„Wir sind zuversichtlich, dass wir die Eine-Milliarde-Euro-Marke in diesem Jahr knacken werden“, verkündete Stefan Franzke am Mittwoch stolz am neuen SAP-Standort in der Moabiter Europacity. Der Chef des landeseigenen Wirtschaftsförderers Berlin Partner trug hier zusammen mit Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) seine Halbjahresbilanz vor.
Erst zweimal habe es Berlin geschafft, binnen eines Jahres Investitionen in Höhe von einer Milliarde Euro mit zu ermöglichen, zuletzt war das 2024. Darunter zählen die Unternehmen, die in Berlin investieren und vom Land Berlin betreut und gefördert werden. „163 Investitionsvorhaben von Unternehmen im Umfang von 668 Millionen Euro konnten wir im ersten Halbjahr betreuen, darunter 48 Neuansiedlungen“, sagte Giffey. Eins wurde bei der Pressekonferenz am Mittwoch klar: Berlins Wachstum kühlt ab, während bestimmte Branchen stark wachsen.
Berlin vor Bayern: Giffey und Franzke verteidigen Start-up-Quote
Für dieses Jahr rechnet der Berliner Senat mit einem Wirtschaftswachstum von einem Prozent, im kommenden Jahr sollen es 1,8 Prozent werden. Zwar habe man im Vergleich zu Bayern erstmals niedrigere Start-up-Finanzierungssummen erzielt – 1,5 Milliarden Euro im Stadt-Staat und rund zwei Milliarden Euro in Bayern. Doch dies habe vor allem mit dem großen Defence-Tech-Bereich im Süden zu tun, rechtfertigte Giffey.
Franzke ergänzte: „Berlin hat immer noch die meisten Neugründungen pro 100.000 Einwohner und die meisten Finanzierungsrunden.“ Zumal man im Fintech- und Health-Bereich mit großem Abstand führend sei. „Weltweit stehen wir bei Gesundheit an Nummer drei“, so der Berlin-Partner-Chef. Außerdem sei Berlin die einzige Stadt neben Bangalore, die neun KI-Forschungszentren vorweisen könne. Hier liege man weltweit an der Spitze aller Städte.
Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) und Stefan Franzke, Chef des landeseigenen Wirtschaftsförderers Berlin Partner, bei der Vorstellung der Halbjahresbilanz am Mittwoch bei SAP in BerlinLukas Kuite / BLZ
Während deutsche Industriekonzerne Werksschließungen ankündigen und Tausende Jobs gefährdet sind, wächst eine Branche unbeirrt: Software und IT-Sicherheit. Das Wachstum findet vor allem hier statt, wie das Handelsblatt jüngst für ganz Deutschland berichtete, das Chemnitzer Software-Unicorn Staffbase in der Berliner Zeitung am Dienstag bestätigte und die Regierungsverantwortlichen Giffey und Franzke gerne annahmen.
Natürlich profitiere man im Software-Bereich von der EU, sagte Franzke auf Nachfrage der Berliner Zeitung. „Regierungen und börsennotierte Unternehmen werden in Europa gefragt, mit welchen Daten ihre Algorithmen trainiert wurden, woanders nicht. Und dann wird lieber auf europäische Lösungen gesetzt.“ Und da lande man schnell „bei uns“, in Berlin, ergänzte Giffey.
Pharmaindustrie nicht stark von US-Zöllen getroffen
Auch von den US-Zöllen wurde Berlins größter Markt, die Gesundheitswirtschaft, weniger getroffen als andere Branchen. „Weil wir diesen Branchenmix immer hatten“, sagte Franzke, sei Berlin nun weniger anfällig für geopolitische Effekte. Im Süden habe man sich lange auf Maschinenbau und Automobilindustrie fokussiert. Heute merke man: Diversifizierte Märkte seien krisensicherer.
Das größte Zugpferd der Hauptstadt war im ersten Halbjahr neben Pharma & Health-Tech (218 Millionen Euro Neuinvestitionen) und Software inklusive Künstlicher Intelligenz (verteilt auf mehrere Branchen) nach wie vor der Dienstleistungsbereich. 165 Millionen Euro gaben Unternehmen am Standort aus. Die meisten Arbeitsplätze wurden hingegen in der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) gesichert und geschaffen – rund 2000 an der Zahl.
Wirtschaftssenatorin Giffey sorgt sich um 175 Regelinsolvenzen im Juli
Berlin scheint inmitten der verspäteten Konsolidierung durch Corona-Krise, Kriege, gestiegenen Energiekosten und Zölle weitgehend gut davonzukommen. Doch vor den gestiegenen Arbeitslosigkeitszahlen (10,2 Prozent) und dem Rekord an Regelinsolvenzen im Juli (175 laut IWH Halle) kann sich auch die Wirtschaftsverwaltung nicht wegducken.
„Bei 40.000 Neugründungen im Jahr können es nicht alle schaffen. Nicht jede Idee ist erfolgreich“, betonte Giffey auf Nachfrage der Berliner Zeitung. Berlins Aufgabe sei es, in der Betreuung und Beratung zu verhindern, dass es so weit komme. „Auch die Unternehmerpersönlichkeiten zu beraten, die Netzwerke für Frauengründungen zu stärken, ist zum Beispiel unsere Aufgabe.“ Doch in der Fehlerkultur gehöre es dazu, dass nicht jede Idee funktioniere. „Wenn zwei von zehn Start-ups durchstarten, ist das eine super Quote.“ Viele gescheiterte Gründer würden es dann erneut versuchen, mit einer besseren Idee.
Berlins Wirtschaftswachstum zeigt eine schrittweise Abkühlung. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs 2021 noch um 3,3 Prozent. 2023 schwächte sich das Wachstum auf 1,6 Prozent ab, was immer noch deutlich über dem Bundesdurchschnitt lag (-0,3 Prozent). Im vergangenen Jahr stieg der Landesumsatz um 0,8 Prozent. Das Budget für Berlin Partner konnte für den noch nicht verabschiedeten Doppelhaushalt 2026/27 laut Giffey um 1,7 Millionen Euro angehoben werden. In den kommenden zwei Jahren werden statt 14 nun 15,7 Millionen Euro für die Beratung von Neuansiedlungen zur Verfügung stehen.