Nicht umsonst hat der französische Premier François Bayrou seinen Sparhaushalt vor den Sommerferien der Presse vorgestellt: Rechte und Linke sollten ihre Kritik vorbringen, damit alle sich vorbereiten können auf die Rentrée politique, die Rückkehr zum politischen Leben nach den langen Sommerferien.

Doch im September wird Bayrou, der über keine Mehrheit im Parlament verfügt, es möglicherweise nicht nur mit seinen üblichen politischen Gegnern zu tun bekommen, sondern mit einer noch diffusen, parteiübergreifenden Bewegung, die sich über den Sommer in den sozialen Medien formiert hat.

François Bayrou schwört die Franzosen in seiner Pressekonferenz am 15. Juli auf drastische Sparmaßnahmen ein.

© Imago/Abaca/Lafargue Frederic

Unter dem Slogan „Blockieren wir alles“ wird am 10. September zu unterschiedlichsten Aktionen aufgerufen. Auch wenn die Bewegung von rechtsextremen Personen losgetreten wurde, scheint sie nun eher von links übernommen worden zu sein.

Und sie nimmt Fahrt auf. Gewerkschaften haben zu Streiks aufgerufen. Und am Sonntag hat die erste Partei, die linke „Unbeugsames Frankreich“ (LFI) von Jean-Luc Mélenchon, der „Bewegung“ ihre Solidarität und Unterstützung versichert.

Wie alles begann

Begonnen hatte alles am 14. Juli mit einem Video der Organisation „Essentiels“, das ein „souveränes“ Frankreich, das sich auf seine christlichen Wurzeln besinnt, sowie den Austritt aus der EU fordert.

Schnell wurde es sowohl von prominenten Vertretern der Gelbwesten, der sozialen Bewegung, die vor sieben Jahren Frankreich in Atem gehalten hatte, geteilt – als auch von extrem Rechten.

Die Verbreitung des Videos nahm als Reaktion auf die Pressekonferenz vom 15. Juli Fahrt auf, bei der Premier Bayrou unter dem Titel „Augenblick der Wahrheit“ drastische Einschnitte im nächsten Haushalt vorgestellt hatte.

Mittlerweile geht die Mobilisierung über den Kurznachrichtendienst Telegram weiter, unter anderem mit einem Konto „Empört Euch!“ in Anlehnung an die Streitschrift von 2010 des französischen Widerstandskämpfers und Diplomaten Stéphane Hessel, der die Ungerechtigkeiten des internationalen Finanzsystems anprangert und zum Widerstand aufrief.

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Auch eine Webseite wurde geschaffen: „mobilisation10septembre.blog“. Immer wieder gibt es Rätselraten über die Autorenschaften – von extrem rechts und/oder extrem links.

Anaïs Albertini war eine Anführerin der Gelbwesten-Bewegung und hat nun auch prominent zur Verteilung der Appelle aufgerufen. Als Initiatorin will sie sich aber nicht sehen.

Gelbwesten 2019: Die Bewegung hatte sich damals ebenfalls über die sozialen Medien formiert und landesweite Proteste organisiert.

© dpa/AP/Thibault Camus

Sie versichert auf Facebook: „Keine Partei oder Gewerkschaft ist involviert, es sind Bürger und Bürgerinnen, die den Appell zu einem unbefristeten Totalstillstand des Landes ab dem 10. September lanciert haben.“

Die Forderungen gehen von der Rücknahme der vorgeschlagenen Sparmaßnahmen im sozialen Sektor und einer gerechteren Steuerpolitik über den Protest gegen die Abschaffung zweier Feiertage bis hin zu allgemeinen Lohnerhöhungen.

Zuletzt hatte 2023 die umstrittene Rentenreform, die unter anderem das Eintrittsalter von 62 auf 64 Jahre hochsetzte und ohne Abstimmung im Parlament beschlossen wurde, Hunderttausende Franzosen auf die Straßen getrieben.

Einkaufsboykott, Besetzungen

Was genau am 10. September passieren wird, ist unklar. Lokale Komitees sollen „Blockaden“ organisieren – aber nicht zu viel verraten, heißt es in einer Nachricht.

Die Menschen sollten nicht in den Supermärkten großer Ketten einkaufen und ihr Geld von Großbanken, „Komplizen der Spekulation“, abziehen und bei Genossenschaftsbanken anlegen. Auch die friedliche Besetzung symbolischer Orte wie Rathäusern wird als Möglichkeit genannt.

Unterstützung von Gewerkschaften und Links-Partei

Die Sparten Handel und Chemie des zweitgrößten Gewerkschaftsbundes CGT haben mittlerweile ihre Mitglieder zu einem Streik am 10. September aufgerufen. Quasi parallel zu den Aktionen der möglichen neuen Bewegung.

Und am Sonntag hat die linke Partei Mélenchons erklärt, dass sie die „Initiative des Volkes zum 10. September“ als Protest gegen die starken Einsparungen, die Premier Bayrou vorgeschlagen hatte, unterstütze.

Jean-Luc Mélenchon will diesmal an der Protest-Bewegung teilhaben – und Nichtwähler zu seiner Partei holen.

© REUTERS/Yara Nardi

Den Gelbwesten und ihren Protesten hatte die Partei sich damals nicht angeschlossen – ebenso wenig wie Rassemblement National von Marine Le Pen.

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Die rechtspopulistische Partei bringt die Linke nun in Bedrängnis – da Le Pen noch zögert, ob sie als Herrin über die größte Einzelfraktion im Parlament Bayrou im Herbst über den Haushalt (mit)stürzen will.

Wir wollen nur sehen, wo wir helfen können.

Der linke Abgeordnete Hadrien Clouet über die Unterstützung seiner Partei für die Bewegung

Aber für die Partei „Unbeugsames Frankreich“ und die Bewegung ist es auch eine Gratwanderung – schnell könnte der Vorwurf aufkommen, die Partei wolle die Bewegung kapern.

„Wir wollen nur sehen, wo wir helfen können“, erklärt der Abgeordnete Hadrien Clouet. Gleichzeitig kann die Partei kaum steuern, was am 10. September genau passieren wird.

„Aus taktischer Sicht will Mélenchon zeigen, dass er an Bord ist, bevor der Zug abfährt“, analysiert der Politologe Bruno Cautrès in der Zeitung „Le Monde“. Die Partei hoffe, die in der Bewegung vertretenen Nichtwähler an sich zu binden.

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Während die französische Polizei versucht, sich auf den 10. September einzustellen, muss auch Premier Bayrou über den Rand der Nationalversammlung hinausschauen.

Angesichts der Gelbwestenproteste hatte Präsident Emmanuel Macron damals die Rentenreform zunächst fallen gelassen. Einen neuen Haushalt braucht das hoch verschuldete Frankreich aber dringend.