„Ein Kampf um sich selbst, um die eigene Würde“
Laut der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft leben hierzulande ca. 1,84 Millionen Menschen mit Demenz (Stand 2024), Tendenz klar steigend. Einen Großteil der Versorgung und Betreuung leisten Angehörige, die aufgrund des spezifischen Krankheitsbildes immer auch stark von der Erkrankung ihrer Nächsten mitbetroffen sind. Umso wichtiger, dass auch sie nicht allein gelassen und gezielt unterstützt werden.
Mülheim gehört sicherlich zu den Kommunen, die da schon einen Schritt weiter sind als andere. Das liegt an den generell guten und gut gepflegten Netzwerkstrukturen in der Stadt, speziell aber an der wertvollen Arbeit der Mülheimer Alzheimer-Gesellschaft. Sie verantwortet u.a. das Unterstützungsnetzwerk „Runder Tisch Demenz“, an dem praktisch alle Mülheimer Einrichtungen, die mit dementiell erkrankten Menschen arbeiten, mitwirken und dabei unterschiedliche Spezialisierungen und Fachkenntnisse einbringen. Für Betroffene können so letztlich passgenaue Angebote entwickelt werden.
Eine gute Gelegenheit, die Akteure näher kennenzulernen, bietet sich am 20. September – in der „Woche der Demenz“ und einen Tag vor dem Welt-Alzheimertag. Das Ev. Krankenhaus lädt, übrigens im feierlichen Rahmen seines 175-jährigen Bestehens, zu einem großen „Tag der offenen Tür“ ein. Auf Initiative der krankenhäuslichen Geriatrie, des Demenzbeauftragten und des Teams Familiale Pflege steht dann auch der Alzheimer-Gesellschaft ein Raum zur Verfügung. In der geriatrischen Tagesklinik ist sie als Ansprechpartner für Betroffene, Angehörige, Fachleute und Interessierte anzutreffen und kann insbesondere helfen, ein geeignetes Unterstützungsangebot zu finden – etwa eine Angehörigengruppe.
Ein solches Angebot, an dem der Autor dieser Zeilen teilnehmen durfte, hat u.a. im Nachbarschaftshaus am Hingberg seinen Platz. Jeweils am zweiten Donnerstag im Monat kommt die Angehörigengruppe Demenz ab 15 Uhr in dem Quartierszentrum zusammen, um Erfahrungen und Informationen zum Umgang mit der Erkrankung auszutauschen.
Da ist dann etwa eine Angehörige, die durch ihre Ruhe beeindruckt – wenn man bedenkt, dass es sie gleich doppelt ‚erwischt‘ hat, sie sich neben ihrem dementiell erkrankten Mann auch noch um die ebenfalls pflegebedürftige, hochbetagte Schwiegermutter kümmert. Andere aus der Gruppe künden ihre Sorgen vehementer, zeigen deutlicher, wie nah sie teilweise der Belastungsgrenze kommen. Meist geht es um herausforderndes Verhalten, um Folgen der gesteigerten Verwirrtheit und Desorientiertheit des Erkrankten, auch die zunehmenden Verständigungsprobleme. Die Schilderungen sind mitunter bedrückend. „Ich habe heute Nacht um 3.47 Uhr die gesamte Küche wischen müssen, weil mein Mann sich dort in der Annahme, das sei die Toilette, erleichtert hatte.“ „Mein Mann spricht mich immer wieder auf eine weitere Person im Raum an, die aber nicht da ist, nicht existiert. Er möchte beharrlich von mir wissen, wie sie heißt – die Namen, die ich ihm anbiete, weist er brüsk zurück.“ Etc. pp.
Für Außenstehende offenbart sich in dem zweistündigen Austausch ein breites Spektrum an Krankheitserscheinungen, von denen kaum eine nicht herausfordernd ist. Insbesondere zu Beginn kämpft die erkrankte Person noch um den Erhalt der Fassade, dass doch alles in Ordnung ist, um ihre Sicherheit, letztlich um ihre Würde.
Es gibt sie dennoch, die positiven Momente, die schönen Beispiele im Umgang mit der Krankheit, etwa als ein Teilnehmer von der „plötzlich intensivierten, fast kontemplativen Naturwahrnehmung“ seiner Frau berichtet, oder die erwähnte, doppelt belastete Angehörige erzählt, dass ein alter Freund aus Erfurt jeden Abend anrufe und sich mit ihrem Mann ausführlich über ‚Berufliches‘ (ihr Mann arbeitet natürlich längst nicht mehr) austausche. Es darf dann auch mal gelacht werden, angesichts der teils unfreiwillig komischen ‚Fehlleistungen‘ der Erkrankten sowie des Erfindungsreichtums, mit dem ihre Nächsten sie bei Laune und beschäftigt zu halten versuchen – ob nun durch exzessives Erdnussknacken, Kartoffelschälen oder andere ‚Maßnahmen‘.
Neben diesen Tipps von Angehörigen zu Angehörigen hat der moderierende Demenz-Experte immer wieder konkrete Empfehlungen für die Teilnehmenden zur Hand, informiert über Angebote wie die Tagespflege, berät bei der Auswahl eines Heimplatzes oder regt zur Einbindung von Kunst und Kreativität als wirkungsvoller ‚Therapeutika‘ an. Auch niederschwellige Kurse für Angehörige gehören zu den vorgestellten Angeboten, uvm.
Inzwischen laden fünf Angehörigengruppen in verschiedenen Stadtteilen zu unterschiedlichen Zeiten zum Austausch und zur fachlichen Information ein.
Am 20. September haben Sie die Möglichkeit, die vielfältigen Angebote kennenzulernen und sich ganz individuell beraten zu lassen.
Angehörigen-/Selbsthilfegruppen Demenz in Mülheim:
- 2. Mittwoch im Monat, 10 Uhr, Gemeindehaus Saarn (Holunderstr. 5), Leitung: Ragnhild Geck
- 3. Mittwoch im Monat, 10 bis 12 Uhr, Gemeindehaus Saarn (Holunderstr. 5), Veranstalter: Familiale Pflege der Theodor Fliedner Stiftung
- 3. Mittwoch im Monat, 15 bis 17.15 Uhr, Ev. Familienbildungsstätte (Scharpenberg 1b), Leitung: Beate Lange u. Astrid Krameyer
- 2. Donnerstag im Monat, 15 bis 17 Uhr, Nachbarschaftshaus (Hingbergstr. 311), Leitung: Peter Behmenburg
- 2. Donnerstag im Monat, 17 bis 19 Uhr, Senioren-Park carpe diem (Hansastr. 19), Leitung: Melanie Schreiner (+ Mitarbeitende des Senioren-Parks)