Innerhalb weniger Wochen hat Donald Trump gleich dreimal führende Vertreter Europas vor den Augen der Weltöffentlichkeit gedemütigt: zuerst auf dem NATO-Gipfel Ende Juni in Den Haag, dann während der Handelsgespräche mit der Europäischen Union Ende Juli in Schottland und nun in den Gesprächen über die Ukraine in Washington. Wie verschüchterte Schüler, die in früheren Zeiten Angst vor Stockschlägen eines cholerischen Direktors hatten, saßen die Europäer im Oval Office vor dem Schreibtisch Trumps. Über europäische Souveränität oder ein Europa als selbstbewusster Machtblock in einer multipolaren Welt braucht auf absehbare Zeit niemand reden, der sich nicht lächerlich machen will.
Manche Kritiker klagen, Europa mache sich im Konzert der Großen unnötig klein; schließlich sei Europa doch eine erstrangige Wirtschafts- und Handelsmacht, die ihr Gewicht selbstbewusst in Verhandlungen einbringen solle. Wer so argumentiert, unterschätzt die Abhängigkeit des Gewichts wirtschaftlicher Macht von der jeweiligen geopolitischen Ordnung. Wirtschaftliche Macht wirkt vor allem in einer Welt ohne geopolitische Spannungen, in der ein wohlmeinender Hegemon aus eigenem Interesse eine friedliche Welt sichert. Dem amerikanischen Wirtschaftshistoriker Charles Kindleberger folgend, stützt sich eine leistungsfähige Weltwirtschaft auf die Existenz eines Hegemonen. Nach dieser Interpretation beruhte die Globalisierung des späten 19. Jahrhunderts auf einer Pax Britannica und die Globalisierung des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts auf einer Pax Americana.
Europäer verließen sich auf „Soft Power“
In der Pax Americana der vergangenen Jahrzehnte konnten sich die Europäer auf der Grundlage ihrer wirtschaftlichen Macht auf Mittel beschränken, die der amerikanische Politikwissenschaftler Joseph Nye unter dem Begriff „Soft Power“ zusammengefasst hat: Diplomatie, Kooperation, materielle Anreize und Demokratieförderung. Viele Jahre zogen gerade deutsche Politiker mit Floskeln wie „Wandel durch Handel“ oder „Wer redet, schießt nicht“ glückselig-moralisierend über den Planeten, während die Europäische Union in Handelsabkommen Partnern Klimapolitik und Sozialstandards vorschreiben wollte.
Die äußere Sicherheit schoben die Europäer als Relikt einer fernen Vergangenheit auf die Amerikaner ab, über die man ansonsten gerne schimpfte. Amerika hatte zwar schon zu Zeiten des in Europa verklärten Barack Obama gewarnt, dass dies so nicht weitergehen könne. Als Antwort setzten die Europäer ihre Ohrenschützer auf und machten weiter wie zuvor.
Externe Inhalte aktivieren
Phasen hegemonialer Stabilität sind in der Geschichte der vergangenen Jahrhunderte die Ausnahme gewesen. Die Regel waren Rivalitäten zwischen großen Mächten in Abwesenheit eines Frieden garantierenden Hegemonen. In einer solchen Welt reicht „Soft Power“ nicht aus; stattdessen geht es nicht ohne traditionelle „Hard Power“, zu der vor allem militärische Macht zählt. Aggressive Autokratien messen das Gewicht ihrer Kontrahenten nicht an weisen Worten von deren Vertretern, sondern an der Zahl von Bomben und Granaten in den Militärarsenalen. Wirtschaftliche Macht allein ist in einer Welt rivalisierender großer Mächte unzureichend, da sie ein Defizit in der Fähigkeit zur militärischen Verteidigung nicht ersetzen kann. Diese bittere, aber im Grunde sehr alte Erkenntnis bleibt der wichtigste Grund, warum Europa den Demütigungen Trumps jetzt und auf absehbare Zeit hilflos ausgesetzt bleibt.
Jahrzehntelange Versäumnisse als Folge geopolitischer Ignoranz lassen sich nicht in kurzer Zeit ungeschehen machen. Europa bleibt auf lange Zeit von den Vereinigten Staaten abhängig, die ihrerseits aus geopolitischen Gründen kein Interesse daran haben können, Europa im Regen stehen zu lassen. Für diese Unterstützung wird Europa noch viele Jahre zahlen müssen.
Da helfen weder große Worte noch ewiges Lamentieren, sondern nur harte Arbeit und Entschlossenheit. Den europäischen Bekundungen zu einem neuen Verteidigungswillen müssen überzeugende, von einem langen Atem begleitete Taten folgen. Zur Finanzierung dieser Anstrengungen wie zur Abwehr eines politischen Extremismus bedarf Europa, dessen wirtschaftliches Fundament seit Langem erodiert, neuen Schub. Eine Vollendung des Binnenmarkts und eine tatkräftige Deregulierung und Entbürokratisierung, vor allem aber der Mut, die Chancen moderner Technologie zu ergreifen, gehören ins europäische Pflichtenheft. Europa muss sich den Respekt der Welt erst wieder erarbeiten, wenn es künftig ernst genommen werden will.