Die Regierung in Helsinki kämpft mit einem massiven Schuldenproblem.
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- Finnlands Verschuldung steigt auf ein Rekordniveau. Die Gründe: Überalterung, hohe Sozialausgaben – und neue Verteidigungspflichten.
- Auch Deutschland steuert auf ähnliche Probleme zu.
- Doch während Helsinki Gegenmaßnahmen ergreift, bleiben Reformen hierzulande bislang aus.
Donald Trump und Wladimir Putin belasten die finnischen Staatsfinanzen gleich doppelt. Die Regierung in Helsinki will ihre Verteidigungsausgaben in den kommenden Jahren auf mindestens drei Prozent der Wirtschaftsleistung anheben – nicht nur, um den Forderungen des US-Präsidenten nachzukommen, sondern auch, weil das Land eine lange Grenze mit Russland hat.
Aber: Die Finanzierung der zusätzlichen Milliarden ist bisher nicht geklärt. Die regierende rechts-konservative Koalition will zwar Sozialleistungen kürzen und Steuern anheben, aber das wird nicht genügen.
Allein in diesem Jahr will der Staat 13,23 Milliarden Euro an Krediten aufnehmen und damit weit mehr als ursprünglich geplant. Es ist ein Vorgeschmack auf die kommenden Jahre und zusätzliche Schulden in Milliardenhöhe
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Finnland mag zwar vielen Deutschen als fiskalisch konservativer Staat gelten – tatsächlich sind diese Zeiten aber längst vorbei. In dem nordischen Land ist in den vergangenen Jahren ein gewaltiges Schuldenproblem herangewachsen: In den 2000er-Jahren betrug die Staatsschuldenlast weniger als 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und lag damit weit entfernt von der Schuldenobergrenze für Euro-Länder von 60 Prozent.
Diese Zeiten sind lange vorbei: Finnlands Schuldenquote hat sich in den vergangenen Jahren verdoppelt und liegt mittlerweile bei über 80 Prozent des BIP.
„Wenn die finnische Regierung nichts unternimmt, werden wir laut den aktuellen Prognosen des Finanzministeriums in vier Jahren bei über 90 Prozent Schuldenquote stehen“, sagt Matthias Strifler, leitender Ökonom beim finnischen Stabilitätsrat VTV, der das Finanzgebaren des Staats überwacht. Solche Schuldenstände bedeuten weniger Stabilität, geringeren finanziellen Spielraum, weil große Teile der öffentlichen Ausgaben für Zinszahlungen fließen und weniger Möglichkeiten in Bildung, Forschung oder Infrastruktur zu investieren und damit in künftiges Wirtschaftswachstum.
Finnlands Schuldenproblem
Schon heute haben nur noch die Euro-Zonen-Länder Portugal, Spanien, Belgien, Frankreich, Italien und Griechenland höhere Verschuldungsgrade als Finnland. Allerdings mit etwas Abstand: In den sechs Ländern lag die Staatsverschuldung Ende 2024 über 100 Prozent, in Italien sogar bei gut 135 Prozent und in Griechenland bei knapp 154 Prozent.
Spanien und Portugal haben es dank strenger Sparprogramme und Strukturreformen in den vergangenen Jahren geschafft, ihre Staatsverschuldung zu drücken und auch Griechenlands Verschuldung sinkt. In all diesen Krisenländern war die Konsolidierung allerdings mit sozialen Härten verbunden.
Finnischen Politikern dürfte daran gelegen sein, solch ein Szenario zu wiederholen. Gleichwohl scheitern sie seit Jahren daran, die öffentliche Verschuldung unter Kontrolle zu bringen.
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Seit der globalen Finanzkrise, die im Herbst 2008 begann, ist der Anstieg der öffentlichen Ausgaben nahezu ungebrochen. „Der anhaltende Anstieg der Gesamtschulden aller Ebenen des Staates ist besorgniserregend“, urteilte der Stabilitätsrat VTV in seinem jüngsten Bericht. Die gegenwärtige Regierung habe noch keinen plausiblen Plan vorgelegt, wie die öffentlichen Finanzen unter Kontrolle gebracht werden könnten.
Getrieben wird die Rekordverschuldung von den Sozialausgaben, allen voran den Ausgaben für Renten und die Gesundheitsversorgung. Laut dem finnischen Statistikamt gehören die beiden Zweige der Sozialversicherung zu den am stärksten wachsenden Haushaltsposten.
Finnlands Sozialsystem als Warnung für Deutschland
Das Grundproblem ist die demografische Entwicklung: „Finnland ist eines der am schnellsten alternde Länder in Europa“, sagt Minna van Gerven, Professorin für Sozialpolitik an der Universität Helsinki. „Schon heute gehört Finnland zu den Industrieländern, die am meisten für Soziales ausgeben und in den kommenden zehn, zwanzig Jahren werden gewaltige Kosten auf das Gesundheits- und Sozialsystem zukommen.“
Diese Entwicklung ist auch eine Warnung für Deutschland. „Der starke Anstieg der Ausgaben für Renten und Gesundheitsversorgung wird mit gewisser Verzögerung auch auf viele andere europäische Länder zukommen, in denen die Geburtenraten niedrig sind“, sagt Strifler.
„Das betrifft auch Deutschland. Die deutsche Sozialversicherung steht vor sehr großen Herausforderungen.“ Strifler hat in Deutschland studiert, lebt aber seit vielen Jahren in Finnland.
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Ein großer Unterschied zwischen beiden Ländern: Finnland hat bereits tief greifende Reformen umgesetzt, um sein Rentensystem zukunftsfest zu machen, die Deutschland erst noch bevorstehen. Seit 2017 ist das gesetzliche Renteneintrittsalter in Finnland an die Lebenserwartung geknüpft – ein Mechanismus, den auch internationale Beobachter wie die OECD, eine Denkfabrik vorwiegend wohlhabender Industrieländer, empfehlen.
Auf der Website der finnischen Rentenversicherung kann sich jeder Bürger mit zwei Klicks ausrechnen, wann er das Eintrittsalter erreicht hat. Wer etwa im Jahr 2000 geboren wurde, kann unter den aktuellen Rahmenbedingungen im Mai 2069 in Rente gehen.
Nokia-Aus belastet finnische Wirtschaft
In den vergangenen Jahren hat die Regierung weitere harte Reformen umgesetzt und Streichungen in vielen Bereichen angekündigt. „Die Regierung will mit ihren Reformen im Sozialbereich die Schulden unter Kontrolle bringen, die Beschäftigung steigern und für mehr Wachstum sorgen“, sagt Olli Kangas, einer der bekanntesten Sozialforscher des Landes.
Die Frühverrentung wurde deutlich erschwert, der Kündigungsschutz gelockert und das Gesundheitssystem komplett umgekrempelt. Bis die Maßnahmen Wirkung zeigen, dürfte aber noch eine Weile vergehen – zuletzt ist die Zahl der Arbeitslosen sogar weiter gestiegen.
Das liegt auch an den strukturellen Problemen der Wirtschaft. Ein Teil davon ist hausgemacht: Der Zusammenbruch von Nokia, das die Entwicklung des Smartphones verschlafen hat, hat das Produktivitätswachstum über Jahre belastet und geschätzt 100.000 Arbeitsplätze vernichtet – eine spürbare Belastung für eine Volkswirtschaft mit aktuell rund 2,6 Millionen Erwerbstätigen.
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Auch die finnische Papierindustrie, traditionell ein wichtiger Wirtschaftszweig, kämpft mit Problemen. Die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine haben zusätzlich viele Milliarden gekostet.
Gerade deshalb ist die Entwicklung in Finnland auch eine Warnung für die deutsche Politik, aber während Helsinki handelt, sind entsprechende Entscheidungen hierzulande bisher nicht absehbar. Die deutsche Politik diskutiert weiterhin über Renteneintrittsalter mit 63, während die demografischen Belastungen der Sozialkassen absehbar zunehmen.
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In Finnland geht die Regierung derweil ungewöhnliche Wege, um die Schuldenquote optisch zu senken: Ab 2027 sollen Anteile aus dem staatlichen Pensionsfonds verkauft werden, um die Bruttoverschuldung rechnerisch zu drücken.
„Das grenzt an Trickserei“, kritisiert Strifler. „Diese Maßnahme verbessert nicht die Schuldentragfähigkeit, sondern ist nur ein Verschiebebahnhof.“ Das wiederum dürfte deutschen Wählern bekannt vorkommen.