Stuttgart. Die Querdenker-Demo mit Neonazi-Beteiligung in Stuttgart vom 22. März wirkt weiter nach. Die Veranstalter des „Protestmarsches“, der zeitgleich auch in anderen Bundesländern stattfand, versuchen sich nun stärker von Rechtsextremisten zu distanzieren. Doch vieles spricht dafür, dass sich Bilder wie in Stuttgart im April auch in anderen baden-württembergischen Städten wiederholen werden. War die Demo eine Art Initialzündung?
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Bilder einer Demo: Hitlergruß hier, Friedenstaube da
Was bisher vorgefallen ist: Am 22. März zogen Querdenker und Neonazis durch Stuttgart. Dass das passieren würde, war abzusehen gewesen. Gruppierungen wie „Der Störtrupp“, „Pforzheim Revolte“, „Unitas Germanica“, „Reconqiusta 21 “ und „Zollernalb-Jugend Aktiv“ hatten ihr Kommen angekündigt. Unsere Redaktion hatte als erstes Medium über entsprechende Mobilisierungsversuche berichtet. Die Veranstalter hatten sich im Vorfeld in einem Demo-Aufruf von Extremismus distanziert. Nennenswerte Abgrenzungsversuche während der Demo selbst sind nicht bekannt. Einer der Redner kritisierte dagegen die Berichterstattung, die auf den drohenden Neonazi-Aufmarsch hinwies.
Das Bild, das sich an diesem Tag in Stuttgart bot, ist in Fotos und Videos gut dokumentiert: Hier ein Hitlergruß, da ein „White Power“-Handzeichen, daneben bunte „Pace“- und Friedenstauben-Flaggen. Schwarz gekleidete Rechtsextremisten, die teilweise klar erkennbar gewaltbereiten Gruppierungen angehören, marschierten unter linkem Gegenprotest zusammen mit dem Querdenker-Klientel durch die Stadt.
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Neonazi-Interview: Mehr in Richtung wie der „Führer damals“
Zunächst wurde die Demo von beiden Seiten als Erfolg gefeiert: Die rechtsextremen Gruppen jubelten. Unmittelbar nach der Demo wurden in mehreren Orten Baden-Württembergs Anstrengungen unternommen, weitere Neonazi-Kleingruppen zu gründen. Das geht aus entsprechenden Beiträgen auf Social Media hervor. Wie erfolgreich diese Bestrebungen waren, bleibt abzuwarten. Auch die Querdenker-Szene zeigte sich angesichts der großen Teilnehmerzahl in Telegram-Kanälen erfreut. Kritisiert wurden die Gegendemonstranten und die Polizei. In einem mittlerweile gelöschten Beitrag wurde die „Todesstrafe für Befehlspolizisten“ diskutiert.
Mittlerweile ist man in Teilen der Querdenker-Szene skeptischer. Stein des Anstoßes ist neben den negativen Reaktionen auf die Demo auch ein Beitrag von „Regio TV“, die ein Interview mit einem Aktivisten der rechtsextremen „Jungen Nationalisten“ geführt haben. Der Mann sagte während der Demo, er werde wohl bald die rechtsextreme Kleinpartei „III. Weg“ wählen, das gehe mehr in Richtung wie der „Führer damals“. Im Beitrag des Senders wird auch einer der Organisatoren zitiert. „Wir schließen niemanden aus in einer Demokratie. Wenn die alle hier auch friedlich sind, haben wir gesagt, dürft ihr mitlaufen.“
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Querdenker wollen sich distanzieren: Wie glaubwürdig ist das?
Nun klingt das anders: „Ein zentrales Anliegen vieler Demonstrierender ist es, Extremisten und radikales Gedankengut aus unseren Reihen fernzuhalten“, hieß es kürzlich im Telegram-Kanal der Veranstalter. „Diese Leute gefährden nicht nur die Sicherheit aller Teilnehmenden, sondern schädigen auch den Ruf unserer Bewegung.“ Es sei „wichtig, klare Grenzen zu setzen“. Wie man das umsetzen will, wird nicht weiter erläutert. „Wir müssen sicherstellen, dass unsere Demonstrationen inklusiv sind, aber extremistische Ansichten keinen Platz darin haben“, heißt es weiter – während im selben Kanal in den letzten Monaten Inhalte des rechtsextremen Mediums „Auf1“ sowie der rechtsextremen Parteien AfD und „Freie Sachsen“ geteilt wurden.
Auch in den rechtsextremen Gruppen wird versucht, sich von dem „Führer“-Interview zu distanzieren. Besonders skurril mutet das im Fall der Rechtsextremisten von „Unitas Germanica“ an. „Wir distanzieren uns klar von den Aussagen des jungen Mannes“, hieß es in einer Instagram-Story. Mit „so was“ wolle man nicht in Verbindung gebracht werden. Gleichzeitig verwendete die Gruppe in einer anderen Instagram-Story über die Demo in Stuttgart eine mit Musik unterlegte Goebbels-Rede.
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Verfassungsschutz: Häufiger rechtsextreme Aufmärsche in Baden-Württemberg
Die Situation nach der Demo in Stuttgart erinnert stark an die Corona-Krise, wo Querdenker-Demos und Telegram-Kanäle zu Plattformen für rechtsextreme Akteure wurden. Szene-Köpfe wie Michael Ballweg, in dessen Tradition sich die Stuttgarter Veranstalter sehen, zeigen sich bis heute mit rechtsextremen Akteuren. Den Verfassungsschutz wunderte es jedenfalls nicht, dass die Querdenker-Demo rechtsextreme Gruppen anzog. „In ihrer thematischen Ausrichtung war diese Versammlung zugleich anschlussfähig an den Rechtsextremismus sowie an das heterogene staatsdelegitimierende Spektrum“, so ein Sprecher.
Auch dass unterschiedliche rechtsextreme Gruppen sich intensiver vernetzten, sei seit geraumer Zeit zu beobachten. „Die Demonstration vom 22. März 2025 in Stuttgart zeigt, dass die Akteure trotz struktureller und ideologischer Unterschiede aktiv den Schulterschluss suchen, um in der Öffentlichkeit wirkmächtiger aufzutreten. Der Verfassungsschutz Baden-Württemberg hält es für wahrscheinlich, dass sich gemeinsame Auftritte rechtsextremistischer Akteure künftig häufen werden.“ Erste Anzeichen für diese Entwicklung habe es bereits im letzten Jahr in Form queerfeindlicher Demos anlässlich des Christopher-Street-Days gegeben.
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Wieder „Protestmarsch im April“: Diesmal ohne Stuttgart?
Unmittelbar nach der Demo wurde bereits für den nächsten „bundesweiten Protestmarsch“ unter dem Motto „Gemeinsam für Deutschland“ mobilisiert. Wieder vorne dabei: Dieselben rechtsextremen Gruppen wie zuvor, die mit KI-Bildern bereits für eine Teilnahme werben. In noch mehr Städten als beim letzten Mal will man am 26. April auf die Straße gehen. In Ankündigungen sind bislang drei in Baden-Württemberg aufgelistet: Karlsruhe, Reutlingen und Balingen. Ob der Kelch tatsächlich an Stuttgart vorübergeht, wird sich erst in den nächsten Wochen zeigen.