Der brasilianische Präsident und der ausländische Autoboss reißen gemeinsam die Hände in die Höhe und strahlen um die Wette. Die beiden Männer feiern den Produktionsstart in der neuen Autofabrik. Lula da Silva freut sich über die Investition und die Arbeitsplätze, der Autoboss hofft auf gute Geschäfte.

Früher handelte es sich bei solchen Bildern zuverlässig um die Chefs deutscher Autokonzerne. Doch die Hand, die Lula vor einigen Tagen in die Höhe reckte, war die von Mu Feng, Chef des Great-Wall-Motors-Konzerns, einem der Dutzenden Autokonzerne Chinas. Zwei SUV und einen Pick-up produziert GWM künftig in der Fabrik, die der Konzern vor vier Jahren dem Daimler-Konzern abgekauft hatte.

Bilder wie diese gibt es inzwischen häufig. In Europa, zumal im Autoland Deutschland, mag es den Anschein haben, als tue sich die chinesische Autoindustrie schwer mit ihrer Expansion. Tatsächlich ist diese in vollem Gange. Nur findet sie eben nicht so sehr im Westen statt, sondern in all den Regionen und Ländern, die in den Bilanzen der deutschen Hersteller häufig wenig wertschätzend als „Rest der Welt“ zusammengefasst wurden.

Die größte Anzahl Autos geht nach Mexiko

Das zeigt die Liste der wichtigsten Exportmärkte der Chinesen überdeutlich: Die größte Anzahl an Autos, knapp 300.000 Fahrzeuge, gingen im ersten Halbjahr nach Mexiko. Auf den weiteren Rängen folgen die Vereinigten Arabischen Emirate, Russland und Brasilien. In den Top Ten, die das Shanghaier Beratungshaus Automobility zusammengestellt hat, liegen mit Belgien und dem Vereinigten Königreich nur zwei europäische Länder.

Mancherorts sind sie längst Platzhirsch. In Chile, Peru, Ägypten oder Kasachstan kamen chinesische Hersteller schon im vergangenen Jahr auf einen Marktanteil von rund 30 Prozent oder mehr, wie aus Daten der Autoanalysten Jato Dynamics hervorgeht. Europäische Hersteller spielen in all diesen Ländern eine kleine Rolle. Aber auch in Israel schoss der Marktanteil chinesischer Hersteller zuletzt auf mehr als ein Fünftel in die Höhe. In Singapur hat BYD Toyota als meistverkaufte Marke abgelöst.

Die Länder, in denen die chinesischen Konzerne bisher erfolgreich sind, sind für sich genommen keine großen Automärkte. Doch zusammengenommen läppern sie sich und stehen immerhin für ein Viertel des Weltmarktes, mit deutlich wachsender Tendenz. Schon im vergangenen Jahr überholte China den Konkurrenten Japan und wurde größter Autoexporteur der Welt. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres lieferte China 3,7 Millionen Autos in alle Welt, ein Plus von rund 13 Prozent, hat Automobility errechnet. Das allein ist schon mehr, als Deutschland im vergangenen Jahr insgesamt exportierte.

Europa neben China der wichtigste Elektroautomarkt

Fachleute gehen davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzt. Bis Ende des Jahrzehnts wird der Marktanteil der Chinesen in Südamerika von acht auf 15 Prozent in die Höhe schnellen, erwartet die Beratungsgesellschaft Alix Partners. Im Nahen Osten und Afrika sollen sie von zuletzt zehn auf 18 Prozent zulegen, in Südostasien von drei auf 17 Prozent.

In vielen dieser Länder profitieren die Unternehmen von der Geopolitik. Mit der Neuen Seidenstraße, der globalen Infrastrukturinitiative von Xi Jinping, hat China viele Länder an sich gebunden und die notwendigen Häfen, Straßen und Schienen gebaut, die die chinesische Autoindustrie nun nutzen kann. Inwieweit die lokale Regierung offen sei für chinesische Unternehmen und Investitionen, sei einer der Faktoren, nach denen man Märkte aussuche, sagte Brian Gu, Ko-Präsident des chinesischen Autoherstellers Xpeng, vor einigen Monaten vor Journalisten in Hongkong. „Es ist ein geopolitisches Spiel“, sagt Felipe Munoz von Jato Dynamics. „Die Chinesen verändern die Marktdynamik, und die etablierten Autohersteller haben nicht die richtigen Fahrzeuge im Angebot, um dagegenzuhalten.“

Es ist nicht so, dass die chinesischen Hersteller kein Interesse an Europa haben. „Europa ist für uns außerhalb von China der wichtigste Elektroautomarkt“, sagte Gu. Doch sie wissen auch, dass Europa schwer zu knacken ist, nicht nur wegen der Geopolitik, sondern auch wegen der je nach Land ganz eigenen Regeln und langen Autotraditionen.

Sprechen sie von ihren Kernmärkten, listen sie Europa zwar mit auf, doch Südostasien, Lateinamerika und der Nahe Osten spielen eine ebenso große Rolle. „Europa ist wie eine Topuniversität“, sagte Zhu Huarong, Konzernchef des staatlichen Autoherstellers Changan, vor einigen Wochen vor Journalisten in Chongqing. Man versuche natürlich, in die beste Uni zu kommen. „Aber wenn wir scheitern, gehen wir eben in die zweitbeste.“

Wen der Expansionsdrang der Chinesen trifft

Besonders stark betroffen sind japanische Konzerne wie Toyota, die in Schwellenländern sehr präsent sind, aber auch Unternehmen wie der europäisch-amerikanische Mehrmarkenkonzern Stellantis oder auch der Volkswagen -Konzern. „Es gab eine Zeit, in der auch westliche Hersteller davon ausgingen, dass der globale Süden für sie ein Wachstumstreiber wird“, sagt Fabian Piontek von Alix Partners. „Doch diese Hoffnungen haben sich in vielen Märkten zerschlagen.“

Für Mercedes und BMW ist der Expansionsdrang der Chinesen vorerst ein geringeres Problem. Doch die chinesischen Konzerne haben fast immer auch Premiummarken im Sortiment. Und Hersteller wie Xpeng oder Li Auto konkurrieren in der Volksrepublik schon um die gleichen Kunden. Die Marke Hongqi, in China als Hersteller der Staatskarosse für Präsident Xi bekannt, hat vor einiger Zeit ihre globale Expansion verkündet – mit dem Anspruch, vom „orientalischen Luxus“ zum „neuen Luxus der Welt“ zu werden.

Zu den Fehlwahrnehmungen in Europa dürfte gehören, dass es sich bei den chinesischen Exporten vor allem um Elektroautos handelt. Tatsächlich exportiert Deutschland prozentual mehr elektrifizierte Autos als China. Nur rund 35,5 Prozent der Fahrzeuge, die aus dem Reich der Mitte verschickt wurden, waren elektrifiziert, wenn auch mit steigender Tendenz. China fasst unter dem Begriff des New Energy Vehicle (NEV) Elektroautos und Hybridfahrzeuge zusammen. In Deutschland betrug dieser Wert laut dem Statistischem Bundesamt zuletzt rund 48 Prozent.

Russlands Importeinschränkungen wirken

Das hat damit zu tun, dass die Elektroautos in China sehr beliebt sind und inzwischen mehr als die Hälfte der neuverkauften Fahrzeuge elektrifiziert ist. Die Verbrennerautos, die die Chinesen immer weniger wollen, werden stattdessen exportiert. Die Ausfuhren sind damit ein Ventil, um die vielen alten Verbrennerfabriken auszulasten. Den Chinesen helfen die Auslandsgeschäfte, um dem stark umkämpften heimischen Markt zu entkommen. So schwappt der Preiskrieg aus China in den Rest der Welt über.

Dabei ist es zwar komplizierter, viele kleine Märkte zu beackern. Aber es erhöht auch die Unabhängigkeit. Dass Russland etwa den Import chinesischer Autos stark eingeschränkt hat, hat zwar zu einem Minus der Lieferungen von einem Drittel geführt. In der Exportbilanz hinterlässt es dagegen kaum Spuren, weil stattdessen die Ausfuhren nach Lateinamerika und in den arabischen Raum stark steigen. Selbst Mexiko kommt nur auf einen Anteil von acht Prozent an den chinesischen Autoausfuhren.

Die chinesischen Konzerne belassen es indes nicht bei den Exporten, sondern bauen immer häufiger auch Fabriken. Fachmedien in der Volksrepublik schreiben von insgesamt 88 chinesischen Autofabriken im Ausland, die schon gebaut sind oder bei denen der Bau begonnen hat. Dutzende weitere sind angekündigt.

Allein in Thailand will ein halbes Dutzend chinesischer Marken vor Ort produzieren, darunter Marktführer BYD, Chery, JAC und Great Wall. Sie bemühen die gleichen Floskeln, auf die deutsche Automanager in China zurückgreifen. Die sprechen gern von „in China, für China“. Changan hat den Spieß längst umgedreht: Zhu redet von „in Europa, für Europa“.