlagzeug, sind gute Freunde und grandiose alte Hasen im Geschäft. Gekonnt kitzeln sie mit spür- und sichtbar großer Freude die Walking-Bass-Lines und Off-Beats überall dort heraus, wo es was zu kitzeln gibt.

Pure Freude an der eigenen Stimme und dem Musizieren unter Freunden: Thomas Quasthoff mit Simon Oslender aus dem Haffner-Trio am Keyboard.

Pure Freude an der eigenen Stimme und dem Musizieren unter Freunden: Thomas Quasthoff mit Simon Oslender aus dem Haffner-Trio am Keyboard.

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Vor allem aber darf man sich am viel jüngeren Tastenzauberer Simon Oslender erfreuen. Der war schon bei Jazz Baltica Sparringspartner von Haffner. Er lässt am Flügel oder den Keyboards jedes Mal aufhorchen, wenn er harmonisch maximal bereicherte Melodie-Spots platziert.

Mit „Imagine“ gegen die AfD

Jazz-Kenner werden bemängeln, dass Quasthoffs Gesangslinien öfter zu gerade, zu unfrei dem Grundpuls der Musik folgen. Das fällt zum Beispiel verstärkt auf, wenn er eine überraschend ruppige Version von Gershwins „Summertime“ anbietet, der Pianist Oslender im Zwischenspiel dann aber den wahren Zauber des Evergreens beschwört.

Und etwas unwillig geringschätzig wirkt, wie Quasthoff dem Wunsch des ehemaligen Kurt-Weill-Forschers und jetzigen SHMF-Intendanten Christian Kuhnt nachkommt, etwas zum 150. Geburtstag der Komponistengröße aus dem Brecht-Universum beizusteuern. Außerdem wäre da „Stimmigeres“ als die Mackie-Messer-Moritat zu finden gewesen.

Dafür zeigt er unter großem Beifall politische Haltung, wenn er damit droht, John Lennons „Imagine“ so lange zu singen, bis die AfD-Partei aus dem Bundestag verschwunden sei.

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Richtig überzeugend singt Quasthoff dann, wenn er die Jazzstandards verlässt, Haffner die Schießbude aktiviert, die Bässe ballern, der Funk die Stimme herausfordert. Dann hat man Freude am losrockenden Imitat von Tina Turners „I Can‘t Stand The Rain“. Oder man wird schön groovy von Stevie Wonders „If It‘s Magic“ eingelullt.

Die Homepage von Thomas Quasthoff verkündet in der Rubrik Termine: „Es gibt keine zukünftigen Events.“ Vielleicht ist sie ja nur schlecht gepflegt.

KN