Stand: 21.08.2025 08:21 Uhr

Immer wieder wird ein Streamer in Frankreich vor laufender Kamera misshandelt. Tausende Menschen schauen dabei zu – nun starb der Mann während eines Livestreams. Der Fall bringt Politik und Justiz in Erklärungsnot.


Cai Rienäcker

Die Liveübertragung auf der Plattform Kick lief schon seit 298 Stunden und 30 Minuten, also seit mehr als zwölf Tagen. Da machten Zuschauer des Dauer-Streams einen der schlafenden jungen Männer im gefilmten Zimmer bei Nizza darauf aufmerksam, dass ihr Dauer-Opfer JP ziemlich komisch und leblos daliege.

Daraufhin schmiss einer der jungen Männer zuerst noch eine kleine Plastik-Wasserflasche auf den reglosen Körper. Als die Anwesenden merkten, dass JP tatsächlich nicht mehr reagierte, wurde die Live-Kamera abgeschaltet. Die Polizei in Nizza konnte anschließend nur noch den Tod des im Netz JP genannten Jean Pormanove feststellen, der mit bürgerlichem Namen Raphaël Graven hieß und nun mit 46 Jahren starb.

Abozahlen stiegen mit der Gewalt

Kurz zuvor soll Pormanove wie immer in seinen Videos auf der Plattform Kick von den anderen anwesenden Streamern malträtiert worden sein. So war in einer Szene des Livestreams zu sehen, wie Pormanove vor laufender Webcam von seinen ständigen Begleitern festgehalten und gewürgt wurde.

Die Streams hatten früher mal eher harmlos mit Videospielen angefangen. Raphaël Graven alias Jean Pormanove war ein ehemaliger Obdachloser und Soldat, der in den Videos immer wieder die Opferrolle einnahm. Sobald Gewalt ins Spiel kam, stiegen die Abos des Streamingkanals und damit auch die Einnahmen. Mehrere Zehntausend Euro sollen dabei in manchen Monaten für die Streaming-Gruppe herausgesprungen sein.

Die Plattform Kick griff nicht ein

Die Journalistin Marie Turcan arbeitet in Frankreich für das investigative Onlineportal Mediapart und hatte schon im vergangenen Jahr mit ihren Recherchen auf die Brutalität der Videos aufmerksam gemacht: „Sie haben immer mehr verstanden, dass, wenn JP sich geärgert hat, dann brachte das Geld“, erzählt sie. „Es gab User, die dafür bezahlt haben, JP beleidigen zu dürfen, die sich an der anschließenden Gewalt ergötzt haben.“

Rund 50.000 Zuschauer hingen jeden Abend an den zunehmend gewalttätigen Streams. JP war einer der Stars auf der Plattform Kick, die zu keinem Zeitpunkt eingriff. Mal wurde Pormanove mit Farbe überschüttet, mal auf seinem Stuhl umgeschmissen und immer wieder geschlagen.

„Es gab Zuschauer, die den Stream als Begleitmedium genutzt haben. Man konnte sehen, dass einige User den Video-Stream tagelang ununterbrochen eingeschaltet hatten“, sagt die Journalistin Turcan. Es habe eine richtige Community gegeben, die die Streamer angefeuert habe. „Nachdem wir unsere Recherchen veröffentlicht hatten, haben sie sich gegen uns gewendet und uns im Internet belästigt bis hin zu Morddrohungen.“

Kick will mit Ermittlern kooperieren

Die User waren mit dem ständigen Opfer Pormanove und seinen Co-Streamern in den vergangenen fünf Jahren bereits durch verschiedene Plattformen getingelt. TikTok und Twitch hatten sie verlassen, weil sie ihren Gewaltvideos dort nicht freien Lauf lassen konnten. Aber bei Kick brauchten sie keinerlei Sanktionen zu fürchten. Im Gegenteil.

Kick machte im Onlinedienst X noch Werbung mit den Gewaltvideos. Die aus Australien gesteuerte Plattform Kick äußerte nach dem Tod des Streamers ihr tiefes Bedauern. Alle Beteiligten seien von Kick aus dem Videoportal verbannt worden. Nun wolle man voll mit den Behörden bei der Aufklärung zusammenarbeiten.

Digitalministerin: Absoluter Horror

Kritiker sehen in dem Fall auch ein Versagen der Aufsichtsgremien. „Es stimmt, dass es schwierig ist für den Staat, das alles zu kontrollieren“, sagt der sozialistische Abgeordnete und Social-Media-Experte Arthur Delaporte. Die zuständige Behörde habe nur 23 Personen, die sich mit den digitalen Diensten beschäftigen und die Einhaltung der europäischen Vorgaben überwachen würden.

Die zuständige Ministerin für Digitales, Clara Chappaz, sprach nach dem Tod des Video-Streamers bei Nizza von einem absoluten Horror. Jean Pormanove sei monatelang live auf der Plattform Kick gedemütigt und misshandelt worden. Die Online-Plattform habe die Verantwortung für die Verbreitung illegaler Inhalte. Die Ministerin kündigte eine strafrechtliche Untersuchung an.

Viele Fragen an die Medienaufsicht

Entsprechende Ermittlungen gab es aber bereits nach Recherchen des Online-Portals Mediapart im vergangenen Dezember. Es kam sogar zwischenzeitlich zu Festnahmen. Regierung und Medienaufsicht müssen sich deshalb fragen lassen, wie es acht Monate später trotzdem auf demselben Videokanal bei Kick zum Tod vor laufender Kamera kommen konnte.