Die Sonne brennt auf den Küchensee in Ratzeburg. Kein Schiff, kein Boot, kein Schwimmer – fast niemand ist auf dem sonst so belebten Gewässer unterwegs. Denn heute ist der Küchensee nicht der Küchensee. Heute ist er der Lago Albano in Rom. Der See, auf dem 1960 der deutsche Ruder-Achter von Trainer Karl Adam völlig überraschend Olympiagold holte. Das Sportdrama verfilmt Regisseur Hannu Salonen derzeit in Ratzeburg und demnächst rund um Bratislava (Slowakei) für den Kinofilm „Adams Acht“.
Die Hauptrolle des ehrgeizigen Trainers, der nie zuvor in einem Ruderboot gesessen hat, übernimmt Schauspieler Oliver Masucci („The German“). Und damit haben die beiden schon etwas, das sie verbindet. Denn auch Masucci hatte mit Ruderbooten bislang wenig am Hut. „Ich war nie Ruderer, nein. Wie Karl Adam, der war ja auch kein Ruderer, der war Boxer“, sagt der 56-Jährige.
Masucci sitzt während des Interviews als Karl Adam an dem alten Schreibtisch im Bootshaus mit Blick auf den See. Er trägt eine lockere Hose, ein grünblaues Shirt und zwei Stoppuhren um den Hals. Zudem hat er die für Karl Adam typische Schiebermütze auf. Masucci hat sich für die Rolle viel Wissen übers Rudern, über Ruderblätter, über Trainingsmethoden und vieles mehr angelesen.
Beim Lesen des Drehbuches habe es bei ihm sofort „Klick“ gemacht. „Es macht eine Emotion auf. Jedes Mal, wenn ich das Drehbuch lese, kommen mir die Tränen und deswegen war ich so begeistert von dieser Rolle. Außerdem ist es eine Geschichte vom Underdog zum Gewinner. An den Ruder-Achter hat keiner geglaubt.“ Ferner habe Adam den kompletten Rudersport revolutioniert – als Physiker und Mathematiker. Das habe ihn fasziniert.
Um die technischen Finessen in dem Film zu zeigen, ist die Kamera an den Booten und den Ruderern ganz nah dran, wie Produzent Ivo Beck sagt. „Wir werden Rudern so zeigen, wie die Welt es noch nicht gesehen hat. Das ist so noch nie gezeigt worden. Wir haben Kameras überall.“ In den Booten sitzen sowohl Schauspieler als auch echte Ruder-Sportler, darunter Deutsche Meister und Olympiasieger.
Und die sitzen sogar in den originalen Booten von einst. „Die Boote waren verschollen, lagen in den letzten Ecken und waren in einem erbärmlichen Zustand“, sagt Ivo Beck weiter. Der Ratzeburger Bootsbauer Lingolf von Lingelsheim machte fünf Achter in monatelanger Handarbeit wieder schick. Im Film spielt er auch mit – als einer der Schiedsrichter.
Die Stadt Ratzeburg hat die Dreharbeiten von der ersten Minute an unterstützt und gefördert: „Wir sind eine Ruderstadt. Das ist unser Thema. Das passt ganz prima“, sagt Jaana Trebesius vom Stadtmarketing. Und es ist eine prima Werbung, denn seit diesem Jahr gibt es auch eine Themen-Stadtführung zur Ruderstadt Ratzeburg. „Wenn der Film im Herbst 2026 rauskommt, werden die Nachfragen danach bestimmt stark ansteigen.“
Für die Dreharbeiten in Ratzeburg ist der See für zehn Tage gesperrt worden, die Polizei achtet streng darauf, dass sich alle daran halten. Für das „Olympia-Finale“ soll schließlich alles passen. Am Computer wird der Hintergrund dann später zu Rom. Ratzeburg spielt aber trotzdem eine große Rolle im Film. Ob im Ruderclub, in der Ruderakademie oder im Bootshaus – der Film greift viele historische Details auf.
Letzter lebender Ruderer aus dem Olympia-Achter am Set
Das begeistert auch Klaus Bittner. Der 86-Jährige steht am Ufer und beobachtet das Team. Um den Hals trägt er eine Goldmedaille. Nicht irgendeine, sondern DIE Goldmedaille von Olympia 1960. Bittner ist der letzte noch lebende Sportler aus dem legendären Ruder-Achter. „Das ist hier Nostalgie pur. Das Bootshaus, der Steg und dieser Platz hier – das ist unverändert geblieben seit 65 Jahren. Und auch der See und die landschaftliche Atmosphäre, alles ist so geblieben.“
Bittner freut sich, dass mit dem Film nun ein Abschnitt in seinem Leben gewürdigt wird, der ihm viel bedeutet hat. Und nicht nur ihm. Auch dem Rudersport insgesamt. „Wir erzählen hier nichts weniger als die Geburt des legendären Deutschland-Achters“, sagt Produzent Beck. „Nach dem ,Wunder von Bern‘ kommt jetzt quasi ,Das Wunder von Rom‘!“
Mit Bittner triumphierten am 3. September 1960 Karl-Heinz Hopp, Hans Lenk, Manfred Rulffs, Frank Schepke, Kraft Schepke, Walter Schröder, Karl-Heinz von Groddeck und Steuermann Willi Padge – überraschend vor Kanada und Tschechien, nach jahrzehntelanger Dominanz der USA.
Beck war von dem Stoff fasziniert, weil er neben der sportlichen Erfolgsgeschichte auch auf anderen Eben viel zu erzählen hat: Zusammenhalt trotz Verschiedenheit, Aufarbeiten von Nazivergangenheit, Trennung von Ost- und Westdeutschland.
Neun Drehtage sind in der 15.000-Einwohnerstadt Ratzeburg angesetzt. Am zweiten treffen Olympia-Ruderer Klaus Bittner und Schauspieler Oliver Masucci am Set aufeinander. Sie mustern sich beide sichtlich neugierig nach einer herzlichen Begrüßung. „Die typische Adam-Mütze hat er schon mal auf“, sagt Bittner mit einem Lachen. „Aber in der Brusttasche hatte Adam immer einen Rechenschieber dabei.“ Masuccis Reaktion ist schnell: „Dann sollten wir das am Kostüm aber nochmal anpassen lassen.“
Masucci nutzt das spontane Treffen am See und im Bootshaus auch, um Bittner zu den Erlebnissen aus dem Jahr 1960 Löcher in den Bauch zu fragen. Vor allem aber zu Karl Adam. „Er hat auch viel am Schreibtisch gemacht, war sehr ruhig und ein Tüftler – also nicht der Prototyp eines Sportlers“, erinnert sich Bittner und Masucci nickt mit dem Kopf. „Und er war auch sehr distanziert. Ich durfte ihn erst nach dem Sieg duzen.“
Geruch von Schweiß und Sonnenmilch liegt in der Luft
Während des Gesprächs kommt auch Bewegung auf den Ratzeburger Küchensee. Mehrere historische Ruderboote werden von starken jungen Männern Richtung Steg gerudert. Ihre Gesichter sind rot von der Anstrengung bei fast 30 Grad Mittagshitze. Der Geruch von Sonnenmilch und Schweiß liegt in der Luft.
Regisseur Hannu Salonen wirkt zufrieden. Er lobt die Sportler und die Schauspieler, die doch recht geschafft wirken. Die lächeln kurz und hieven ihre Boote geschickt aus dem Wasser und tragen sie auf die Wiese neben dem Bootshaus.
Aus dem Clubhaus riecht es nach Mittagessen und das Team strömt zum Caterer. Produzent Ivo Beck: „Das ist auch anders als bei anderen Produktionen. Die Ruderer haben einen enormen Kalorienverbrauch. Rund 7000 pro Tag. Der Caterer musste dreimal so viel Essen einplanen wie sonst üblich.“