Das Händeschütteln von Aserbaidschans Präsidenten Ilham Aliyew und Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan im August dieses Jahres besiegelte die Absicht, einen jahrzehntelangen Konflikt bald durch einen Friedensvertrag zu beenden. Die beiden Länder hatten jahrelang erbittert um die Kontrolle der Region Bergkarabach gekämpft, in der hauptsächlich Menschen aus Armenien lebten.
Der Krieg endete 2023 mit dem militärischen Sieg Aserbaidschans – und der Massenflucht von mehr als 100.000 Armenierinnen und Armeniern.
Doch den jüngsten bilateralen Händedruck umschloss ein drittes Händepaar: das von US-Präsident Donald Trump. Die USA vermittelten auf den letzten Metern bei einem springenden Punkt. Trump versprach, dass US-Unternehmen die Infrastruktur und Sicherheit eines Verbindungs-Korridors für 99 Jahre garantieren würden. Dadurch soll Aserbaidschan Zugang zu Naschitschewan bekommen, seiner autonomen Exklave, durch die es durch armenisches Staatsgebiet getrennt ist.
Händedruck zu Dritt: US-Präsident Donald Trump nach der Unterzeichnung einer Friedenserklärung zwischen Aserbaidschans Präsidenten Ilham Aliyew und Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan Bild: Mark Schiefelbein/AP Photo/dpa/picture alliance
US-Vermittlung zu Bergkarabach: Demütigung für Russland?
Diese Beteiligung der USA ist das bisher wohl sichtbarste Zeichen des schwindenden Einflusses Russlands in der ehemaligen Sowjetunion. Ein Machtverlust, der sich nicht auf Aserbaidschan beschränkt.
Offiziell begrüßte Moskau die Vereinbarung. „Das Treffen der Kaukasusrepubliken in Washington unter Vermittlung amerikanischer Seite muss man positiv bewerten. Wir hoffen, dass dies ein Schritt in Richtung Frieden ist“, sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Zakharova.
Doch weniger offizielle Stimmen lassen vermuten, wie es Moskau wirklich zumute ist. So schrieb der rechtsnationale russische Publizist Alexander Dugin auf dem Nachrichtendienst Telegram: „Dies ist eine schreckliche Demütigung für Russland. […] Es ist eine komplette Niederlage, ein totales Desaster für unsere Politik im Südkaukasus.“
Flucht aus Berg-Karabach nach Armenien
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Für Fariz Ismailzade, einen parteilosen Abgeordneten im aserbaidschanischen Parlament, ist der Schulterschluss mit den USA hingegen ein logischer Schritt. „Unser Ziel ist es, unabhängig zu sein“, sagt er der DW. „Wir wollen uns nicht von Russland abkoppeln und eine Marionette des Westens werden. Wir schließen neue Allianzen mit Zentralasien oder auch der Türkei, um uns abzusichern.“
Aserbaidschan hat seit 2010 ein Kooperations-Abkommen mit der Türkei. Dieses Jahr unterzeichneten beide Länder ein Sicherheitsabkommen.
Es knirscht zwischen Russland und Aserbaidschan
Das Verhältnis zwischen Russland und Aserbaidschan ist dagegen seit Monaten angespannt. Auslöser war der Absturz eines aserbaidschanischen Passagierflugzeugs Ende Dezember 2024, nachdem dieses von einer russischen Flugabwehrrakete beim Anflug auf die tschetschenische Hauptstadt Grozny getroffen wurde. 38 Menschen kamen dabei ums Leben.
Trauer bei der Beerdigung der Besatzungsmitglieder der abgestürzten Aserbaidschan Airline – aus dem Kreml kamen nur verhaltene BeileidsbekundungenBild: Aziz Karimov/REUTERS
Nach einigem Zögern meldete sich der russische Präsident Wladimir Putin schließlich bei Präsident Aliyew – allerdings nur, um sich dafür zu entschuldigen, dass der Abschuss im russischen Luftraum passierte. „Russland hat uns nicht den nötigen Respekt gezeigt“, sagt der unabhängige aserbaidschanische Politologe Nariman Aliyew im Gespräch mit der DW.
Damit sei eine wichtige Säule des bilateralen Verhältnisses erstmal zusammengebrochen, erläutert Rusif Huseynov, Gründer der Denkschmiede Topchubashov Center in Aserbaidschans Hauptstadt Baku. „Bisher hatten die Staatschefs der beiden Länder immer direkt miteinander geredet und so Konflikte aufgelöst“, erklärt Huseynov im Interview mit der DW. „Aserbaidschan konnte gleichen Abstand zwischen Russland und anderen Mächten wahren, weil wir wirtschaftlich stark sind wegen unserer Öl-Vorkommen und außerdem den Sicherheitsschirm durch die Türkei haben.“
Nun häufen sich die diplomatischen Vorfälle – die russische Polizei nahm mutmaßliche aserbaidschanische Terroristen fest, aserbaidschanische Sicherheitskräfte verhafteten im Gegenzug mutmaßliche russische Drogenhändler. Kürzlich griff Russland laut Medienberichten Energieanlagen des aserbaidschanischen Unternehmens SOCAR im ukrainischen Odessa an.
Parlamentarier Fariz Ismailzade: „Unser Ziel ist es, unabhängig sein“Bild: privat
Die aserbaidschanische Regierung habe gedroht, ihr Verbot von Waffenlieferungen in die Ukraine aufzuheben, wenn Russland mit diesen Bombardierungen weitermache, sagt Parlamentarier Ismailzade. „Bisher hat unser Land lediglich über 30 Millionen Dollar an humanitärer Hilfe und Dieselgeneratoren geliefert.“
Im Schatten des Ukraine-Kriegs: Ehemalige Sowjetstaaten emanzipieren sich von Moskau
Für Länder wie Aserbaidschan sei Ukraine-Krieg eine „Gelegenheit“, meint Ismailzade. „Dadurch ist Russland anderweitig beschäftigt. Wir haben mehr Spielraum, unsere diplomatische Beziehungen mit anderen Ländern zu stärken – auch durch unseren Erfolg in Karabach.“
Experte Huseynov glaubt, dass Aserbaidschan auch wegen des Ukraine-Krieges russische Truppen dazu bringen konnte, Bergkarabach zu verlassen. „Das hätten viele nicht für möglich gehalten – denn es gibt diesen Mythos, dass russische Truppen, wenn sie einmal da sind, nicht mehr wieder abziehen. Aber Russland war wohl einfach überfordert“, meint er. Eigentlich sollten die russischen Truppen bis mindestens 2025 in Bergkarabach stationiert sein.
Politologin Dilnoza Ubaydullaeva beobachtet eine Emanzipation der ehemaligen Sowjetstaaten von RusslandBild: privat
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, hätten auch andere ehemalige Sowjetstaaten ihren Ton gegenüber Moskau verändert, sagt Dilnoza Ubaydullaeva, Dozentin am Institut für Nationale Sicherheit an der Australischen Staatsuniversität in Canberra der DW.
Etwa der Präsident Tadschikistans, Emomali Rahmon, der im Oktober 2022 öffentlich von Putin mehr Respekt für sein Land forderte. Mehr als 13 Millionen Clicks hat ein Video davon auf der Videoplattform YouTube inzwischen bekommen.
„Russland galt als Supermacht, aber dann schaffte Moskau es nicht, die Ukraine in ein paar Tagen einzunehmen, wie es sein Plan war“, so Ubaydullaeva. „Das haben die Länder in der Region wahrgenommen.“ Zudem würden die internationalen Sanktionen Moskau isolieren und das Ansehen der russischen Regierung schwächen.
„Multivektorielle Außenpolitik“ statt Moskau-Treue?
Zwar seien manche Staaten, wie Kasachstan oder Kirgisistan, durch die Sanktionen zu Transitländern geworden und exportierten westliche Güter nach Russland, die eigentlich auf den Sanktionslisten stünden. Gleichzeitig würden aber viele ehemalige Sowjetstaaten auch stärker auf eine „multivektorielle Außenpolitik“ setzen – also Kontakte mit verschiedenen Ländern unterhalten, berichtet die Politologin.
China präsentiert sich als Garant für Sicherheit: Präsident Xi Jinping mit den Staatschefs von Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan beim ersten China-Zentralasien-Gipfel 2023Bild: Florence Lo/REUTERS
„China nimmt einen immer größeren Stellenwert ein – Russland ist nun Juniorpartner des Landes geworden“, sagt Ubaydullaeva. „China geht es nicht mehr nur um wirtschaftliche Beziehungen, sondern auch darum, als Garant für Sicherheit dazustehen.“ So gab es im Jahr 2023 im chinesischen Xian den ersten China-Zentralasien-Gipfel mit den Staatschefs von Kasachstan, Usbekistan, Kirgisistan, Tadschikistan und Turkmenistan.
All diese Unabhängigkeitsbemühungen hätten dennoch ihre Grenzen, meint Politologe Aliyew. „Unsere Länder waren sehr lange Kolonien Moskaus. Deswegen haben wir ein postkoloniales Syndrom“, sagt er. „Die Staatschefs der ehemaligen Sowjetunion sind damit groß geworden, dass Russland die Nummer eins ist. Sie fühlen sich Moskau verbunden. Das wird sich frühestens mit der nächsten Generation ändern – in zehn oder 20 Jahren.“