Solingen. Das Urteil überraschte selbst den erfahrenen Verteidiger: Sein 21-jähriger Mandant wurde in einem Verfahren um fünf Straftaten in der Solinger Innenstadt freigesprochen. Ein Gerichtsarzt erklärte ihn für schuldunfähig. Dennoch steht der Angeklagte nun unter Bewährung, da ein älteres Urteil wieder greift.

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„Damit habe ich nicht gerechnet“, bemerkte der Anwalt an der Anklagebank. Der Vorsitzende Richter warnte den 21-Jährigen: Dank des Einsatzes seines Anwalts erkannte man erstmals während der Prozesse eine angeborene Schädigung. Seine Mutter hatte während der Schwangerschaft Alkohol konsumiert. Doch: „Das heißt nicht, dass ‚alles gut‘ ist.“

Außergewöhnliches Berufungsverfahren

Dem Freispruch ging ein außergewöhnliches Berufungsverfahren vor dem Landgericht Wuppertal voraus. Laut Anklage hatte der Mann ab Sommer 2023 in einem Solinger Wohnheim Reizgas in das Zimmer eines Nachbarn gesprüht, Drogen per Handy verschickt und Polizisten beleidigt. Das Smartphone einer Bekannten hatte er geliehen und verkauft.

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Der 21-Jährige stand unter Bewährung, er lebt alleinstehend und arbeitet angelernt in Festanstellung. Das Amtsgericht Solingen hatte in der ersten Verhandlung zwei Jahre und sechs Monate Jugendhaft zur nachträglichen Erziehung verhängt.

Bei der Berufung im Landgericht stellte der Vorsitzende fest: Vier der fünf Taten fanden nach schwerem Alkoholkonsum statt. Anders als sonst hörte das Gericht den Gerichtspsychiater zuerst an.

Durch die angeborene Krankheit zeige der 21-Jährige körperliche und geistige Schäden. Im Kindergarten sei er aufgefallen, durch „Unfug treiben“. Dass er andere verletze oder bestehle, verstehe der Angeklagte nicht. „Er braucht wohlwollende Aufnahme und feste Grenzen.“ Das sei in der Schule zeitweise gegeben gewesen. Seit einem Jahr klappt es anscheinend beim Arbeitgeber.

Dann geht der Verstand flöten.

Mediziner zum schädlichen Konsum von Alkohol

Es habe schädlichen eigenen Konsum von Alkohol gegeben, so fasste es der Arzt zusammen und ergänzte griffig: „Dann geht der Verstand flöten.“

Den Bericht bestätigten eine Vertreterin des Jugendamts und eine Bewährungshelferin. Weitere Zeugen brauchte das Gericht nicht mehr. Das klare Fazit des Vorsitzenden: Normalerweise würde es in so einem Fall um Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder Klinik gehen – zum Schutz der Allgemeinheit.

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Im aktuellen Prozess gehe das nicht, weil es im Amtsgericht nicht Thema war: „Dann dürfen wir es nicht obendrauf satteln.“

Den Freispruch beantragten Staatsanwaltschaft und Verteidigung übereinstimmend.

ST